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Der Pump

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Bedenkt man di schrecklichen Gefahren, derien sich ein Dieb be.i seinem Handwerk aussetzt, so leuchtet ein, daß Pumpen zweifellos die bequemere Art ist, sich fremdes Geld anzueignen. Die Wirtschaft dieser Welt beruht darauf, daß möglichst wenig Menschen stehlen, dagegen möglichst viele Kredit nehmen oder geben: und darum genießt der Pumpende, an der sozialen Notwendigkeit des Kredits schmarotzend, jene vollen bürgerlichen Ehren, deren der dumme Dieb verlustig geht. Der Dieb wartet, bis man wegschaut, der Pumpende schaut uns offen und blau ins Auge. Der Dieb nimmt mit eigener Hand; der Pumpende nimmt auch, aber mit der unsrigen. Also besteht die Kunst des Pumpens darin, diese fremde Hand in Bewegung zu setzen.

Der Pump besteht aus dem Vorspiel, dem Pumpen selbst und dem Nachspiel.

Neben der sorgfältigen Wahl des Schauplatzes besteht das Vorspiel in der geeigneten psychischen Vorbehandlung des Menschen, der da angepumpt werden soll. Dieser Mann kann in seiner eigenen Wohnung angegangen werden — dann geniert er sich als Gastgeber; oder in der Wohnung des Pumpenden — dann geniert er sich als Gast; oder endlich an einem neutralen Ort, wie Straße und Lokal — dann geniert er sich eventuell gar nicht. Deshalb sind Straße und Lokal weniger geeignet. Es sei denn, daß sie eine gesellschaftliche Umgebung stellen, vor welcher sich der Betroffene eventuell doch geniert.

Wie beim Fangen der Zieselmaus alle Erdausgänge zugegossen werden, außer jenem einen, durch den sie direkt ins Netz springt, so beisteht auch die psychische Vorbehandlung des Anzupumpenden in der unauffälligen Wegnahme aller Ausfluchtmöglichkeiten. Die unumgängliche Betonung seines blühenden Wohlstandes wird am zweckmäßigsten dadurch erreicht, daß man ihn durch Schmeicheln zum Prahlen über seine Besitztümer verlockt. Wichtig ist ein versteckter Hinweis auf die elende ökonomische Lage des Mannes, der da pumpen will. (NB. Dieser Hinweis ist oft gefährlich und wird besser durch eine zu erwartende Erbschaft ersetzt.) Anfeuernd wirkt die warme Hervorhebung des Um-standes, daß alle Menschen Brüder sind. Auch schadet es nichts, einen abwesenden X ob seines Geizes leicht zu tadeln. Dagegen darf in diesem Vorstadium das Motiv der Ehre und Ehrenhaftigkeit nur sehr sanft anklingen, weil sonst Verdacht geschöpft wird.

So vorbereitet, ist nun der psychologische Moment zum Ansetzen des Pumps gekommen. Er-stes Erfordernis ist hierbei Blitzesschnelle, damit der Betroffene keine Zeit zum Ausdenken einer abschlägigen Antwort finden kann. Gut ist auch, sofort ein sentimentales Geschoß nach-zufeuern, z. B. daß das Kindchen des Anpumpenden gerade heute Geburtstag hat. Zugleich soll aber im Ton eine gewisse Nonchalance liegen, als ob sich Gentlemen gelegentlich selbstverständlich aushülfen. Auch muß das genaue Kalenderdatum der Rückgabe eindringlich genannt werden.

Hat der Mann mit dumpfem Schmerze gezahlt (und nur nach dilettantischer Behandlung sucht er sich durch Grobheit zu entschädigen), so wird vom Pumpenden bloß noch das ethische Moment hervorgehoben. Dieses fällt ihm um so leichter, als er zugleich ja die rein animalische Freude des Geld-in-der-Tasche-Wissens verspürt. Unter seinen ergriffenen Worten wird die Pumpstation zu einer Art Kirche. Diese Welt ist plötzlich in ein Märchenreich der Ehre und der Ehrenmänner verzaubert, welche gegebene Worte heilig halten und nichts Süßeres kennen, als Schulden zurückzuzahlen. Der Mensch ist gut (fragt sich nur für welchen Betrag). Es empfiehlt sich, in dieser Verzückung nicht „Ehrenwort“, sondern Parole d'honneur zu sagen, weil man dann nachher immer sagen kann, es sei eine facon de parier gewesen. Auch muß man durch Seelenton. Handschütteln und feuchten Blick dem Opfer das Bewußtsein einer vollbrachten guten Tat geben. Das kann es für sein Geld verlangen.

Gleich darauf verbreitet sich eine gewisse seelische Oede ... Nach kürzester Anstandsfrist

— the Work is done — sucht der Pumpende das Weite, wobei er sich das Auto erst an der zweiten Straßenecke nimmt.

