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Des Dichters Doppelleben

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Immer kann ich mich trotz meines deprimierenden HNO-Dauerdebakels nicht von großen Burgschauspielern vertreten lassen, einmal abgesehen davon, daß ich als Zuhörer bei meinen Lesungen auch kein Honorar erhalte. Seit ich aber in einem Interview in einer großen deutschen Zeitung gesagt habe, daß ich gern während einer Lesung er: schössen werden möchte, niedergestreckt und erlöst durch einen satten, sauberen Kopfschuß, kommen nun auch zu meinen eigenen, sozusagen selbstgelesenen Lesungen deutlich mehr Leute. So sind sie, die Menschen. Wahrscheinlich kommen die wenigsten, weil sie mir persönlich diesen dunklen Wunsch erfüllen und mich eigenhändig erschießen wollen; wahrscheinlich kommen sie eher, weil sie mitansehen und live dabeisein wollen, wie mir ein anderer im Saal eine Kugel in den Kopf jagt und ich, während ich mich gerade unter dem Applaus der Menge vor der Menge verbeuge - wenn auch traditionell und infolge des letzten Restes an dichterischer Selbstachtung nur ansatzweise verbeuge - auf offener Bühne tödlich getroffen zusammenbreche. Jedenfalls kommen sie, und sie kommen immer wieder, weil sie ja nicht wissen können, bei welcher Lesung konkret ich erschossen werde, falls ich überhaupt tatsächlich einmal während einer Lesung erschossen werden werde, und so lernen sie bei meinen Lesungen so nebenbei und wie unbeabsichtigt nach und nach auch Teile meiner Literatur kennen.

Gerne würde ich dem Publikum bei der Gelegenheit völlig unironisch ein bißchen was vom Herrn Körper und vom Fräulein Seele und von den sadistischen Gemeinheiten erzählen, die sie mit mir. treiben; von Daseinsangst, Lebensmüdigkeit, Einsamkeit, Siechtum, Absterben, außerdem -wenn ich schon dabei bin - von der Selbstzerfleischungsmaschine Menschheit und der brutalen Bösartigkeit, Hinterfotzigkeit und Abgefeimtheit ihrer Führer, Machthaber und Repräsentanten, von der Inkompetenz und erbärmlichen Hilflosigkeit ihrer Intellektuellen und Wissenschaftler (ich meine da jetzt gar nicht nur ihre Halsnasenohrenärzte), vom militärischen Irrsinn, von der Unerträglichkeit des ausbeuterischen Extremreichtums weniger und der ohnmächtigen Armut vieler: Das bis-serl Moral outen, das in mir schlummert.

Gern würde ich am Pult aber auch ein wenig Amok laufen und anschließend noch ein Schäuferl Skandalöses nachlegen, wilde sexuelle Ausschweifungen aus purer Selbstbestimmungsverzweiflung; dunkle Triebe, Perversionen und die arge Natur: Summa summarum SEX and CRIME and PHILOSOPHY al$o, aber ich bin schwach, und ich glaube, daß ich das bißchen Erfolg, das ich zwischen Blu-denz und Wiener Neustadt habe und die Tatsache, daß sich seit Jahren immer wieder Gemeinden finden, die sich von sich aus das Erlebnis gönnen, mich vorlesen zu hören, hauptsächlich dem Umstand zu verdanken habe, daß ich keine Fäkalausdrücke verwende (oder wenn, dann als Zitat ausweise), daß die Texte, die ich vortrage, eher asexuell, überparteilich, nicht sehr langweilig und nicht sehr deprimierend sind - und daß sich dadurch nur die beleidigt fühlen, die ohnehin nicht zur Lesung kommen. Meine öffentlichen Skandale sind bislang unumstritten bieder: Zu einer Matinee in der „Freien Bühne Wieden” bin ich in einem äußeren Zustand erschienen, der Frau Topsy Küppers veranlaßt hat, mir vorab mitzuteilen, daß hinter der Bühne in der Herrengarderobe „eine Frisiergelegenheit besteht”. Ich habe dann aber vor lauter Eigensinn doch nur mit Haaren, ohne Frisur gelesen.

