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DER WEG ERNST JÜNGERS

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Wenn man nach einem Motto suchen würde, das verbindlich über Weg und Werk Ernst Jüngers stehen könnte: es gäbe kein besseres als das Nietzsche-Wort „Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt“. Es ist damit nicht nur der offensichtliche Tatbestand gemeint, daß sich im Laufe von etwa 40 Jahren in den Schriften des Autors Stellungnahmen finden, die sich zu widersprechen scheinen, sich überholen, ergänzen und abschleifen, sondern vor allem auch, daß diese Wandlung, von Einsichten und Erkenntnissen einer organischen Verwandlung des Seins entspringt, die den Reifungsprozeß der Einzelpersönlichkeit im Niederschlag des geschriebenen Wortes zum Spiegelbild objektiver Veränderungen der existentiellen Grundlagen überhaupt macht. Jünger meint es durchaus ernst, wenn er Strahlungen notiert: „Hinsichtlich der historischen Realitäten bin ich vorgeschaltet — das heißt, ich nehme sie etwas eher, etwas vor ihrem Erscheinen wahr!“ Es läßt sich in der Tat nachweisen, daß Jünger den meisten seiner Freunde immer einen Schritt voraus war.

Als die nationale Bewegung der Weimarer Zeit in der Verdeutlichung der Materiaischlacht durch seine Kriegsbücher ein Handwerkzeug in die Hand zu bekommen meinte, um den Wehrgedanken im konkreten Sinne — Wiederherstellung einer mächtigen Armee — propagandistisch auszuwerten, hat der Autor bereits erkannt, daß die in Entstehung begriffene neue Form des nach Herrschaft und Gestalt drängenden deutschen Typs nicht mehr in erster Linie der Waffenträger war, sondern der die technischen Mittel der Zeit handhabende „Arbeiter“, der zwar dem gleichen Urgrund wie der Krieger entstammt, aber neuen Aufgaben gegenüber gewappneter ist.

Als rechts- und linksradikale Befürworter der „Totalen Mobilmachung“ Jünger als den ihren reklamierten, hatten bereits die Bezugnahmen auf reale Entscheidungen für ihn ihren Sinn verloren, und er schlug stolze Wege ein. Als man nach dem Krieg und Zusammenbruch sein Aufmerken auf religiöse Probleme als eine Bekehrung zum Christentum deutete, hatte Nachdrängendes ihn schon wieder davon weggeführt.

Mann und Werk sind nie stehengeblieben. Gerade die Identität von Person und Werk, die bei Jünger sich immer wieder zeigt, macht ihn durch die Jahrzehnte, in denen er die Welt um sich wie die Welt in sich darstellte, zu einem zeitgeschichtlichen Ausstrahlungsphänomen ersten Ranges.

Er stellt nicht nur sich, sein Reifen, sein Werden dar, er macht nicht nur deutlich, was er als Einzelner aus dem Rohstoff des Geschehens herausliest, sondern was mit ihm ein ganzer Menschentyp miterlebt, miterlitten, miterkannt hat. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten in der Wirkung dieses Autors, daß die, die einmal von ihm angesprochen werden könnten, sich oft mit ihm wandelten und mehr als einmal in späteren Sätzen von ihm sich selbst wiederfanden und das bestätigt sahen, was auch sie gemeint, aber nicht fähig gewesen waren, klar in Worte zu fassen. Die Verwandlung Jüngere auch, der Wandel in seinen Anschauungen, ist kein privates Phänomen. In ihm war ein Seismograph am Werk, der anzeigt. was“sich in der Zeit abspielt. Wie' sie sich wandelt, Verwandelt ersieh in ihr.

In „Auf den Marmorklippen“ stand der Satz: „Ich hörte später Bruder Otho über unsere Mauretanier-Zeit sagen, daß ein Irrtum erst dann zum Fehler würde, wenn man in ihm beharrt.“ Die Irrtümer Jüngers haben ihn — man kann es wagen, das auszusprechen — nur bereichert. Sie haben den Kern seines Wesens nie angegriffen, ihn aber hellhörig für Vordergrundsantworten gemacht, die ständig Versuchungen blieben. Er hat nie etwas „widerrufen“.

