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Der Weg des Erfolges

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„Tempora mutantur et nos mutamur in illis.“ — Dieser Satz gilt auch für die Art, wie der Mensch seine Wünsche, seine Bedürfnisse, seine Anbote und seine Fragen einem größeren oder kleineren Kreis seiner Mitmenschen bekanntgibt. Frühzeitig schon war dieses Mitteilungsbedürfnis, das Suchen nach einer geeigneten Form, mit der Umwelt Kontakt zu finden, Gegenstand intensiven Bemühens.

Schon das alte Rom kannte Steintafeln — die sogenannten „acta diurna“ —, auf denen wichtige Bekanntmachungen täglich oder wöchentlich allen Bürgern zugänglich gemacht wurden. Seither war in den Versuchen, die Publizität auszubauen und zu vertiefen, niemals ein Stillstand eingetreten. Mag auch im Rahmen dieser Ausführungen eine lückenlose Darstellung der Weiterentwicklung des Mitteilungswesens nicht möglich sein, so sei doch kurz darauf verwiesen, daß die Mission der in Stein gehauenen ersten Vorläufer der Zeitungen späterhin im deutschen Mittelalter die Minnesänger übernommen haben. Freilich brachten sie keine kommerziellen Anzeigen im heutigen Sinne, sie können aber doch als die Vorläufer nicht nur der Zeitung an sich, sondern auch des Anzeigenwesens betrachtet werden. Es bedarf keiner besonderen Phantasie, um sich vorzustellen, daß die Minnesänger mitunter auf einen bestimmten Auftrag hin handelten, wenn sie die Verdienste eines gewissen Ritters, ja vielleicht auch die Vorzüge eines Ritterfräuleins der Mitwelt bekanntmachten.

Vielleicht hat in jenen grauen Tagen des Mittelalters die heute so populäre Heiratsanzeige ihren romantischen Ursprung gefunden — wer kann es wissen ?

Mögen diese Hypothesen uns Heutigen als beachtenswert erscheinen oder nicht — sicher ist, daß aus der Wurzel des Mitteilungs- und Ankündigungsbedürfnisses die heutige Zeitung entstanden ist, freilich erst auf vielen Umwegen und gefördert durch die Entwicklung der Technik, die den romantischen Gesang des Minnesängers zuerst von der stillen Kunst des schreibenden Mönches in der Klosterzelle und dann von der epochemachenden Zauberei des Buchdruckers als Verbreitungsmittel menschlichen Denkens ab- lösen ließ.

Es ist ja bekannt, daß sich im Mittelalter mit der Erfindung der Buchdruckerkunst zuerst die kommerziellen Kreise des damals neuen Ausdrucksmittels des gedruckten Wortes bedienten. Die Fugger-Briefe, in weiterer Folge die sogenannten „Meßrelationen" waren nichts anderes als Vorboten der Zeitungen und Zeitschriften.

Wurden ursprünglich die Mitteilungen der großen Handelshäuser an bestimmte Empfänger,

also an die dem Verfasser bekannten Handelsfreunde gerichtet, so ging mit der Erfindung der Buchdruckerkunst hier ein grundlegender Wandel vor sich: Die Mitteilungen der Handelsherren, vervielfältigt durch die Epigonen des genialen Johannes Gensfleisch vulgo Gutenberg, erreichten nunmehr anonyme Empfänger in großer Zahl. Als man dann den Nutzen erkannte, den eine solche Verbreitung von Nachrichten ihrem Urheber in geschäftlicher Hinsicht zu bringen vermochte, lag eigentlich die neuzeitliche Zeitungsanzeige schon in der Luft.

Allerdings war damit das Wesen der Anzeige wie es uns heute bekannt ist, noch nicht erfaßt. Man hatte gewissermaßen erst eine Stufe der anonymen Verbreitung von Mitteilungen erreicht: den redaktionellen Teil einer Zeitung. Erst als dann Zeitungen in unserem Sinne erstanden, die ihres redaktionellen Inhaltes wegen bezogen und bezahlt wurden, kamen die Herausgeber dieser Zeitungen darauf, daß man ihre Produkte auch administrativ-kommerziell verwerten könnte.

Die ersten Zeitungsannoncen in deutschsprachigen Presseerzeugnissen finden wir erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts. 1673 erschien in Hamburg ein Inseratenblatt nach französischem Muster, das die Bezeichnung „Relations- Curier“ trug und auch politische Nachrichten brachte. Ein solches Anzeigenblatt entstand in Frankreich schon 1612 und ging aus einem Adreßkomptoir hervor, das der Pariser Arzt

Theophraste Renaudot gegründet hat. In Deutschland gab es schließlich um die Wende des 18. Jahrhunderts hundert sogenannte „Intelligenzblätter“, die wohl Anzeigen enthielten, jedoch noch keinen eigenen Anzeigenteil. Diese Intelligenzblätter riefen das Insertionsbedürfnis hervor, das sich schließlich auch die politischen Zeitungen zunutze machten, die anfänglich keine oder nur sehr wenige Ankündigungen enthielten. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts tauchten in den politischen Zeitungen auch die ersten Familiennachrichten auf; 1790 erschien in der „Leipziger Zeitung“ die erste Todesanzeige, einige Jahre später erschienen in anderen Blättern die ersten Vermählungs- und Geburtsanzeigen. Es würde ein dickbändiges Werk nicht ausreichen, um den Wandel der Zeitungsanzeige im Laufe der Jahrhunderte lückenlos aufzuzeichnen. Ihre Entwicklung in Form und Stil änderte sich manchmal schneller, manchmal langsamer.

Die Fortschritte der Technik, die zunehmende Industrialisierung und die Entwicklung der Verkehrsmöglichkeiten fanden auch im Werbefaktor der Zeitungen sichtbaren Niederschlag. Hatte zuerst — abgesehen von Familienanzeigen — fast nur der Handel als Inserent fungiert, so nahmen späterhin die Erzeugergewerbe und ganz besonders die Industrie von den Insertionsmöglich-

keiten Besitz. Im 19. Jahrhundert kameft dann auch Geldinstitute, Sparkassen und Aktiengesellschaften, Eisenbahn- und Schiffahrtsunternehmungen hinzu.

Der Stil der jeweiligen Zeitepochen spiegelt sich auch im Inseratenteil wider. Blättern wir in Zeitungsbänden aus der Gründerzeit, so finden wir die Anzeigenspalten von ähnlichen Plattheiten überwuchert, wie sie die Architektur jener Tage vielfach aufweist. Welcher Unterschied etwa zwischen dem heutigen Inserat einer Autofirma und den ersten Ankündigungen der „neuen Daimler-Motorkutsche“ oder eines „Patent-Motorwagens mit Gasbetrieb durch Petroleum, Benzin, Naphtha usw., mit abnehmbarem Halbverdeck und Spritzleder" der Firma Benz & Co. aus den neunziger Jahren! Man suchte die neue Erfindung- dem Publikum mit folgenden

Argumenten anzupreisen: erspart den

Kutscher, die theuere Ausstattung, Wartung und Unterhaltung der Pferde .. . Lenken, Halten und Bremsen leichter und sicherer als bei gewöhnlichen Fuhrwerken usw.“

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann das anzeigenmäßige Angebot eine neue Note. Man stellte die Popularität großer Künstler in den Mittelpunkt der Werbung, und wenn heute auf der ganzen Welt tausende und tausende Pla-

kate, Reklameschriften und Anzeigen erscheinen, die sich eines Publikumslieblings von Theater und Film bedienen, der treuherzig versichert, daß das angepriesene Produkt auch seine Herzensangelegenheit sei, so ist es ganz interessant zu wissen, daß die Ausnützung dieser Idee zum erstenmal in Wien präsentiert wurde.

