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Der „hinterfotzige Hinterwäldler" Jean Paul

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Provinz als eine Region des Her zens war dem zeitlebens in Kleinstädten lebenden Jean Paul völlig fremd. Geistig bewegte er sich zumeist entweder in den Himmelssphären oder unter der Erde (dort, wo sein Gustav, der „Held" aus der „Unsichtbaren loge", die ersten Lebensjahre verbringt). Geographisch hingegen sind seine Reisen nach Weimar, München oder Stuttgart schon die große weite Welt; gar nicht zu reden von Bayreuth, wo er die letzten Lebensjahre verbringt, und das damals noch nicht zum Walhalla verkommen war. (Dem Bezensenten geht es leider nicht so gut wie Jean Pauls Biographen Rolf Vollmann, dem ein gütiger Verleger gestattete, sich Jean Pauls Umgang mit Fußnoten zu eigen zu machen; ich muß deshalb die Anmerkungen - ganz ohne Sternchen - zwischen häßliche Klammern pressen.)

Sie sehen jetzt schon, lieber Vielkopf (so nennt Jean Paul nach dem Sprachforscher C. H. Wolke, der auch für des Dichters eigentümliche Orthographie verantwortlich ist, das Publikum), eine ordentliche Rezension kann daraus nicht werden. Das hat seinen Grund allerdings nicht im Unvermögen des Kritikers, sondern in den Büchern Jean Pauls sowie in dem vorliegenden Buch seines neuesten Biographen.

Der schreibt (wie könnte es anders sein, in einer Fußnote), daß Jean Paul im Gegensatz zu J. M. Simmel, der ;,vorher immer überall hin" muß, fast alles beschreibt, ehe er es gesehen hat. Wer innerlich so einzigartig reich ist. wie Jean Paul, der muß nirgendwo hin, um Bücher zu schreiben, die „voll Welt, voll Leben" sind, wie Bobert Walser über die „Flegeljahre" urteilte.

Es spricht sehr für den Biographen, daß es schwer fällt, sein Buch zu besprechen, weil nach dessen Lektüre die Versuchung allzu groß ist, über Jean Paul und seine Bücher zu schreiben. Rolf Vollmann hält sich nicht mit der alten Frage auf, warum ein so toller (ein Wort Jean Pauls) Autor so wenig gelesen wird, sondern läßt ihn ständig selbst zu Wort kommen und zwingt damit den Leser (wie in so manche Fußnote) in das Werk. Deshalb ergibt sich alsbald nur die Alternative, entweder die Lektüre der Biographie zu beenden oder mit der Lek-türe der Bücher Jean Pauls zu beginnen. Wie so manches andere hat Voll-mann diese „naive Hinterfotzigkeit" beim Gegenstand seiner Lebensbeschreibung gelernt.

Doch Vorsicht: Entweder man erkennt in diesem Johann Paul Friedrich Bichter, geboren 1763 in Wunsiedel im Fichtelgebirge, einen unvergleichlich geistreichen und (das ist selten) humorvollen Schriftsteller deutscher Zunge, oder man wendet sich ab mit (mehr oder weniger) Grauen. Apropos unvergleichlich: Goethe wußte mit diesem Sonderling, der im Gegensatz zum Geheimrat das Schreiben zu wichtig nahm, um ein ordentliches Amt anzunehmen, nichts Bechtes anzufangen und Schiller redet (in anderem Sinne als von ihm gemeint sehr treffend) von einem, „der aus dem Mond gefallen ist".

Verstanden haben sie ihn also nicht, die 1 ,iteraturpäpste, und in Anbetracht des „Literarischen Quartetts" besteht kein Zweifel, daß sich daran bis heute nichts geändert hat. Frei nach Lichtenberg (übrigens einer der wenigen, mit denen Jean 1 'aul, jedenfalls als Aphoristiker, vielleicht doch zu vergleichen ist) unterschi :idet sich Vollmann genau darin von den professionellen Literaturrezipiei iten. Er hat keine kritische Distanz zu seinem Autor, weil er sich auf ihn einläßt, und zwar ganz. Man kann dann zum Beispiel nicht mehr so einfach von schlechtem Stil reden, wenn einem etwas nicht gefällt, weil man die stilistische Anarchie als Teil des Selbstverständnisses des Autors erkannt hat.

