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Der junge Schnitzler

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JUGEND IN WIEN. Eine Autobiographie. Von Arthur Schnitzler. Herausgegeben von Therese Nickel und Heinrich Schnitzler. Verlag Fritz Molden Wien — München — Zürich, 1968, 384 Seiten, 16 Kunstdruckbilder. S 168.-.

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JUGEND IN WIEN. Eine Autobiographie. Von Arthur Schnitzler. Herausgegeben von Therese Nickel und Heinrich Schnitzler. Verlag Fritz Molden Wien — München — Zürich, 1968, 384 Seiten, 16 Kunstdruckbilder. S 168.-.

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Wie die Herausgeber mitteilten, hat Arthur Schnitzler seine Autobiographie im Mal 1915 begonnen, während der folgenden Jahre weitergeführt und im August 1918 zunächst abgeschlossen. Der Plan zu einer solchen bestand jedoch schon viel früher, wie aus Notizen hervorgeht, deren früheste von 1901 stammt. Das Werk sollte bis zum Jahre 1900 führen, doch gedieh es nur bis 1890. Den Titel bestimmten die Herausgeber an Stelle des von Schnitzler gewählten „Leben und Nachklang — Werke und Widerhall“, da die Autobiographie zu einer Zeit endet, da ihr Verfasser als Dichter noch kaum in Erscheinung getreten ist. Dem Text sind ein Nachwort von Friedrich Torberg, Schnitzlers Lebensdaten und Werkverzeichnis sowie Anmerkungen und ein Register angefügt.

Diese Autobiographie, die wohl aus Rücksicht auf noch lebende Personen nicht früher veröffentlicht werden konnte, ist nicht nur für die Lebensgeschichte des Dichters und seine literarischen Anfänge, sondern auch für die gesellschaftlichen Zu- stände letzten derts sehr aufschlußreich. Schnitzler schrieb sie auf der Höhe des Lebens, als berühmter Autor, mit der nötigen kritischen Distanz zu dem Erlebten. Er sah weder seine eigene Jugend noch die Zeit in einem verklärenden Licht, als großer Seelenkenner diagnostizierte er sachlich menschliche Schwächen — auch die eigenen — und die Gebrechen einer Gesellschaft, die von den ihr drohenden Umwälzungen nichts sehen wollte.

Es ist die Geschichte eines jungen Menschen aus einer liberalen großbürgerlichen Wiener Familie, der zur Erkenntnis seiner wahren Berufung heranreift. Schnitzler erzählt führlich von 'seinen Eltern, den wandten und Freunden, von Universitätsstudien, den vielen beleien und tieferen Beziehungen, von der Dienstzeit als seinen Reisen und den öffentlichungen. Die Schilderung erfordert einige Geduld. Diese Erzählung einer Jugend ist durchwebt von autobiographischen Motiven, die in den Werken des gereiften Mannes immer wieder gestaltet werden: die Erlebniswelt, die von den besonderen Stimmungen und Problemen des beige- wenig Leser diesem österreichischen Fin de siede geformt wird. Wir erfahren auch einiges über die „Urbilder“ von Schnitzlers Gestalten — Anatol, das „süße Mädel“, Hofreiter —, und wenn auch das dichterische Ergebnis und nicht der „Anlaß“ das Wichtige ist, so sind doch diese Zusammenhänge interessant. Sehr viel berichtet Schnitzler über seine zahlreichen frühen dichterischen Versuche, die unveröffentlicht blieben, aber im Hinblick auf sein späteres Schaffen bemerkenswert sind. Schon dem Kinde schenkte das Erlebnis des Theaters die Einsicht in die „Welt des Spiels“ und trug so zur „Entwicklung jenes Grundmotivs vom Ineinanderfließen von Emst und Spiel, Leben und Komödie, Wahrheit und Lüge“ bei, das für den Dichter so charakteristisch ist. Sein Leben in den achtziger Jah-ren kennzeichnet er selbst mit den Worten: „dieses hundertfach zerstreute Dasein eines jungen Arztes, Dichters und Lebemannes, der in Medizin, Poesie und Leben in bösen Stunden stümperte, in guten bestenfalls dilettierte, dessen Wesen von niemandem gekannt, von ihm selbst kaum geahnt wurde …“

Auch in dieser Autobiographie zeigt sich uns Schnitzler als Meister der nuancierten Charakterzeichnung, wenn er seine Zeitgenossen, oft mit feiner Ironie, porträtiert. Das Buch .ist zwar keine literarische „Sensation“ im üblichen Sinne, es fügt dem Bild Schnitzlers keine wesentlich neuen Züge hinzu, aber sein Wert liegt in der Erhellung der äußeren und inneren Lebensumstände, unter denen sich des Dichters Entwicklung vollzog.

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