6607362-1954_27_08.jpg
Digital In Arbeit

Der deutsche Kronprinz

19451960198020002020

Kronprinz Wilhelm; eine Rolle in der deutschen Politik. Von Paul Herr . C. H. Becksch Verlagsbuchhandlung. XII 280 Seiten mit einer Bildtafel. Preis 15 DM

19451960198020002020

Kronprinz Wilhelm; eine Rolle in der deutschen Politik. Von Paul Herr . C. H. Becksch Verlagsbuchhandlung. XII 280 Seiten mit einer Bildtafel. Preis 15 DM

Werbung
Werbung
Werbung

Keine geschichtliche, aber eine echte persönliche Tragik umgibt die Gestalt des Iet2ten deutschen Kronprinzen. Thronerbe des machtvollsten mitteleuropäischen Reiches, groß geworden in dessen echter und scheinbarer Blüte, ein Mann von natürlichem Menschenverstand und rascher Auffassung, bescheiden und umgänglich, der väterlichen Pose abhold, gesund und lebensnah: eine Menge guter Gaben hatten ihm die Feen in die Wiege gelegt. Gerade daß keine von ihnen das „gesunde Mittelmaß" überschritt, hätte ihn seinem hochbegabten, aber sprunghaften Vater gegenüber in den Vorteil gesetzt. Aber er war keine eigenständige starke Persönlichkeit, w’ie sie Zeit und Umstände gefordert hätten, stets dem letztgehörten Rate zugewandt und — er „litt am Kaiser". Für ihn galt eben auch das Wort des Staatssekretärs von Tschirschky: „Wir alle leiden am Kaiser. Er ist unser Schicksal." Er hatte von ihm in der Tat verhängnisvolle Aehnlichkeiten geerbt und sie nie ganz in sich überwunden. Vor allem war ihnen gemeinsam der Zustand einer nie ganz erlangten inneren Reife. Er hätte „den Vater in sich” nur in harter gedanklicher Zucht, durch den Aufbau eines völlig eigenen Weltbildes überwinden können. So erschöpfte er sich in rastloser innerer und äußerer Opposition. Und wie stets, wenn eine solche aus der Psyche und nicht aus dem planenden, kritischen Verstände entspringt, traf sie selten das Richtige. Dort wo er dem Kaiser entgegentrat, hatte dieser fast immer recht, kraft seines durch Phantasie und seelische Eigenheiten oft beirrten, her unleugbar bedeutenden Intellekts. Hinzu kam die hohenzollernsche Prinzenerziehung mit ihrem einseitigen Betonen des Militärischen — Kaiser Wilhelm hätte zu diesem Zeitpunkte bereits erkennen können, daß seine eigene, gleichartige Erziehung für ihn selbst höchst nachteilhaft gewesen war. Sie hat aus dem Kronprinzen einen wagemutigen Sportsmann, einen tüchtigen und gewissenhaften Soldaten gemacht. Aber sie gab ihm nicht die schöpferisch weiterwirkende geistige Grundlage für seine weit über Kasernenhof und Paradeplatz hinausreichende Berufung. Wenig arbeitsam — wie der Vater —, aber nicht von dessen oft überraschend richtiger Intuition getragen, griff er fast bei allen politischen Aktionen und Kundgebungen die falschen Saiten. Seine Um- gänglichkeit war die des Kavaliers — das geistige Deutschland außerhalb des militärischen und gesellschaftlichen Raumes war ihm innerlich völlig unzugänglich. Nie gelangte er dahin, sich mit dessen Gedankenwelt und vielschichtiger Problematik auseinanderzusetzen. Seine — im Vorkriegsdeutschland ! — überragende Position hätte ihm bestimmende Einflüsse ermöglicht. Man denkt da an seinen wohlmeinenden Großvater. Kaiser Friedrich III., dem die neue Zeit innerlich völlig fremd blieb — doch dieser hatte sie, man möchte sagen: „zu suchen versucht".