Jean Paul war ein herrlich unkonventioneller Mensch und schrieb ebenso. Freilich, bei den Kleinbürgern in Hof (das Provinznest, das nur einmal, nämlich im Herbst 1989, historische Bedeutung erlangte), wo er das Gymnasium besuchte und als Student aus Geldmangel zurück zu seiner Mutter mußte, galt der in vielerlei Hinsicht unorthodoxe Satiriker (als solcher begann er seine literarische Laufbahn) als Atheist und war auch sonst übel beleumundet. Aus Armut war er nämlich gezwungen, Schulden zu machen, und, der damaligen Mode zuwider, mit unbedecktem Hals und mit Bart umherzulaufen. Etwas später verdingte er sich als Hofmeister (Vollmann würde hier von „gekalauert" sprechen), der den Hofern ins pädagogische Stammbuch schrieb: „Da der blöde, enge, ängstliche Anstand der dümmste und unnatürlichste ist, so lehren Sie den Kindern den besten, wenn Sie ihnen keinen befehlen ..." Das allerdings steht nicht einmal als Zitat bei Vollmann, sondern nur in der „Unsichtbaren Lo-ge".

Verachtung hatte Jean Paul aber nicht nur für die Hofer, sondern auch für Fürsten- und Kasernenhöfe. Über eine Kirchenparade etwa schreibt er, daß dort „der Offizier die,Seelen einmal zu Gott kommandierte, die er sonst zum Teufel gehen hieß". Und da zu seiner Zeit der Fürstenhof des Bö-mischen Reiches Deutscher Nation in Wien war, läßt er den Hofdichter Oe-fel aus Wien sein, „wo zwar kein Erdbeben einen Parnaß, aber doch die Maulwurfs-Schnäuzchen von hundert Broschüristen Duodez-Parnäßchen aufstießen und wo die daraufstehenden Wiener Bürger denken, der Neid blicke hinauf, weil der Hochmut herunterguckt". (Nun sage niemand mehr, man muß etwas gesehen haben, um es beschreiben zu können.)

Man sieht schon, beliebt hat er sich nicht gerade gemacht, am ehesten noch bei den Frauen; aber auch da nicht bei allen, weil er die Gabe der „Simultanliebe" besaß. Das erklärt wohl auch, daß er sich mehrmals hintereinander verlobt, aber immer wieder aus dem Staube macht. Die Frauen, die ihn lieben, erkennen ihn zwar am besten, sind aber dann, wie etwa Charlotte von Kalb, verbittert, wenn sie entdecken, daß dieser Mensch „in bestimmter Hinsicht nicht eigentlich lebt" (wie sein Biograph formuliert), sondern daß ihm das lieben nur Folie für die Literatur ist: „Wir sind ihm alle nur Ideen, und als Personen gehören wir zu den gleichgültigsten Dingen", schrieb Charlotte von Kalb an Karoline Herder und hatte ihn damit ziemlich durchschaut.

Für seine Verehrerinnen mag das betrüblich gewesen sein, für uns Heutige ist es ein ungeheurer Gewinn. Denn sonst wäre nicht eines der eigenartigsten Prosawerke deutschsprachiger Literatur entstanden. Gut lesbar, flüssig geschrieben oder was es sonst heute als Kriterien zur Beurteilung eines Buches gibt, sind Jean Pauls Romane (die in Wahrheit ein einziger Roman sind) wahrlich nicht, aber ...

Nun habe ich also doch über Jean Paul geschrieben. Aber das ist das Raffinierte an Vollmanns Buch: En pas-sant erfährt man doch auf den (im Vergleich zu Jean Pauls Büchern) wenigen Seiten sehr viel über das Leben des Dichters und hat zugleich auch eine Menge von ihm gelesen.

So sehr der Herr Verleger also für die Herausgabe dieses Buches zu loben und meinetwegen auch für das Porträt auf dem Umschlag zu bedanken ist (was der Autor in einer Fußnote macht), so sehr möchte man ihn (da er kein Kind ist, braucht man Jean Pauls Erziehlehre ja nicht anzuwenden) den Umschlagtext so oft abschreiben lassen, bis er die an Phra-senhaftigkeit unüberbietbaren Worte „brilliantes Kabinettstück" wieder ausgespuckt hat.

DAS TOLLE NEBEN DEM SCHÖNEN-JEAN PAUL

Von Rolf Vollmann.

Eichborn Verlag, Frankfurt 1996.

264 Seiten, geb., öS267,-

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