Aber er hat zu verstehen gegeben, daß sich die Perspektiven der Betrachtung verändert haben. Jünger hat die Weimarer Zeit zweifellos nicht geliebt. Sein Aphorismus „Die Demokratie erstrebt einen Zustand, in dem jeder jedem eine Frage stellen darf“, war kaum dazu angetan, deuts.-he Jugend für eben diese Ordnung zu begeistern. Und doch finden sich zu Beginn von „Auf den Marmorklippen“, weniger deT Verteidigung der Demokratie dienend als dem Abscheu vor dem Terror Ausdruck

gebend, Formulierungen, die der vortotalitären Zeit Tribut zollen. Doch geht es da Ernst Jünger weniger um einen liberalen Parlamentarismus, wie er in der Paulskirche gezeigt wurde, als um die Freiheit a priori:

„Süßer noch wird die Erinnerung an unsere Mond- und Sonnenjahre, wenn jäher Schrecken sie beendet. Dann erst begreifen wir, wie sehr es schon ein Glücksfall für uns Menschen ist, wenn wir in unseren kleinen Gemeinschaften dahinleben, unter friedlichem Dach, bei guten Gesprächen und mit liebevollen Gruß am Morgen und zur Nacht. Ach, stets zu spät erkennen wir, daß damit schon das Füllhorn reich für uns geöffnet war.“ ' ,

Man würde fehlgehen, deutete man eine Rückschau wie diese als Übergehen von der einen auf die andere Seite, von „rechts“ nach „links“, vom Antiliberalismus zum Liberalismus. So einfach liegt das keineswegs. Man kann bei dem Prozeß der Wandlung und Verwandlung nicht die einzelnen Etappen der Entwicklung gegeneinander ausspielen. Von „Die totale Mobilmachung“ reicht ein Bogen zu „Der Weltstaat“. Es besteht ein dialektischer Zusammenhang zwischen „Der Kampf“ als inneres Erlebnis und der „Friedensschrift“, zwischen „Der Arbeiter“ und „An der Zeitmauer“.

Nicht nur im Thematischen, wo sich im Laufe der Zeit die Gegensatzpaare herausbilden, nicht sich ausschließend, sondern sich ergänzend — vor allem im Persönlichen. — Man dart hier aus seiner Entwicklung nichts ausklammern wollen.

Als der englische Schriftsteller Stephen Spender ihn nach dem zweiten Weltkrieg bei einem Besuch einmal fragte: „Haben Sie Ihren Standpunkt geändert, seitdem Sie .Feuer und Blut' schrieben?“, antwortete Ernst Jünger: „Gewiß habe ich das getan. Aber all das war eine notwendige Phase meiner Erfahrungen. Mit 20 Jahren ist ein Mann ein Krieger, und ich war damals 20 Jahre alt.“

Auch für die nationalistische Publizistik jener Tage, an der Jünger teilnahm, gilt das, was er mit Recht für sich in Anspruch nimmt: „Überhaupt muß ich meine Leser bitten, meine Autorschaft als Ganzes zu nehmen, in dem zwei Epochen, nicht aber Widersprüche zu unterscheiden sind. Ich möchte nicht zu denen gehören, die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind.“ Einst hatte er geschrieben:

„Wir nennen uns Nationalisten — dieses Wort ist uns durch den Haß des gebildeten und ungebildeten Pöbels, durch das Heer der Opportunisten des Geistes und der Materie geweiht. Was dort gehaßt wird, was den seichten Strömen des Fortschritts, des Materialismus, des Liberalismus und der Demokratie zuwider ist, das hat'zum mindestens den Vorzug, nicht allgemein zu sein, wir fordern nicht das Allgemeine. Wir lehnen es ab, von den allgemeinen Wahrheiten und Menschenrechten bis zur allgemeinen Bildung, zur allgemeinen Wehrpflicht, zum allgemeinen Wahlrecht und zur allgemeinen Nichtswürdigkeit, die das Notwendige Ergebnis all dessen ist. Der Vater dieses Nationalismus ist der Krieg. Was uns Literaten und Intellektuelle darüber zu'sagen haben, ist für uns ohne Belang. Der Krieg ist ein Erlebnis des Blutes, daher ist nur das von Bedeutung, was Männer über ihn zu sagen haben . . . Er mag die Hölle gewesen sein — nun gut, es liegt im Wesen des faustischen Menschen, auch aus der Hölle nicht mit leeren Händen zurückzukehren ... Wir kommen nicht mit der reinen Verneinung zurück! Erst an der Fruchtbarkeit des Opfers haben wir den Wert des Menschen und die Verschiedenheit der Rangordnung ganz erkannt. Heller als die dumpfe Rotglut des Feuers sahen wir die weiße Glut des Willens leuchten. Granaten, Gaswolken und Panzerwagen: das mag sowohl der Brutalität wie der Feigheit das Wesentliche sein. Für uns ist es weniger, es ist nur die äußere Erscheinung, nur der düstere Hintergrund, aus dem ein neuer stahlharter Schlag des Menschen in die Gegenwart tritt. Unsere Fahne ist nicht rot, nicht schwarzrotgold, und nicht schwarzweißrot. Sie ist die Fahne eines neuen größeren Reiches, das in unseren

