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Der grüne Frack

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I. Nach italienischen Mustern unter den Auspizien des der Dichtung und den schönen Künsten holden großen Kardinals Richelieu 1635 begründet, gilt die Französische Akademie als oberste Instanz in allen Fragen, die die französische Sprache betreffen, zugleich aber als eine Körperschaft, in die des Landes beste Schriftsteller entsandt werden. Das eine trifft im weiten, das andere nur im engeren Umfang zu. Die Academie Franęaise gibt ein Wörterbuch heraus, das seit seinem ersten Erscheinen, im Jahre 1694, acht Auflagen erlebt hat. Sie entscheidet darüber, ob ein Wort in diesen „Dictionnaire” aufgenommen wird, wodurch es Bürgerrecht in der Cite des Lettres, gesicherten Aufenthalt im Wortschatz des konformistischen Gebildeten erhält. Sie hat 1933 eine— umstrittene — Grammatik veröffentlicht, die als Gesetzbuch für Rede und Schreibe gedacht war. Sie verteilt Literaturpreise und sogar Tugendprämien. Die Mitglieder dieses Areo-

pags, vierzig an der Zahl, genießen einen hohen offiziellen und gesellschaftlichen Rang. Sie tragen bei festlichen Anlässen eine prächtige Uniform, den vielverhöhnten und doch so heiß begehrten Grünen Frack, nebst Zweispitz und Degen. Allein im wenig den Respekt vor amtlich geeichten Kompetenzen pflegenden Frankreich finden sich immer wieder Autoren, die in ihrem Stil und in ihrem Lexikon sich keineswegs um die Verfügungen der Akademie kümmern. Das sind oft d i e Verfasser, die den größten Erfolg, sei es beim breiten Publikum, sei es bei Snobs und literarischen Feinschmeckern, haben. Zum Überdruß kommen manche dieser Ungebärdigen zuletzt selbst in die Akademie, und die lange verpönten Worte ziehen in deren Dictionnaire ein.

II. Weit weniger begründet erweist sich die zweite Meinung als zutreffend, daß nur die besten Schriftsteller oder daß gar sie alle im Kreise der vierzig zu suchen seien, die man — halb ironisch, halb ernsthaft — die Unsterblichen heißt. Zunächst müssen wir vorausschicken, daß sie gar nicht beanspruchen, eine derartige absolute Auslese darzustellen. Die geschichtliche Erfahrung hat sie gelehrt, in dieser Hinsicht vorsichtig zu sein. Und wäre nur Moliėre, von dem sie mit Fug sagten: „Rien ne manquait ä sa gloire,

il manquait ä la notre”. Nichts fehlte zu seinem Ruhm, er fehlte zu unserem I Baudelaire, Verlaine, Rimbaud, Mallarme, Stendhal, Zola, Maupassant, Proust, Gide haben niemals der Akademie angehört. Und die erdrückende Mehrheit der Unsterblichen ist heute so gründlich unter die Bewußtseinsschwelle des kultivierten Durchschnittfranzosen gesunken, daß jedes Bemühen, diese einstigen Zelebritäten wieder emporzuholen vergebens wäre. Man muß sich darüber klar sein, was die würdigen, alten oder sehr alten Herren sind und zu sein haben, die „unter der Kuppel” ihres ehrwürdigen Palastes ihren Sitz einnehmen. Einer aus ihrer Mitte, der verstorbene hervorragende — und heute auch schon, mindestens außerhalb Frankreichs — vergessene Dramatiker Franęois de Curel definierte mir eine „illustre compagnie” einmal als „einen Salon, in den Einlaß zu finden man besondere literarische Gaben haben soll, ein Mindestmaß von gesellschaftlicher Stellung und guten Manieren haben muß und keine irgendwo gegen die jeweils herrschende Ordnung samt deren Urteilen und Vorurteilen verstoßende Ansichten oder Gewohnheiten offen zur Schau tragen darf”. Es handelte sich um die Frage, warum der von beiden geschätzte Poet Francis Jammes keine Aussicht besaß, seinen sehnlichen Wunsch nach dem grünen Frack erfüllt zu wissen. Ein Mann mit seinen Manieren eines ungeleckten Bären war unmöglich, obzwar er „guten Prinzipien” huldigte und sich als echter Dichter beglaubigt hatte. Seither hat man die Zügel etwas gelockert. Doch es hätte auch jetzt noch seine Schwierigkeit, etwa Louis Aragon — ob seines Kommunismus —, Sartre — wegen der zahlreichen von ihm gebotenen Angriffsflächen — den vierzig zu präsentieren. Auf der entgegengesetzten Seite hat es sich der sonst gar wohl geeignete Paul Morand verschüttet, weil er dem Regime von Vichy auf exponiertem Posten gedient hatte. Als seine Kandidatur Chancen zu gewinnen schien, warf de Gaulle ein Machtwort in die Waagschale, und der Exbotschafter Pėtains büßte, was der charmante Erzähler von „Ouvert la nuit” und „Fermė le jour” nicht verschuldet hatte. Gründe der Moral waren es, die dem genialen Wortkünstler und Seelenforscher Gidė die Pforten der Akademie versperrten. — Ihren aristokratischen Neigungen gemäß wählt die Akademie gerne und im Einklang mit ihrer gesamten Tradition außer Hochgeborenen von literarischen Qualitäten, auch Diplomaten, Politiker, führende Militärs. Bischöfe. Im Augenblick treffen wir freilich unter der Kuppel weder einen Geistlichen — seit dem Tod Kardinal Grentes — noch einen Staatsmann — seit dem Hinscheiden Herriots —; dafür Marschall Juin und General Weygand, die Botschafter Franęois- Poncet und d’Ormesson.

III. Die Wissenschaft ist stets stark vertreten. Den Vorzug genießen Historiker: Carcopino, der Meister römischer Kulturgeschichte, Gaxotte, dem die neuere Geschichte Frankreichs wesentliche neue Aspekte und die Revision vieler Vorurteile dankt, Chastenet, Publizist von Format, der Spuitus rec tor des „Monde” und Kenner britischer, allgemein-europäischer Entwicklung der letzten zwei Jahrhunderte, Daniel-Rops, einst als Romancier bekanntgeworden, berühmt jedoch als Kirchenhistoriker, der blendende Kunstforscher Huyghe, der kundige, einsichtige Germanist Graf d’Harcourt. Stiefmütterlicher sind die Philosophie

Gilson — und die Jurisprudenz — der gefeierte Pariser Rechtsanwalt Gar- ęon — behandelt, während es der Medizin und den Naturwissenschaften günstiger ergeht. Drei literarisch infizierte Ärzte von Ruf — Pasteur-Vallery- Radot, Enkel Louis Pasteurs und Verfasser vieler Bücher über diesen, Mon- dor, Monograph Maliarmes, und der Psychiater Deley, Spezialist der Gide- Forschung, erscheinen neben einem vierten Kollegen, dessen medizinische Antezedentien allerdings durch seinen Ruhm als Erzähler verdunkelt werden, Georges Duhamel. Hell strahlt die Glorie des Physikers und Nobelpreisträgers Herzog von Broglie, der diesen Titel erst kürzlich von seinem verstorbenen älteren Bruder, gleichfalls Mitglied der Akademie und einer Zierde der Naturwissenschaften, erbte. Weithin bekannt ist ferner der Biologe Jean Rostand, Sohn des Dichters Edmond. Vielleicht der auf dem Erdenrund populärste Unsterbliche ist aber der jüngst gewählte Renė Clair, Bahnbrecher des realistisch-romantischen Films, der erste Repräsentant der Eliten Muse in einem so hermetisch abgehegten Kreis.

IV. Nun haben wir bereits zwanzig Akademiker vorgestellt, ohne daß wir uns den Lieblingen Apollons zügewandt hätten, die sich der gemeine Mann in Frankreich und auch der ungemeine Herr außerhalb der Fünften Republik als Mitglieder deT Academie Franęaise denkt; die Poeten, die Dramatiker und die Erzähler. Was die ersten aus dieser Dreiheit anlangt, sieht es trüb aus. Cocteau, Duhamel, Mauriac, Montherlant, Jules Romains haben zwar jeder eine schöne Anzahl von Versen oder, wenn man will, eine Anzahl schöner Verse geschrieben: ihr Gepäck.,auf dem Weg ¥ttt tln er icMėit stfmmt jedöah aus dramatischen und der

Prosa. Cocteau, Montherlant, Mauriac vertreten zusammen mit Marcel

Achard und Pagnol sehr rühmlich das französische Theater. Als Romanciers sind elf Namen zu erwähnen. Pierre Benoit, Henri Bordeaux, Andrė Cham- son, Georges Duhamel, Maurice Gene- voix, Jacques de Lacretelle, Franęois Mauriac. Maurois. Jules Romains, Henri Troyat, Jean Louis Vaudoyer. Gegenwärtig leuchten am Horizont der Akademie keine Sterne vom Glanz eines Claudel, Valėry oder Bergson. Doch die Namen von Mauriac, Jules Romains, Montherlant und Cocteau sind, wenn nicht allen Zeiten, so doch unserer Epoche Bürgschaft dafür, daß der Strom französischer Dichtung und Sprachkunst unversiegt, wenn auch nicht mit steter Macht, weiterfließt.

In den letzten Jahren hat die Akademie einiges an ihren alten Bräuchen Jr.. .Hin w p’- ffirfti5&&0 at31?. oben, geändert. Nichts Umsturzendes ist geschehet), rindessen ‘hat sich’” jnancfo gewandelt, was man unerschütterlich gewähnt hatte. Es war Regel, daß jeder Kandidat zur Wahl in die illustre Gesellschaft sich nicht nur schriftlich anmelden mußte, sondern auch bei jedem Mitglied persönlich um dessen Stimme zu werben hatte. Von derlei mitunter sehr peinlichen Bittgängen waren nur königliche Prinzen, Kardinale und Marschälle befreit. Montherlant, dem man unter der Kuppel gar zu gerne inen Fauteuil eingeräumt hätte, wei gerte sich, die üblichen Besuche bei den bereits Unsterblichen abzustatten. Und siehe da, es ging auch so. Er wurde gewählt. Seither, kaum ein Jahr ist verflossen, bedarf es nicht mehr der Vorsprachen noch der oft ge- gegebenen und nicht gehaltenen Versprechen, um in die Akademie einzuziehen. Die eigentliche Kür aber ist ,pfpM eb]jfb,S2- -geschieht turen die am Wahltag anwesenden Ätfrwj ßjl,. mit eįtjfach . §timmen- mehrneit. Der Erkorene wird einige Monate später in feierlicher Sitzung, zu der sich das „Tout Paris” als Zuseher drängt, in die Akademie aufgenommen. Zwei Paten aus den vierzig begleiten ihn. Er wird von einem dazu bezeichneten nunmehrigen Kollegen in sorgsam vorbereiteter Rede begrüßt, die viel Lob, aber auch versteckte oder offene Bosheiten an die Adresse des Neugewählten enthält. — Dieser hat den Nachruf auf seinen Vorgänger zu sprechen, dessen Fauteuil er bekommt. Die Zuhörerschaft genießt mit Entzücken den Austausch der rhetorischen Meisterstücke, die darnach der „Monde” auf vielen Spalten veröffentlicht. Schließlich werden die Novizen dem Staatschef, der Protektor der Akademie ist, vorgestellt.

Wenn sich unter der Kuppel so wenig ändert und das nur im besinnlichen Tempo, so liegt die Ursache daran nicht nur in einem erstarrten Konservativismus, von dem bei mindestens der Hälfte der Akademiker nichts zu spüren ist — in ihren Reihen halten sich die Rechte und die Linke ungefähr das Gleichgewicht. Weltanschaulich findet man alle Nuancen, vom schroffen Atheismus des materialistischen Biologen Rostand über den humanitären Liberalismus Duhamels und Jules Romains bis zum Linkskatholizismus Mauriacs zum sehr „reaktionären” Massis und zu den ganz blauweißrot angestrichenen Weygand und Juin. Ausschlaggebend für das ruhige Klima in der Akademie scheint mir das Alter der Unsterblichen, das sie möglicherweise nicht vor Torheit, doch vor Ungestüm und Umschwüngen schützt. Von den achtunddreißig lebenden Trägern des grünen Fracks sind zwei mehr als neunzig Jahre alt (Weygand 93, Bordeaux 91), einer mehr als achtzig, einundzwanzig zwischen siebzig und achtzig, zehn zwischen sechzig und siebzig, drei zwischen fünfzig und sechzig (Delay, Huyehe, Daniel-Rops) und nur einer, der Benjamin, Troyat, übrigens ein gebürtiger Russe namens Tarasow, „in frühester Jugend”, neunundvierzig. Die Herren Mitglieder der Academiė Franęaise haben mit dem Weine das gemeinsam, daß sie eine gute Anzahl Jahre heranreifen müssen, ehe sie ihre volle Würze erreichen.

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