Auch hier wieder war der Kronprinz seinem Vater — mutatis mutandis — verwandt, der bei geradezu leidenschaftlichem Interesse für die Welt der modernen Technik und des Verkehrs, deren seelische Grundlagen gar nicht ahnte. War jener allzusehr in seine eigene seelische Problematik verstrickt, so hemmte den Sohn sein geringer psychologischer Tiefgang. Es ist nicht verwunderlich, daß so aus lautet Halbem nur Halbes wurde. Wie der Kaiser wußte auch er nicht um den Widerhall,

das seinen Worten natürlich anhaftende Echo. Man mag den .burschikosen Ausdrücken des jungen Kavallerieoffiziers menschlich jede erdenkliche Nachsicht angedeihen lassen — für den deutschen Kronprinzen war im politischen Bereich der Ton des Gardeleutnants unzulässig. Man konnte etwa die widersprechende Arbeiterschaft, auch dort, wo sich ihr Oppositionsgeist in unschöner Weise manifestierte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht als „Elende" abti n. So war der Kronprinz bei Beginn des Weltkrieges schon mit einem Stigma belastet, das sich, als es vier Jahre später um die Frage ging, ob nur der Kaiser oder die ganze Hohenzollerndynastie abdanken solle, für diese letztere nachteilig auswdrkte.

Im Kriege war Kronprinz Wilhelm ein erbitterter Feind des viel weiter als die Militärs blik- kenden, aber entschlußschwachen Reichskanzlers von Bethmann Hollweg, gegen den er, von der Obersten Heeresleitung sekundiert und inspiriert, Sturm lief, und an dessen Sturz er großen Anteil hatte. Der massiven Persönlichkeit und fachlichen Autorität Ludendorffs gegenüber unterlag der stets leicht beeinflußbare Kronprinz, trotz manchmal richtigerer politischer Erkenntnis auch seelisch immer wieder. Seltsam mutet sein Kampf gegen Kaiser Wilhelms „Kabinettsystem" — das Regieren mit Adjutanten, . Militär- und Marine- attachés — deshalb an, weil er von einer Persönlichkeit ausging, die selbst im höchsten Grade von einer unklug gewählten Umgebung beeinflußt wurde. Und dabei traf und stürzte der Kronprinz denn auch einen integren, verantwortungsbewußten und verdienstvollen Mann. Daß der Kronprinz, der sich in ganz anderer Lage befand, dem Kaiser ins Exil nach Holland folgte, hat seiner Sache und seinem Ansehen sehr geschadet. Vor allem jedoch sein — wie alle von ihm gestarteten Aktionen mit jeweiliger Zähigkeit fortgesetzes Eintreten für Hitler. Es gehörte schlechtes Augenmaß dazu, in diesem Manne einen künftigen Königsmacher zu erblicken und sich im In- und Auslande für ihn einzusetzen. Auch hier hat sich der Vater klüger und einwandfreier verhalten.. Die „Reichsmordwoche" 1934 und wehl auch der Einfluß Oswald Spenglers haben Diktator und Kronprinz dann einander entfremdet. Und als der letztere versuchte, Hitler in später Erkenntnis von seinem unheilvollen Weg abzubringen, zeigte ihm dieser, in der ihm „artgemäßen" Weise, die kalte Schulter: Man versprach dem Kronprinzen, als er auf dem Obersalzberg anrief, ihn mit dem „Führer" zu verbinden und ließ ihn dann am Apparat vergeblich warten. Das Los der späteren Armut trug der präsumtive Erbe des Deutschen Reiches mit an Gleichmut grenzender Gelassenheit. Seine schlichte Menschlichkeit wurde davon nicht berührt.

Paul Herres Werk ist keine der sensationellen ..Charakterstudien", die begabte Schreiber so gerne um historische Persönlichkeiten dichten. Es ist auch kein propagandistisches Buch, weder durch politischen Antagonismus noch durch menschlich ehrenhafte Loyalität der historischen Beweiskraft beraubt. Diese beiden Vorzüge seien aus unerfreulicher Kenntnis des modernen Biographienunwesens vorausgestellt. Diese Darstellung ist eine quellenmäßige. kenntnis- und erkenntnisreiche, mit großem Takt und in vornehm-präziser Diktion geschaffene Arbeit von bleibendem Werte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung