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Der über- und unterschätzte Lyriker

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Nun gibt der Verlag, der die DDR überlebt hat, zweibändig, die zum größten Teil hochinteressante Korrespondenz seines Mitbegründers und Autors Joliannes R. Becher heraus: „Briefe von" und „Briefe an Johannes R. Becher".

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Nun gibt der Verlag, der die DDR überlebt hat, zweibändig, die zum größten Teil hochinteressante Korrespondenz seines Mitbegründers und Autors Joliannes R. Becher heraus: „Briefe von" und „Briefe an Johannes R. Becher".

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Sein Gehaben als Mensch, Dichter und zuletzt als DDR-Ministei wies den zwiespältigen Ch.ii.i^cer einer lebenslang begabt ,iMi\en, aber depressiven Natur. 1 I war von Jugend an und bis ins \lter suicidgefähr-det, in frühen J.ihren bis zur geglückten E Qungskur Morphinist, und die Tragödie des Zwanzig] ähr . wird ihm von ideologischen (irgnern noch post-hum angelas 11 ■ I Kr wollte mit sei -ner Geliebten sterben, überlebte aber, und nur sie war tot.

Dreimal war er verheiratet, und wiewohl die dritte Ehe bis zuletzt aufrecht blieb, versuchte er (um 1950) die junge Luise Rin-ser (die stets freundschaftlich zu ihm hielt und seine Lyrik schätzte) über moralische und politische Grenzen zu drängen, die sie nicht zu überschrcilcii gewillt war: Er lebte verheil.uct in der DDR, Rinser bheb m der BRD.

Johannes W. Becher wurde 1891 geboren und starb 1958, angeblich an I Spätfolgen jener Schußverletzunj;. die er sich 1910 zugefügt hatte. Die Sammlung seiner Briefe beginnt mit einem Schreiben des Gymnasiasten im Mai 1909 an Richard Dehmel und endet mit dem Dankbrief vom 18. Juli 1958 an den Rektor der Universität Jena, die ihn zum Ehrendoktor ernannt hatte. Die Ausgabe der Gegenbriefe beginnt mit Dehmels zustimmender Antwort und schließt (im Spätsommer und Frühherbst 1958) mit den Zuschriften bestürzter Freunde, die dem Schwerkranken Besserung wünschen.

Der jugendhche Expressionist wurde unter anderem von der Fürstin Lichnowsky und dem Grafen Kessler finanziell unterstützt, schwankte zwischen Kommunismus und religiöser Schwärmerei, entschied sich für die KPD, vrarde sogar Reichstagsabgeordneter und schrieb in den zwanziger Jahren so radikal, daß ein Strafverfahren gegen ihn lief 1933 mußte er selbstverständlich fliehen und wurde nach Kriegsende in der DDR tonangebend. Becher gründete deri „Kulturbund", strebte nach Überparteilichkeit der Kunst, was aber an der politisch besser geschulten Gruppe um Walter Ulbricht scheiterte.

Thomas Mann hielt ihn für den repräsentativsten Lyriker der deutschen Gegenwart, von Hermann Kesten (der den Dichter anerkannte) wurde Becher wegen seiner DDR-Prominenz heftig angegriffen (in einer stilistisch brillanten Polemik), und durch seinen Sohn (aus der zweiter Ehe) wurde er mit einem „offenen Brief" (1951), der durch die ganze westliche Presse ging, bloßgestellt. Becher antwortete nicht ihm, sondern der Mutter (Lotte Becher) und vermutete - wohl zurecht -, daß sein Sohn dieser Brief nicht selbst konzipiert hatte, „dazu ist er auf Grund seines schlechten Deutsch und so weitei gar nicht fähig". Zweifellos war der 22jährige, mitten im Kalten Krieg, politisch mißbraucht worden. „Das riecht sehr nach Propaganda, ... Es ist unfair", urteilte Luise Rinser brieflich an den schnöde diskriminierten Vater.

Kurzum: Die beiden Briefbände „sprechen Bände" und geben - über ein halbes Jahrhundert -nicht bloß biographisch, sondern auch kulturhistorisch und politisch reichüche Auskunft.

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