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DER MANN IM SCHATTEN

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"Els ist schon immer ein fragwürdiges Erbe gewesen, Träger •*-' eines Namens sein zu müssen, den ein anderer berühmt gemacht hat, erst recht dann, wenn man, von falschem Ehrgeiz beseelt, sich in demselben Metier betätigen wollte, ohne daß eine entsprechende Begabung vorhanden gewesen wäre. Aber es gibt auch Ausnahmen, und eine solche war Johann Strauß’ Sohn, denn sein Ruhm überflügelte bald den seines Vaters, dessen Antipode Lanner ebensobald durch ihn in den Schatten gestellt wurde.

Nun ist Genialität allgemein nicht ohne weiteres vererbbar, und gewöhnlich haben auch Genies eine ganz andere Laufbahn eingeschlagen als deren Väter. Dieser Erfahrungstatsache wollte auch Johann Strauß’ Vater Rechnung tragen, indem er es seinen Söhnen verbot und, soweit es ihm möglich war, auch zu verhindern suchte, daß diese den Musikberuf ergriffen. Aber Talente lassen sich auf die Dauer nicht unterdrücken. Dies bewies sehr bald sein ältester Sohn Johann, in welchem der Drang, sich ebenfalls musikalisch zu betätigen, übermächtig war.

Einer Verkettung von schicksalhaften Umständen verdankt die Welt aber auch das dritte Genie aus der Strauß-Dynastie, das, weniger bei Lebzeiten, als heute, unter dem Umstande leidet, Träger eines berühmten Namens zu sein. Das ist J o- s e p h S t r a u ß, der Mann im Schatten gleich von zwei Trägern des berühmten Namens, dem seines Bruders und dem seines Vaters. Nicht nur Johann Strauß durfte nach dem Willen des Vaters nicht Musiker werden. Dasselbe Schicksal sollte auch dem fähigsten der anderen Söhne, Joseph, zuteil werden. Er wurde für die solide Laufbahn eines Technikers bestimmt, als welcher er sich auch bewährte.

Aber da trat ein Ereignis ein, welches seinem Leben eine andere Richtung, ja eine entscheidende Wendung geben sollte. Das Schicksal war ihm — und noch mehr seiner Mit- und Nachwelt — gnädig, als es ihn zwang, verhältnismäßig spät, jedenfalls bedeutend später als seinen Bruder Johann, der ihm dadurch auch schon rein zeitmäßig überlegen war, einen Berufswechsel zu vollziehen, wie er in seiner Gegensätzlichkeit wohl einmalig ist und bis dahin ohne Beispiel war, nämlich den Konstruktionszeichentisch mit dem Dirigentenpult zu vertauschen. Das Familieninteresse erforderte es, daß Joseph seinem Bruder helfend beisprang, um diesen zu entlasten. Es war eine glückliche Wahl, denn wer hätte es besser gekonnt als er, hatte er doch bereits im Jahre 18 53 in seinem Debüt im „Zeisig“, als er Johann Strauß vertreten mußte, der aus gesundheitlichen Gründen das Bad Neuhaus bei Cilli aufsuchen mußte, seine Eignung nicht nur als Dirigent, sondern auch als Komponist unter Beweis gestellt mit dem Walzer: „Die Ersten und die Letzten", opus 1.

Joseph Strauß war kein Öräuiganger. Als-stille iftfiende Natuf der Öffentlichkeit eher abgewandt und überbescheiden, obwohl grundmusikalisch, drängte es ihn nicht nach Ruhm. Ja, er dachte im Ernst nie daran, sich der Musik als Beruf zu widmen, und war auch durchaus nicht überzeugt, es auch als Komponist je zu Erfolgen zu bringen. Aber durch die praktische Betätigung in der musikalischen Leitung des Orchesters angeregt, erwachte das bislang in ihm nur schlummernde Talent, und in schnell erwachtem Schaffenstrieb folgte Werk auf Werk, ihn rasch und steil zum Ruhm führend Wären nicht Lanner und Strauß Vater und Sohn Johann, so würde sein Name allein als erster Repräsentant des klassischen Wiener Walzers auch heute noch glänzen.

Wieviel er mit seinen Werken zum Ruhm seines glücklicheren Bruders Johann beigetragen hatte und noch immer beiträgt — wer vermag es zu ermessen? Kommt es doch leider auch selbst in offiziellen Programmen in Wien heute noch vor, daß Werke von Joseph Strauß unter „Johann Strauß“ aufgeführt werden! Wenn man da. selbst von ..Gebildeten“, besonders aus dem Ausland, gar aus Übersee, zu hören bekommt: „Strauß? Ach ja, ich weiß: Donauwalzer, Radetzkymarsch, Walzertraum — Rosenkavalier. ..", wer will es dann solchen Leuten verargen, wenn man selbst in Wien oft nicht recht Bescheid weiß? Gerechtigkeit läßt man ihm allerdings noch in den schon zur Tradition gewordenen Konzerten widerfahren, die unter dem nie versagenden Zugtitel „Johann und Joseph Strauß" angekündigt werden und die immer ausverkauft sind.