Man sieht also: Ich bin Doppeldichter und schreibe zwei Literaturen: Eine eher nette für das Bildungsbürgertum brauchbare; eine fürchterliche, eitrige, katastromanische und katastrophobische für mich selbst. Eine zu meiner Unterhaltung, eine zu meinem Überleben; eine manchmal bissige, aber immer tollwutgeimpfte Literatur; eine herrenlos, regellos, menschenweltundlebensverachtend daherstreunende Literatur: Dr. Gstättner and Dr. Hyde. Die eine wird veröffentlicht, recht gern gekauft und mitunter in bildungsbürgertümliches Weihnachtspapier gewickelt. Die andere, die fürchterliche, wird nicht veröffentlicht, weil die Verlage fürchten, daß sich die fürchterliche Literatur nur schwer verkaufen und der unbarmherzige Eiter nur schwer in Weihnachtspapier wickeln ließe.

Vielleicht hat Dr. Hyde mitsamt seinen chronisch geschwollenen Nasenschleimhäuten auch wirklich weniger Talent, oder aber nur Talent, aber keinen Ehrgeiz, keinen Fleiß, kein kompositorisches Durchhaltevermögen. Die Verlage meinen mehrheitlich, daß eine Publikation bloß ein paar mieselsüchtig-eitergie-rigen Literaturkritikern, ein paar hauruckhomöopathischen Literaturwissenschaftlern, die ganz vehement eine Wehtuliteratur einfordern, und dem Stipendiumswürstel, an dem sie die folgsamen Eiterdichter schnuppern lassen, keinen Sinn hat, wenn die noch so brillante Fürchterlichkeit und die noch so schmerzhafte Wehtupro-sa zwei Jahre später verramscht oder makuliert werden müssen. Extrem wirksame Medikamente gegen Literatur gibt es bekanntlich genug.

Gerne würde ich dem Publikum ein schlechtes Gewissen einjagen oder es empören; gerne würde ich das Publikum mit dem tragischen Lebensgefühl langweilen, gerne würde ich das Publikum mit den Abgründen der Seele schockieren. Aber erstens ist, wer immer kommt, auch schon gegen alle Eventualitäten der Grausamkeit geimpft; zweitens müßte ich mich in dem Fall ökonomisch betrachtet untertags als Angestellter, Traumbundesbeamter, Kurgast oder Pensionist verdingen, und das wäre nun wirklich die Hölle. Gerne würde ich die Qualen von Sprachgeburten über das Publikum kommen lassen, denn was am Schreibtisch geschieht, ist immer unfaßbar und unerträglich. Vielleicht später einmal, sagen die Verleger, wenn Sie so berühmt sind, daß die Leute Ihre Bücher kaufen, ohne daß sie wissen wollen, was drinnen steht. Gerne würde ich die unbeschreiblich schlimme Wirklichkeit beschreiben, aber das wäre natürlich nicht nur unmöglich, sondern auch sinnlos.

Es ist völlig unmöglich, die Welt zu verbessern. Es ist schon unmöglich, Wiener Neustadt zu verbessern, Köt-schach-Mauthen, Bludenz, Schlierbach, Mattersburg, Eisenkappel. Es hat noch nicht ein Mensch nach einer Lesung von mir sein Leben geändert - ich auch nicht. Vielleicht später einmal, resümieren die Verleger, vielleicht, vielleicht, und so werde ich vorderhand wohl der nette Nörgler von nebenan bleiben, bis sich dereinst, wenn meine Gebeine vielleicht schon längst zerfallen sind, ein freundlicher Geist doch noch der unappetitlichen Selbstzeugnisse und Amokläufe des Dr. Hyde annimmt.

Die Serie wurde in Furche Nr. 46/97 begonnen und wird in loser foiue fortgesetzt.

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