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„De Profundis“

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So wie nach dem Dreißigjährigen Krieg die Sonette des Gryphius, die Gedichte Paul Gerhardts und die Musik von Heinrich Schütz die Unzerstörbarkeit des Geistes in allen Untergängen bezeugten, so klingt auch heute, nach Jahren des Verstummens, die reine Stimme der Dichtung wieder auf. Unter dem Himmel der Schmerzen, in der Verzweiflung und der Verlassenheit, war diese Stimme nicht ganz verstummt. Sie war nur leiser und dunkler geworden. Doch sie rief und mahnte, tröstete und verdammte darum nicht weniger eindringlich; ja, man kann sagen, daß den Stimmen der Dichter — den wenigen, 'die ihr Amt heilig hielten — mit größerer Ehrfurcht und Ergriffenheit gelauscht wurde als jemals vorher. So wurde Dichtung wie in frühen Tagen wieder etwas Geheimnisvolles, Beziehungsreiches für die Eingeweihten, und während die Produkte der offiziellen Staatspoeten von allen, die während de nationalsozialistischen Regimes das eigene Denken und Fühlen nicht aufgegeben hatten, kaum der Verachtung gewürdigt wurden, wandte sich die Aufmerksamkeit aller Wissenden, aller Sorgenvollen und aller Trauernden um so entschiedener jenen zu, welche die Ehre und Würde des dichte- rischen Wortes bewahrten und allen Verlockungen widerstanden.

Vielleicht wurden noch niemals an das dichterische Kunstwerk so hohe menschliche Anforderungen gestellt als in diesen Jahren. Denn durch Angst und Terror, Schuld und Todesgefahr, Hunger, Entbehrung jeder Art und beispiellose Verlassenheit war der seelische Erfahrungsbereich der Menschen ungeheuer erweitert worden. Das Wissen um Größe und Elend der menschlichen Natur wurde gefördert und vertieft. Denn nur was man am eigenen Leib und Geist erfahren hat, begreift man wirklich. „Wir müssen unser Wissen erfahren!“ Viele Menschen wurden zurückgeworfen, zurück- gewiesen auf jene ewigen und unvergänglichen Werte, die dem Auge dessen, der in bürgerlicher Ruhe und gesichertem Wohlstand lebt, wohl für immer verborgen geblieben wären. Vor dem tränenverschieier- ten Blick der Diesseitsgläubigen stieg leuchtend auf der Traum von der Freiheit und einer besseren, gerechteren Welt. Der religiöse Mensch aber suchte und fand Zuflucht in Gott und Trost in der Gewißheit eines Lebens nach dem Tode.

Aber enthält nicht alles Leiden auch das Ferment des Neuen? Aus dem Wissen und aus der Erfahrung stieg für manche, die nicht an der Zeit zerbrachen, jene große Gelassenheit, ja Heiterkeit, die das Höchste ist, das der auf Erden Heimatlose erreichen kann.

Die in einem Münchener Verlag erschienene Anthologie „De Profundis“ sammelt die dichterischen Dokumente der Zeit von 1933 bis 1945. Es sind Verse jener Dichter, die zwölf lange Jahre entweder verstummt waren, nur insgeheim schrieben oder — in ihren erlaubten, verschlüsselten Werken — nicht aufhörten, zu mahnen, anzuklagen und zu trösten. Und es sind Verse junger, noch ganz unbekannter Dichter, die bezeugen, daß auch unter der Jugend das Feuer niemals erloschen war und deren bedeutsamste Leistungen wohl noch in der ’ Zukunft liegen. Von den 65 Autoren der Anthologie stehen etwa 20 im dritten Lebensjahrzehnt, sieben erlebten den Krieg mit zwanzig Jahren, vier Autoren wurden nach 1920 geboren. Der Herausgeber der Anthologie weist besonders darauf hin, wie wenig die Jungen, die 1933 noch Kinder waren, vom Offizialstil des Regimes beeinflußt sind: 18- bis 19jährige, die in aller Stille das große Erbe der Vergangenheit angetreten haben, es mit neuem Blut erfüllen und hinüberretten in eine — so wollen wir hoffen — würdigere Zeit. Dem Titel der Sammlung entsprechend, sind nicht nur- aktivistische Beiträge aufgenommen worden. Der Schwerpunkt liegt vielmehr dort, wo die Leidenszeit menschlich und künstlerisch überwunden wird.

Fast lückenlos spiegelt sich in dieser Sammlung die Geschichte, das ist: der Leidensweg des deutschen Volkes und Geistes zwischen 1933 und 1945: von der Machtergreifung über Aufstieg und Terror bis zum apokalyptischen Ende. Der Münchener Dichter,. Journalist und Freiheitskämpfer Joseph Drexel schildert in einem strengen, vierstrophigen Gedicht das hektische Fieber eines Nürnberger Parteitages und eine der berühmten „Führerreden“. Unheimlich ist die Vision der Schlußstrophe:

Der Rausch der Macht das trunkne Auge trübt.