Wieviel wurde doch und wird noch immer über Lehar geschrieben, über Fall, Kalman, Eysler, Ziehrer, um nur einige zu nennen? Nicht zu reden über die große Anzahl von Büchern, die Johann Strauß Sohn zum Gegenstand haben. Joseph Strauß hingegen wird, wenn überhaupt, so nur am Rande erwähnt, und auch nur, wenn zuerst von seinem Bruder Johann die Rede war. Er steht eben im Schatten. Es ist ein Unrecht, das ihm die Welt widerfahren läßt, wenn er nur als Bruder des großen, berühmten Johann Strauß Geltung erlangen kann. Man muß nur bedenken, welchen Rang Joseph Strauß heute einnehmen würde, wenn es einen Johann Strauß nicht gegeben hätte! Zweifellos ist er nach Johann auch heute noch der Walzerkönig, wenn wir ersterem den Titel eines Walzerkaisers einräumen wollen. Tatsache ist, daß Joseph Strauß zu Lebzeiten nicht weniger gefeiert wurde als sein Bruder Johann und gleich diesem ein Liebling nicht nur der Wiener, sondern der ganzen Welt war. Wenn diese ihn heute auch vergessen hat, so muß man ihm doch auch in Worten noch die ihm gebührende Anerkennung zollen, die ihm zwar in Tönen immer noch und immer wieder dargebracht wird, was aber auch oft genug auf Konto seines berühmten Bruders geht. Es wäre undankbar, dies nicht einmal festzustellen.

Wir dürfen auch, wenn wir Joseph Strauß volle Gerechtigkeit angedeihen lassen wollen, nicht übersehen, daß er es war, der durch Übernahme der Dirigententätigkeit für seinen Bruder es diesem erst ermöglichte, sich voll und ganz nur dem kompositorischen Schaffen widmen zu können. Was hätte die Welt noch für Schätze zu erwarten gehabt, wäre Joseph Strauß dieselbe Zeit geblieben wie Johann? So aber mußte er sich in aufreibender Tätigkeit für diesen opfern, ein Verdienst, das bislang überhaupt nicht gewürdigt worden ist. Die Welt müßtees eigentlich Joseph mitdanken, daß er so dazu beitrug, die Schaffenskraft Johanns, ungeschmälert durch andere Berufspflichten, erhalten zu haben.

Das mag auch mit Schuld an seinem so frühen und tragischen Ende gehabt haben. Sonntag, den 17. April 1870, trat er in Wien im Musikvereinssaal zum letztenmal auf, um dann eine Konzertreise nach Warschau anzutreten, von der er todkrank nach Wien zurückkehrte. Er starb am 22. Juli desselben Jahres und wurde am 25. Juli auf dem Friedhof zu St. Marx im Grabe seiner Mutter und Großmutter beigesetzt. Die gesamte musikalische Welt betrauerte das so frühe Hinscheiden des genialen Musikers. Auf die Legenden, die sich um seinen Tod und dessen Ursache rankten, über die verschiedene Versionen in Umlauf sind, soll hier nicht eingegangen werden.

Wäre es Joseph Strauß vergönnt gewesen, ein so hohes Alter zu erreichen wie sein Bruder Johann, so wäre er zumindest auf eine ebenso hohe Opuszahl gekommen wie dieser, denn er schuf in siebzehn Jahren an dreihundert Kompositionen neben zweihundert Arrangements, so daß Joseph Strauß eigentlich der Produktivste war. Wenn man rein rechnerisch die Zahlen vergleicht, so kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, daß er dabei seinen Vater fast um das Doppelte übertraf und seinem Bruder sehr nahekam, der in 55 Jahren bei fünfhundert Werke schuf. Darin sind zwar auch die Bühnenwerke enthalten, aber man muß bedenken, daß sich Johann Strauß ganz von der Dirigententätigkeit zurückzog und so nur seinem Schaffen leben konnte, während Joseph Strauß seine Werke neben dem so überaus anstrengenden Musizieren schrieb. So gemessen, rein quantitativ, muß man auch Joseph Strauß den ihm gebührenden Anteil an Ruhm zubilligen.