Allergrößtes Interesse verdient jedoch das Nachspiel. Im Moment des Geldüberganges beginnt nämlich in beiden Beteiligten ein merkwürdiger seelischer Prozeß. Bei dem Pumpenden schwindet das Bewußtsein, Geld bekommen zu haben, in direkter Proportion mit dem erlangten Betrag und ist daher schnellstens bei Unendlichklein und Null angelangt. Er hat plötzlich ear kein Gedächtnis mehr, der Schmetterling. Zugleich aber regt sich in seinem Unterbewußtsein

— erst leise, dann immer stärker — ein heftiger Widerwille gegen den Geldgeber. Dieser Widerwille kulminiert um den (nichteingehaltenen) Zahlungstag herum und flammt bei jeder späteren Begegnung mit dem Manne in alter Glut auf. Das Ergebnis dieses seelischen Prozesses ist die bedingungslose Verurteilung des Angepumpten. Scherz und Ehrenwort beiseite — die Welt wird wieder einfach — i jener ist bloß noch der unsympathische Mensch, dem man Geld, gutes Geld, eigenes Geld eventuell zurückzahlen muß.

Dagegen hat der Angepumpte plötzlich ein sehr gutes Gedächtnis. Jede Einzelheit des Pumpvorganges brennt sich wie der erste Kuß in seine Seele ein. Er beginnt ein Innenleben zu haben, das sich aus den Komponenten „Wird er zahlen?“, „Er wird ...“ und „Er wird nicht!“ zusammensetzt. Nach dem Zahlungstermin, der wie jeder andere Tag ohne besondere Ereignisse verläuft, beginnt nunmehr das Ethos des Angepumpten fieberhaft zu arbeiten. Auch gewinnt das Geld durch die Trennung einen romantischen Trennungshauch. Der Angepumpte ist jetzt in ununterbrochener Bewegung: dem anderen zu begegnen, ihn zu mahnen, ihn zu bedrohen. Er vergleicht die knappen fünf Minuten des Anpumpens mit seinen schlaflosen Monaten der Sorge, und bitterste Gefühle steigen in ihm auf.

Plötzlich aber verwandelt sich auch der Angepumpte. Auch in ihm sind alle ethischen Bindungen bis über die Elastizitätsgrenze beansprucht und endlich gerissen; er, der Mahner, des anderen schlechtes Gewissen — er verlegt sich aufs Bitten. Er bettelt, er fleht, er beginnt die Psyche des anderen zu studieren. Auch hier wird die Welt wieder einfach. Scherz und Ethik beiseite — : er ist einfach ein Mensch geworden, der von einem anderen Menschen Geld haben will und das Häßliche dieses Verlangens im Grunde einsieht.

Und siehst du die beiden Geldvcrkoppelten das nächste Mal wieder miteinander stehen, so hauchst du dir auf die Brillengläser. Die Situation ist ja dieselbe, aber die Rollen, die Rollen sind vertauscht — : der Schuldner hat sich instinktiv umgestellt und hört dem anderen mit der ganzen Gravität, dem Mißbehagen und der Zerstreutheit eines Angepumpten zu... Der Gläubiger aber — du lieber Gott, er schmeichelt, er kichert, er beobachtet Mienenspiele, kurz: er zeigt den unverkennbaren Habitus eines Pumpenden.

Wird jedoch dieser Pump tatsächlich effek-tuiert, wird das Unbeschreibliche der Rückzahlung Ereignis, so wechselt wiederum die psychologische Substanz. Die Rückzahlung nämlich, dieser Pump Nummer zwei, löst eben selbstverständlich genau die gleichen Seelenreaktionen aus wie jeder Pump: das heißt, der Mensch, der da Geld nahm, vergißt es sofort, aber der Mensch, der da Geld gab, vergißt es nie. Nur hat die Geschichte einen Haken, daß bei Pump Nummer zwei eine Rückzahlung ja nicht in Frage kommt. Und darum betrachtet der — ich weiß nicht, wie ich ihn nennen soll... also: der Rückzahlende — den anderen als seinen ewigen Schuldner. Er wird es ihm nie vergessen, daß er ihm Geld geben mußte. Und er trägt ihm den Betrag sein Leben lang nach.

Und jetzt fällt mir auf, daß der Satz, den ich für den Schluß dieses Traktats aufgespart habe, im Laufe der Untersuchung völlig banal geworden ist. Er war ehedem paradox, doch nun bestätigt ihn die Zeit, sagt Hamlet. Denn wer wagt noch zu zweifeln, wenn ich sage: nicht der Pumpende, der Angepumpte ist schuldig! — Niemand. Wir sind komische Menschen.

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