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Das Wort und der Dichter

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In dieser Stunde sollten ein Hermann Bahr oder ein Karl Kraus leben, um ihr gewichtiges Wort in die Waagschale werfen zu können. Hermann Bahr war der Bewunderer des österreichisch ' Barocks,’ ‘trotzdem hat er den genialen Baukünstler Otto Wagner ebenso bewundert und in einem Aufsatz zu seinem 70. Geburtstag diesem Bekenntnis auch Ausdruck gegeben. Das zeigt, daß es unbedingt möglich ist, sich des österreichischen Barocks zu erfreuen und sich trotzdem zu den Forderungen der Neuzeit zu bekennen — anders, als dies der verehrte Dichter Prof. Dr. Rudolf Henz (siehe „Die Furche“ Nr. 17 1959) meint, wenn er das österreichische Barock mit der Rechtschreibreform konfrontiert.

Verlangen wir hier nicht etwa zuviel? Das Barock hat sich nicht gescheut, altrömische Helden im Kostüm der eigenen Zeit, in der Allongeperücke auftreten zu lassen — es ist das Erbe eines überspitzten Historismus aus dem 19. Jahrhundert, wenn wir uns scheuen, kräftig unsere Hand an das längst fällige, einsturzreife Gebäude der heutigen deutschen Rechtschreibung zu legen. Das Barock hat sich nicht gescheut, von den Türken verbrannte Kirchen und von den Schweden verwüstete Schlösser statt im ursprünglich gotischen und Renaissancestil einfach im „modernen“ Barock neu zu errichten. Wenn das Barock tatsächlich in der heutigen deutschen Rechtschreibung fortleben würde, dann müßte man aber konsequenterweise eine absolute Gegenreform beginnen und sofort anfangen, wieder GOTT mit lauter Großbuch staben zu schreiben, wie es damals üblich war. Vermengt man aber nicht z u sehr hier das Baröck mit einer Frage, die einer ganz anderen . Zeitsituatiön entsprungen ist? Herr Prof. Doktor .Rudolf Henz'‘Meint, daß eine Reihe von’ ’ WqftcfL ifif inn"Jiur aus dqr. roß- pjIer, der„ Kleinschreibung empfangen. Hier verwechselt der verehrte Dichter wie so viele andere Zeitgenossen Sprache mit Schreibung. Ich möchte den sehen, der in der mündlichen Rede imstande ist, Groß- und Kleinschreibung zu trennen — „mein Dank ist ihm gewiß“ und „dank meines Einspruches" — beide Sätze bzw. Satzteile klingen in der Rede vollkommen gleich; verwechseln wir sie deshalb? Wer für die Behauptung eintritt, man müßte die Großschreibung deshalb beibehalten, weil man sonst die Texte nicht verstünde, der möge uns zuerst das Mittel sagen, die Groß- und Kleinschreibung auch im Wort zu unterscheiden — dann sind auch wir sofort dafür. Sicherlich wird es eine kleine Mühe zu Beginn kosten, einen in der gemäßigten Rechtschreibung gehaltenen Text zu lesen — diese Schwierigkeit ist aber binnen kurzem beseitigt. Die Mühe, richtig rechtzuschreiben, kostet jedoch der Schule viele Schulstunden, in denen der Schüler mit anderen, viel wichtigeren Werten unserer Muttersprache vertraut gemacht werden kann. Gerade ein Dichter müßte sich freuen, wenn er hört, daß in Zukunft statt einiger Drillstunden in der Rechtschreibung eines seiner Gedichte von begeisterungsfähiger Jugend erlebt und gestaltet wird. Dem Schreiber dieser

Zeilen ist etwa ein Gedicht des hochverehrten Herrn Prof. Dr. Rudolf Henz hundertmal lieber als die Notwendigkeit, den Schüler in eine für ihn und für die meisten Erwachsenen niemals völlig durchschaubare Materie wie das Labyrinth der heutigen deutschen Rechtschreibung hineinzuzerren. Daß einige unserer jüngsten Poeten um die „Originalität“ der „kleinschreibung“ kommen, wie Herr Prof. Dr. Rudolf Henz bedauert, ist kein so großes Liebel, wenn man wie er der Meinung ist, daß der Wert eines Gedichtes von seinem inneren Gehalt und nicht von der Rechtschreibung abhängt, in der es geschrieben ist. Wir glauben, dies aus allen Aeußerungen von Rudolf Henz herausgelesen zu haben.

Daß die Schrift der Ausdruck der Kultur eines Volkes ist, dem kann man ohne weiteres zustimmen. Sie ist aber der Ausdruck der j e- weiligen Kultur eines Volkes — denn sonst müßten wir heute noch die Schriftzeichen des Gotenbischofs Wulfila verwenden. Und schließlich liegt auch hier ein Denkfehler vor. Denn wieder geht es ja nicht um die „Schrift" — es fällt keinem Rechtschreibreformer ein, zu verlangen, daß plötzlich neue Schriftzeichen geschaffen werden sollen oder daß die deutsche Spracht imBawskrit- fwfer‘zyrflhschen Lütteftf zff schreiben sei; -’?D i e S c h r i f t wird n i c h t 7ge'lt'bi'd d r t.~“Eš šchėirit,'daß 'das UebermÄ'fe' Begeisterung oder der Ablehnung Menschen dazu verführt, Begriffe zu verwechseln, die nicht verwechselt werden dürfen. So wie der Charakter7 einer Sprache nichts mit der Rechtschreibung zu tun hat, so hat auch die Schrift als solche nichts mit der Rechtschreibung zu tun. Dem Verfasser dieser Zeilen erscheint es als eine viel größere Gefährdung der deutschen Sprache, wenn wir heute überall vom „Teenager“ und von „Blue Jeans", von „Music Box“ und von „Strip Tease"lesen, als wenn ein unbescholtenes deutsches Wort, das gerade viele Gegner der Rechtschreibreform nicht mehr verwenden wollen, in der gemäßigten Kleinschreibung auf der Bühne unseres Lebens erscheint.

Ich glaube, für den Gegner der. Rechtschreibreform gibt es nur e i n Argument, das wirklich stichhaltig ist: wenn er erklärt, daß ihm aus ästhetischen Gründen die Kleinschreibung nicht gefalle. Vor einer solchen Argumentation schweigt jede Kritik, denn über ästhetisches Empfinden kann nur jeder selbst urteilen. Ob aber die Aesthetik allein uns berechtigt, eine so schwerwiegende Frage in den Aktenschrank zu legen, müßte auch noch untersucht werden.

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