Es gibt nicht wenige und gerade kultiviertere Musiker, die ohne Bedenken den Werken von Joseph Strauß den Vorzug geben, in. welchem sie den Lyriker unter den Walzerkomponisten, den Schubert der Tanzmusik sehen — und auch von anderen gesehen haben wollen. Man kann sogar finden, daß die Musik von Joseph Strauß mehr der seines Vaters nahesteht als jene des Sohnes Johann. Vielleicht ist das der Unterschied: Einen Walzer von Johann Strauß kann man fiedeln, geigen, hinlegen, wirbeln, schmeißen — er wird dadurch kaum etwas von seiner Wirkung einbüßen. Einen Walzer von Joseph Strauß aber muß man zelebrieren, denn er ist empfindlich, zerbrechlich wie feinstes Porzellan . . .

Man begegnet auch immer wieder der Meinung, daß manche Melodien, die später von Johann Strauß ei schienen sind, eigent-lieh von Joseph Strauß stammen, die bei der engen Zusammenarbeit der Brüder, vielleicht ohne jede böse Absicht, vielleicht sogar im Einverständnis, gemeinsam verwendet wurden. Denkbar wäre es immerhin, denn selbst in der eigenen Familie raunte man es sich zu, daß Johann aus dem.Nachlaß seines Bruders Melodien übernommen habe. Angeblich ließe sich aus dem abweichenden Duktus mancher Stellen eine fremde Urheberschaft herauslesen. Klatsch braucht eben Stoff! Selbst ein Shakespeare muß es sich gefallen lassen, daß man seine Urheberschaft, ja sogar seine Existenz, anzweifelt. Jedenfalls erschien die „Pizzikato-Polka“ unter dem gemeinsamen Titel von Johann und Joseph Strauß, die „Schützenquadrille" gar unter dem aller drei Brüder, wie auch im „Trifolium-Walzer" die familiäre Zusammenarbeit offen zugegeben wird.

Wir wollen da Johann Strauß nicht im geringsten nahetreten — er hatte es bestimmt nicht notwendig, bewußt Anleihen zu machen, und wenn es tatsächlich der Fall gewesen sein sollte, so tat er es bestimmt nicht aus persönlichem Ehrgeiz oder gar aus gewinnsüchtigen Motiven heraus, sondern ihm als echtem Künstler galt sicherlich das Werk als solches zunächst einmal alles, dem sich andere Bedenken, etwa nach der Art des Zustandekommens, unterordnen mußten oder die überhaupt erst gar nicht aufkamen, zumal es damals noch kein modernes Urheberrecht im heutigen Sinne und Umfang, noch keine Verwaltungsgesellschaften, Aufführungsrechte und mechanische Musikerträgnisse gegeben hat, die geschäftlich ausschlaggebend gewesen wären. Aber man darf ruhig behaupten, daß der wahre Wert, der innerliche Gehalt der Werke von Joseph Strauß an die Johanns nicht nur heranreicht, sondern sie in manchen Fällen sogar noch übertrifft. Johann war nur der robustere, der populärere, der Liebling der Welt Nr. 1.

Nicht wenig Wiener Lokalhistorie, aber auch österreichische

Geschichte spiegeln die Titel, und vielleicht noch mehr die Erstaufführungsdaten mancher Werke wider: so opus 180: „Prinz-Eugen-Marsch“, erstaufgeführt am 8. Oktober 1865 im Volksgarten anläßlich der für 15. Oktober 1865 angesetzten Enthüllung des Prinz-Eugen-Denkmals auf dem Heldenplatz in Wien; opus 90: „Gruß an München“, Polka franęaise, erstaufgeführt beim Bankett im k. k. Augarten anläßlich der Eröffnung der k. k. Elisabethbahn (der heutigen Westbahn); der „Schwarzenberg-Monument-Marsch“, opus 210, aus dem Jahre 1867; der Walzer „Heldengedichte“, opus 87, erste Aufführung am 2. Mai 1860 im Volksgarten anläßlich der am 25. Mai 1860 stattgefundenen Enthüllung des Erzherzog-Carl-Denikmals; die „Colosseum-Quadrille“, zur Eröffnung von Schwenders Colosseum als opus 175 am 8. Jänner 1865 erstaufgeführt. Man rümpfe nicht die Nase ob solcher Gelegenheitskompositionen.

