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Der Freund der Dichter

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Vor einem Jahr, in den Morgenstunden des 20. März, ist in seiner Wohnung in Mühlau Ludwig v. Ficker gestorben. Allen, die ihn kannten, die seiner bedurften und die er geliebt hat, entzog sich mit diesem Hingang das vertraute Bild einer irdisch bemessenen Erscheinung, die der Stadt Innsbruck, in der er gelebt hat, dem Land Tirol, das seine Heimat war, dem österreichischen und dem deutschen Geistesraum, in dem er wirkte, das Licht einer Besinnung aufgesetzt hat, das im Gedächtnis der Nachwelt nie mehr erlöschen wird. Denn es war ein Blick der Liebe, den er auf seinen Mitmenschen ruhen ließ. Vor allem aber liebte er die Dichter und — ihnen zunächst — die Denker. Wie viele, die er während dieses halben Jahrhunderts „Freunde“ genannt hat, durften — getroffen von diesem Blick — erleben, wie erhüben und beglückend die Erwartung der Ruhe ist! In dieser Erwartung, deren Ziel — wenngleich verschwistert mit allen tiefer beobachteten irdischen Erscheinungen — im Jenseits gelegen ist, bestand Ludwig von Fickers Zuversicht. Gar mancher, dem er, der selbst von den Geheimnissen der Schwermut zutiefst angerührt war, in die abseitigsten Zonen schmerzlich empfundener Ausgesetztheit und geistiger Verstörtheit gefolgt ist, um ihn in einem Augenblick zu fixieren, da alle Fundamente des Selbst- und Fremdvertrauens in sich zusammenbrachen, dankt ihm auf diese Weise Trost und Mut zum Weiterleben im Geiste. Als Freund der Dichter und Denker wirkte er auch in seinem Beruf als Herausgeber des „Brenner“. In den vierzig Jahren, in welchen er ihn ausübte, hat es nie ein Programm gegeben, nach dem er diese Zeitschrift ausgerichtet hätte, immer nur die Vorschrift der Stunde, die „Maßgaben des inneren Fälligwerdens"; auf ihr Eintreten hat er in einem langen Leben der Stille gelauscht, ihr hat er gehorcht.

Alles Wahrgenommene aber im Bereich des menschlich Faßbaren: von der präzise und unbestechlich gefällten Einzelbeurteilung, zu der er als Kritiker in hohem Maße fähig war, bis zum ergriffenen und oftmals erschütterten Verharren vor Verhängnissen, die zuweilen machtvoll, furcht- und ehrfurchterregend die Abgründe des Lebens freilegen — alles wagemutig Fixierte und beherzt Bedachte, erhielt für ihn nur deshalb eine Heilbringerfunktion, auf die man hoffen konnte, weil er diesen Blick der Liebe in einem schöpferischen Akt von einzigartiger Kühnheit und Schlichtheit mit einem Aufblick zum Firmament der Vorsehung zu verbinden vermochte, dessen Gestirne sich ihm unausgesetzt zu Leitbildern des Trostes und der verheißenen Verklärung zusammenfügten. So haben ihn seine Freunde gekannt und geschätzt, und jene, die sich als seine „Gegner“ deklarierten, mißverstanden.

„Strahlender Arme Erbarmen umfängt ein brechendes Herz“ — diese Schlußverse aus Trakls „Gesang einer gefangenen Amsel": Nie wird es dem Feinsinn von zünftigen Interpreten, von denen Ludvfig von Ficker immer eine hohe Meinung hatte, in seinen Erst- und Letztzusammenhängen voll einsichtig werden, und doch ist es wahr: sie wären nie geschrieben worden ohne den Augenblick, in dem der Dichter, nach einem Besuch bei Carl Dallago, in einem Wirtshausgärtchen hoch über dem Gardasee, seinem Freunde gegenübergesessen ist. Wer mag dieser Freund gewesen sein! — Wohl bleibt man immer im unklaren — in beglückender Ungewißheit — darüber, wer nach dem Wortlaut dieser Verse dem Verzagenden in concreto entgegengetreten ist, und doch fällt, wenn man den Verstorbenen gekannt hat, nichts leichter, als sich die unnachahmlich beschwingte und doch sichere Gebärde zu vergegenwärtigen, mit der er — selbst oft genug hilflos und verlassen von der Welt und, wie es scheinen mochte, auch von Gott — sich damals und in den folgenden 50 Jahren dieser und ähnlich betroffener Existenzen angenommen hat. In Werken von dauernder Repräsentanz hat sich diese Tatsache verkörpert. In Büchern, Bildern, Plastiken, deren gemeinsames Leitmotiv bei aller Verschiedenheit des Naturells ihrer Schöpfer, das eine war: sich nicht in Tragik, sondern in Trauer, nicht in Verzweiflung, sondern in Liebe zu erfüllen. Die Dichtung von Georg Trakl ist voller Liebe, voll der Liebe des Freundes. Dessen eigenes Werk freilich scheint auf den ersten Blick aus nichts anderem zu bestehen als aus „Denkzetteln und Danksagungen“. Diese aber aus dem Herzen ihrer Entstehung in das Ziel ihrer Bestimmung weiterzudenken und weiterzuleben, das ist der Anteil der Hinterbliebenen. Denn es ist das Werk eines wahrhaft sokratischen Menschen.Um ein gewisses unbehagliches Gefühl kommt man auch beim Start und vor allem bei der Landung oft nicht herum und so verliert der Blick aus dem Fenster, der in diesem Moment am interessantesten wäre, erheblich an Reiz. Es ist nämlich nun einmal so, daß das Niedergehen aus 7000 Meter Höhe innerhalb von zehn bis fünfzehn Minuten nicht jedem Organismus sehr gut bekommt. — In den letzten Phasen der Landung sind daher viele Fluggäste mehr mit ihrem Innenleben als mit der Außenwelt beschäftigt: Kopf zurück, Augen schließen, langsam und tief atmen, ganz ruhig bleiben.

Aus ähnlichen Gründen ist auch die detaillierte Beobachtung besonders eindrucksvoller Wolkenwände erschwert. Wo dunkle Wolken sind, sind gern auch Gewitter und Stürme, und wo Stürme sind, schwankt das Flugzeug, und wo das Flugzeug schwankt oder gar in „Luftlöcher“ fällt, da verspüren die Passagiere wenig Neigung, die Unbilden der Natur zu bewundern.

Im normalen Flug hingegen ist die Fortbewegung eher monoton. Selbst der Düsenlärm, der am Flugplatz für die Zurückbleibenden so tosend klingt, wird in den nahezu schalldichten Rümpfen der modernen Flugzeuge zu einem harmlosen und einschläfernden Summen und Brummen — so gerade das Richtige für ein kurzes Nickerchen zwischen dem Kaffee und der Landung in einer halben Stunde.

Blick aus dem Fenster? Ach, ist doch alles dasselbe — ein Land wie das andere, Rußland wie Amerika, Mittelmeer wie Pazifik. Mitunter mehr Berge, mitunter mehr Wüste. Jedenfalls keine Ursache, sich den Hals auszurenken.

Was war das? Ach ja, das übliche „Please fasten your seat belts“. Na, da hätten wir’s denn ja wieder einmal so gut wie überstanden.

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