Und während, des Gewissens überhoben,

Die wilden Lippen laut das Leben loben,

Hält heimlich ihm der Tod das Manuskript.

Dürfen wir uns wundern, daß in einer Zeit der Gewissensnot und der Bedrückung, deren Ende nicht abzusehen war, auch mutlose Stimmen laut werden, wie in dem an einen altdeutschen Spruch anklingenden Gedicht von Fritz Graßhoff (geb. 1913):

Was ich getan, verlor den Sinnl Weiß nicht, warum ich fröhlich bin.

Was ich geliebt,

Deckt schon der Schnee’

Weiß nicht, warum ich weitergeh.

Gezählt ist schon der Stunden Schlag.

Weiß nicht, warum ich leben mag.

Da das Leben zur Qual wurde, erscheint als lockende Zuflucht, als barmherziger Tröster, der Tod:

Halt an dein Boot,

Das Tor glänzt nah,

Durch das wir alle fahrt Die Welle droht Nicht mehr,

In der wir elend waren.

Da steht der Tod,

Mit dem wir alle fahren.

(Wolfram Dietrich, geb. 1910;

Niemals wirst du süßer schlafen Als im dunklen Erdenhaus.

Jene, die sich drunten trafen, ruhen Schmerz und Tränen aus Niemals wirst du süßer schlafen.

Und für ewig währt dein Schlummer, Wundersam von nichts genährt,

Schlafe du, indes dein Kummer Taub und trüb zur Gosse fährt.

Und für ewig währt dein Schlummer.

JOda Schäfer, geb. 1900)

Der Rheinländer Richard Scheid, geboren 1876, Sozialdemokrat, gründete 1919 die Zeitung „Der Kampf“ und zog sich kurz darauf aus dem politischen Leben zurück. 1933 begann seine Verfolgung. Vier Jahre verbrachte er in dem Konzentrationslager Dachau, davon sechs Monate in Dunkelhaft. In dieser Zeit entstand das Gedicht „Der Tod in den Garben“:

Komm, o Tod, und nimm mein Herz, hör1 mich rufen ohne Klagen:

Erde will mich nicht mehr tragen und der Himmel hängt voll Schmerzen!

Sieh, das weite Ährenfeld hast du lange schon erschlagen: warum träumst du nun seit Tagen in den dunklen Garbenzelten?

Ich, auch ich bin reif zur Mahd — sieh, voll herbstlicher Beschwerde sinkt mein Haupt zur schwarzen Erde, schwer vom Segen meiner Taten...

Alle litten sie schwer an der Zeit, und doch sehen wir kaum bei einem einzigen die Gebärde hoffnungsloser Verzweiflung. So leuchtet die Hoffnung auf den nahenden Morgen aus den Schlußzeilen eines Gedichtes der Gertrud von Le Fort:

Sinken unsre Kerzen In den Schoß der Nacht,

Trägt sie unterm Herzen Aller Sterne Macht.

Und der evangelische Ernst Wiechert tröstet:

Ob Gott sich verhüllt dir in schweigenden

Jahren,

sammle nur schweigend das Korn für ihn ein...

auch der Schweigende wird sich dir offenbaren,

und herrlich bedeckt dich sein herrlicher

Schein.

Doch vorher galt es noch, das bittere Ende zu bestehen. Der junge Dichter Rudolf Hagelstange beschwört mit Schiller- schem Pathos das „Ende des Tyrannen“:

Schrecklich rasselnd stürzen die Gewichte. 2jcternd steigt der Zeiger der Geschichte in die letzte Stunde des Tyrannen.

Furchtbar tut das schwankende Gefüge dem entkräfteten Gesetz Genüge,

das des Rechtes Angeln hart umspannen.

Auf den Plan bestochener Propheten sieht man schweigend die Auguren treten, deren Spruch nun trunken überhörte. Mitleidlos für jedes Menschen Wunde sieht ihr Auge auf die letzte Stunde dessen, der ein großes Reich zerstörte.

Über aller Zerstörung aber sieht Rein- hold Schneider das Zeichen und erkennt den Sinn solchen Untergangs:

Nun überragt das Kreuz die Städte alle,

Die sich gespiegelt in der klaren Flut,

Es klagt die Welle, überhaucht von Glut, Von Wahn und Schuld und ungeheurem Falle.

Und Bettler treten aus geborstner Halle, Darin die Asche ihrer Toten ruht,

Und Blinde wanken aus der Flammen Wut Ins dunkle Land beim letzten G'odcenschalle.

Laß unsrer Städte Opferglut die Schuld Der ganzen Welt, barmherz’ger Gott, verzehren, Nur Dir sind Schuld und Leiden offenbar.

Und unterm neuen Bogen Deiner Huld Wird über Gräbern Dich Dein Volk verehren, Und von den Trümmern strahlen Dein Altar.

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