Man denke an Beethovens „Weihe des Hauses", an das Ochsenmenuett, an Verdis „Aida“, die zur feierlichen Eröffnung des Suezkanals bestellte Oper! Dem Medizinerball vom 22. Jänner 1867 verdankt die Welt den unvergänglichen „Delirienwalzer“, opus 212, und einer Widmung zum Fest des Wiener Kassenfabrikanten von Wertheim die Polka „Feuerfest!“, opus 269. Wer möchte sie heute missen? Gegenwärtig wohl am meisten gespielt wird der Walzer „Mein Lebenslauf ist Lieb’ und Lust“, als opus 263 erstaufgeführt am 7. Februar 1869 beim Studentenball in der k. k. Redoute, und „Dorfschwalben aus Österreich“, opus 164, erstaufgeführt am 6. September 1864 beim Volksgartenfest ebenso wie opus 166 „Frauenherz“, Polka mazur. Beim Industriellenball am 30. Jänner 1865 in der k. k. Redoute erklang zum erstenmal der „Dynamiden- Walzer“, opus 173 („Geheime Anziehungskräfte“), von Karajan und den Philharmonikern auch auf die Platte gebannt, der „Aquarellen-V lzer" iür ,dęp Kwnstfev p. .He m1'; im,, flianasaal 1„J jyr-Ent? n auch heute noch•• bei--jeden Aufführung die „Libelle"; Polka* mazur, opus 204, aus dem Jahre 1866 hervor wie der Walzer „Sphärenklänge“, opus 235, der eine Standardpiece besserer Unterhaltungsprogramme ist Als Unikum möge noch erwähnt werden, daß der Walzer „Freudengrüße“, opus 128, vom 9. November 1 862, heute fast gar nicht mehr gebracht, als „Grillenbanner-Marsch“ von — Lindemann fröhliche Urständ feierte und einer der meistgespielten Militärmärsche der Monarchie wurde, den man aber heute auch fast gar nicht mehr hört. (In alten Marschbüchern kann man den Marsch sogar noch unter dem Titel „Freudengrüße" finden!) Überhaupt begegnet man in den Annalen der Musikgeschichte Wiens Namen von Unterbaltungsstätten. die früher einmal nicht nur für die Wiener, sondern auch für die Welt einen Klang hatten, wie der Dianasaal, Sperl, Weghuber, Casino Linger, die „Neue Welt“, „Grüner Zeisig'1 und viele andere, wo sich die Wiener unterhielten — und das haben sie gründlich verstanden! —, wo sind sie heute? Lediglich der Volksgarten und die Sofiensäle haben sich behaupten können.

Th: Operetten hat es Joseph Strauß bei Lebzeiten nicht ge- bracht — nicht durch seine eigene Schuld —. denn sein Einspringen für seinen Bruder Johann ermöglichte es diesem, sich ganz dem Komponieren, und besonders dem von Operetten, zu widmen, die mehr Konzentration und Schaffenskraft verlangen, als eine aufreibende Dirigententätigkeit zuläßt, der sich Joseph zugunsten seines Bruders Johann unterziehen mußte, auch aus wirtschaftlichen Gründen! Denn das Musizieren brachte sofort Geld ins Haus, das die Familie zu ihrem Unterhalt benötigte. Bis eine Operette soweit gediehen war, das dauerte lange, und in der Zwischenzeit mußte man doch leben können! Erst nach seinem Tode konnten in der von Josef Reiterer mit Musik von Joseph Strauß versehenen Operette „Frühlingsluft“ die unvergänglichen Melodien auch als Bühnenwerk erscheinen, das auch heute noch eine unverminderte Zugkraft aufweist.

VTfenn den Wienern Joseph Strauß besonders liegt, so vor ” allem deswegen, weil seiner Musik noch mehr wie der von Johann Strauß jener Schuß von Wehmut und Schwermut nicht fehlt, der auch dem echten Wiener bei all seiner Heiterkeit zu eigen ist, der mit sein Wesen bestimmt und der es auch ist, der die Wiener Operette weltberühmt gemacht hat: Mit einem Auge lachen, mit einem Auge weinen — was auch bei allen alten Wiener Liedern immer wieder zum Ausdruck kommt: „Es wird ein Wein sein - und mir wem nimmer sein, s wird schöne Maderln gehn - und mir wem nimmer lebn . . diese Philosophie spiegelt auch die Musik von Joseph Strauß wider, die sich dadurch zu symphonischer Ausdrucksweise emporschwingt, wie sie sich besonders in der Introduktion und im Coda auslebt und die Strauß-Walzer zum Kunstwerk stempelt. Ist Johann Strauß der internationalere, so ist Toseph Strauß der wienerischere, wenn man so sagen darf. Viele lieben ihn in seinen Werken, oft unbewußt, aber nur wenige kennen ihn wirklich!

Vor Jahresfrist, anläßlich seines 90. Todestages, hätte man sich seiner erinnern können — erinnern müssen! Aber die Welt nahm nicht Notiz davon. Trotzdem: Joseph Strauß wird weiterleben in seinen Werken, die Generationen überdauern, auch in der heutigen, so raschlebigen Zeit.

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