Herzen begründet und aus ihm heraus gestaltet werden soll. Es wird der Tag kommen, da sie in Reinheit entrollt werden darf...“

Man muß den Grundzusammenhang des Jüngerschen Werkes diese Kampfansage an die liberale Welt — auch wenn sie heuta nur noch historische Bedeutung hat — ernst nehmen. Tausende von jungen Deutschen haben sie in den dreißiger Jahren sehr ernst genommen, und nicht wenige von ihnen haben dann die Hitlerbewegung als ihren legitimen Vollstrecker angesehen: „Niemand desertiert aus der Geschichte.“

Ernst nehmen aber muß man sie vor allem deshalb, weil man im Wandlungsprozeß den ganzen Umfang der Spanne, die der Autor erkenntnismäßig:- durchmessen Hat, erst dann begreift, wenn man die Position von damals mit der konfrontiert, in der sich Jünger'zu Ende- des zweiten'Weltkrieges befindet, wenn er'' in der Friedensschrift den nationalsozialistischen „Antiliberalis-mus“ in seiner Auswirkung schildert:

„. .. Nun aber brach der Nebel ein und mit ihm das Schweigen der Unterdrückten, über deren Ohnmacht die Tyrannis mit wildem zügellosem Jubel triumphierte. Die Farben der Heiterkeit verblaßten, und mit jedem neuen Morgen stellte sich die Frage, ob noch der Abend die Familie am Tisch finden würde oder in die verschleppten Glieder aufgelöst. Und wenn des Nachts das Licht erlosch, so lauerte das Ohr, ob draußen nicht die Stimmen der Häscher schon wisperten und gleich die Tür von Stößen erdröhnen würde . ..

Das waren )ahre, in denen die Cefänignisse nicht mehr genügten, und in denen die Heere der ohne Recht und Urteil Verschleppten in Zwingern schmachteten, wo der Tod die einzige Wohltat war ...

Die Zahl der Schädelstätten, an denen die Entrechteten gemeuchelt wurden, ist ungeheuer groß...

Aus dieser Landschaft des Leidens ragen dunkel die Namen, der großen Residenzen des Mordes, an denen man in der letzten Verblendung versuchte, ganze Völkerschaften, ganze Rassen, ganze Städte auszurotten und wo die bleierne Tyrannis im Bunde mit der Technik endlose Bluthochzeit feierte. Diese Mordhöhlen werden auf fernste Zeiten im Gedächtnis der Menschen haften; sie sind die eigentlichen Mahnmale dieses Krieges wie früher der Donaumont und Langemark. Doch jene konnte neben dem Leide auch Stolz umweben: hier bleiben nur Trauer und Demut, denn die Schändung war derart, daß sie das ganze menschliche Geschlecht berührte und keiner sich der Mitschuld entziehen kann.“

Die Zeit liegt hinter ihm, als er in „Die totale Mobilmachung“ von der Unruhe sprach, die das Kennzeichen des neuen Geschlechtes ist und die keine Idee dieser Welt und kein Bild der Vergangenheit befriedigen kann: Hier waltet eine fruchtbare Anarchie, die den Elementen der Erde und des Feuers entsprungen ist und in der sich der Keim einer neuen Herrschaft verbirgt. Hier deutet sich eine neue Rüstung an, die ihre Waffen aus reineren, härteren, an jedem Widerstand erprobten Erzen zu schmieden sich bestrebt.

Die Wandlung besteht nicht in der Abwendung von der Politik als aktive Teilnahme an Tagesgeschehen. Sie beruht auf der Akzentverschiebung in der Wertung der gesellschaftlichen, technischen und im weiteren Sinne auch politischen Phänomene, die das Gesicht unserer Zeit bestimmen. Wenn er in „Das Sanduhrbuch“ feststellt: „Von den Formen der Mobilmachung sind jene besonders wirksam, die nicht als solche erkannt oder die gar begrüßt werden“, so hat sich in seiner Haltung zu den Dingen etwas geändert. Nicht Ansichten wurden revidiert, oder aus Müdigkeit, Snobismus oder etwa mangelnder Zivilcourage eine Flucht in den Elfenbeinturm angetreten, sondern die Gewichte der Dinge sind neu bestimmt worden. Was Hegel schon verlangt hat.

Am 29. November 1944 fiel, „zum Fronteinsatz begnadigt“, der achtzehnjährige Sohn Ernst Jüngers in den Marmorbrüchen von Massa bei Carrara. Ernst Jüngers Freund, Hans Sddel, inzwischen aus der Haft befreit, wird im März 1945 am Schluß eines Briefes von ihm lesen: „ .. . Mein Sohn fiel achtzehnjährig im Marmorgebirge von Carrara, auf einem Spähgange. Es

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