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Der Extrembergsteiger tastet sich an die Grenze des Sagbaren heran

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Der Aconcagua war seine größte I Herausforderung. Eine drei Kilometer hohe Felswand, bereits der Einstieg ist höher als der Gipfel des Montblanc. Der Mann, der sie allein ohne Seil durchsteigen will, ist von den Folgen schwerer Bruchverletzungen nach einem Sturz in den Alpen gehandikapt. Er schafft 2.500 Höhenmeter, für die andere drei Tage brauchen, in 12 Stunden.

Trotzdem: er hat sich zuviel Zeit gelassen, zulange gerastet. Um wenige Minuten zu spät passiert er den Punkt, an dem täglich die 14-Uhr-Lawine abgeht. Die Schneemassen fließen über ihn hinweg, zerren an seinem Rucksack, Sekunden, ehe ihn die Kräfte endgültig verlassen und er loslassen müßte, ist die Lawine vorbei: „Es lief immer auf den selben Fehler hinaus: Hvbris.”

Der Leser hat schon viel früher verstanden, warum Thomas Bubendorfer über seine Bergerfahrungen durchsehend in der dritten Person schreibt. Seine Selbsterfahrurigen sind so, daß er Abstand braucht. Durch das Schreiben in der dritten Person gewinnt er ihn.

Wer Bubendorfer für einen „Seitenblicke”-Typ gehalten hat, wird durch sein Buch „Senkrecht gegen die Zeit” eines Anderen, Besseren, Ernsthafteren belehrt. Da schreibt einer nicht über seine sportlichen Leistungen - das natürlich auch —, sondern über seine Schwierigkeiten mit sich selbst, über die Versuchung zur Selbstüberschätzung, der er immer wieder erliegt, wobei er mehrmals gerade noch mit dem Leben davonkommt, und er versucht, darüber zu schreiben, warum er Extrembergsteiger geworden ist, Eiskletterer, Alleingänger ohne Seil.

Daß er nicht wirklich sagen kann, was ihn antreibt, daß er das Thema immer wieder umkreist, dem Kern der Sache vielleicht dort am nächsten kommt, wo er über seine Gefühle am Grab eines am Aconcagua abgestürzten jungen Amerikaners schreibt, macht ihn umso sympathischer.

„Senkrecht gegen die Zeit” mag am Bergsteigen Interessierten mehr und anderes geben als dem Nichtsportier. Dem Bergsteiger mag die Schilderung, wie sich Bubendorfer von einer zusammenbrechenden Eiswand abstößt und so rettet, difc Haare aufstellen. Für den an Bergsteigen und Sport nicht besonders Interessierten ist es ein äußerst sympathisches Buch, ein Buch, das ihm tiefe Einblicke in die Psychologie des Sports ermöglicht, ein provozierendes Buch über den Tod, den der Bergsteiger als Risiko bewußt in Kauf nimmt, und nicht zuletzt ein spannendes und sehr gut geschriebenes Ruch.

Denn gerade dort, wo sich Rüben-dorfer an die Grenze des Sagbaren herantastet, offenbart sich die Qualität seiner Sprache und die Authentizität dessen, was er in ihr ausdrückt.

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