Es war knapp vor dem Jahre 1910, als im Deutschen Volkstheater zugunsten des Pensionsfonds dieser Bühne und für den Oesterreichischen Bühnenverein eine prachtvolle, heute total vergriffene Festschrift erschien, die den Titel trug „Aus dem Reiche der Schminke und Tinte" und Beiträge namhafter großer deutscher Künstler und Schriftsteller enthielt. Eingestreut zwischen den Künstlerbiographien und den Beiträgen eines Ferdinand v. Saar, Ludwig Fulda, Hermann Bahr, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Peter Rosegger, Raoul Auernheimer, um nur einige zu nennen, gaben die ersten Karikaturisten Oesterreichs wie Theo Zasche, Fritz Schönpflug, Scheyrer, Karpelus ihre künstlerische Visitenkarte ab und sie stellte zum erstenmal zugunsten der guten Sache die Popularität des Künstlers in die Dienste der Werbung für bestimmte Wiener Firmen. Da sah man Hansi Niese in der Anzeige einer bekannten Konservenfirma, wie sie deren Erzeugnisse anpreist, auf einem anderen Blatt erinnert sich Altmeister Karl Blasel, welchen Einkauf er in der Mariahilfer Straße besorgen sollte, in einer von Schönpflug unerhört schmissig entworfenen Anzeige preist Hugo Thimig seine Augengläser, bezogen von der Firma Soundso an. Witz, Esprit und zeichnerische Vollendung lag in diesen Einfällen, was man heute von den Plakaten und Anzeigen, für die Künstler als Blickfang herhalten müssen, nicht immer sagen kann. In diesem prachtvollen Deutsches-Volks-

theater-Band sieht man von Zasche festgehalten die junge Hedwig Bleibtreu, wie sie gerade vor einem Photo- und Buchladen am Graben steht; und der Liebling der Wiener, Franz Tewele,

wird wundervoll von Theo Zasche den Apollo- Kerzen dienstbar gemacht. Ein kleines, von Kar- pelus’ Zeichenstift eingefangenes Zwiegespräch zwischen Rosa Albach-Retty und Alexander Girardi vor dem Schaufenster einer bekannten Wiener Stadtfirma zeigt ein anderes Blatt; ebenfalls von Zasches Meisterhand festgehalten, wird ein Stoßseufzer des Operndirektors Gustav Mahler: „Wozu wir noch die großen Gagen bezahlen

Inzwischen ist wieder ein halbes Jahrhundert vergangen. Die Werbung im Anzeigenteil der Zeitungen und Zeitschriften, in Festschriften und den Broschüren hat sich nach wie vor trotzdem behaupten können, wenn sie auch seither wieder ihr Gesicht veränderte, und ihr gewichtige Konkurrenten im Rundfunk, in der Kinoreklame und im Plakat erwuchsen. Ihre Existenz durch Jahrhunderte zeugt für ihren Erfolg, der sich sehr leicht erklären läßt: Die Wirkung der Zeitungsinserate beruht letzten Endes darauf, daß sie — im Gegensatz zu anderen Werbemitteln, an denen der Angesprochene vorüberhastet oder vorüberhört — den Empfänger immer dann sich kundtut, wenn er bereit ist, Nachrichten aufzunehmen, also dann, wenn er physisch und seelisch alle Voraussetzungen besitzt, sich etwas sagen zu lassen. Der von tausend Sorgen, von Kummer und Leid, von Glück und Hoffnung beanspruchte Mitbürger, der an einer riesigen Plakatfläche vorübereilt, der zerstreute Radiohörer, der t eben eine wichtige Mitteilung empfangen hat und der deswegen auf die Reklameverlautbarungen des Rundfunks nicht achtet, der Kinobesucher, der abgehetzt gerade noch bei Beginn der Wochenschau den dunklen Saal betritt, nachdem die Werbeanzeigen schon längst gelaufen sind — sie alle sind in ihrer Eigenschaft als Empfänger von Werbemitteln nicht dem Zeitungsleser zu vergleichen, der sich sein Blatt zur Hand nimmt mit dem Vorsatz und der Möglichkeit, es sich bis zur letzten Seite zu Ge- müte zu führen.

Das Zeitungsinserat hat auf seinem weiten Weg durch Jahrhunderte nichts von seiner Wirkung und seiner jugendlichen Kraft eingebiißt. Im Gegenteil, die modernen Ausdrucksmittel der Graphik, die Farbphotographie, der Vielfarbendruck und anderseits die Erkenntnisse der Werbewissenschaft trugen dazu bei, daß die Zeitungsanzeige heute eine weitaus stärkere Position innehat als je zuvor. Sie ist aus dem Wirtschaftsund Kulturleben nicht mehr wegzudenken und wird auch in Zukunft immer eines der eindrucksvollsten Werbemittel bleiben.

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