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Deutsche Sprache und Rechtschreibung

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Ueber den Beginn der Schrift kann uns nichts besser belehren, als die Geschichte des verstummten Zacharias (Luk s 1, 63), der, um den von ihm gewünschten Namen seines neugeborenen Sohnes befragt, ein Täfelchen forderte, „schrieb und sprach“ — wörtlich „sprechend schrieb“. Sprechen und Schreiben ist eins. Und sollte ein Affe selbst sprechen lernen — er wird es darin nicht weiter bringen, solange er nicht wenigstens mit den Zehen im Sande schreibt!

Freilich war die erste Schrift fast überall eine Bilderschrift, sie wendet sich ans Auge, und nur die Mitglieder der Gemeinschaft wissen, wie diese Zeichnungen, diese Zeichen, zu sprechen seien. Aber bald ersetzt das Hören die Schau, und mit dem Niedergeschriebenen ist der Ton, nicht mehr das Bild gemeint. Die Lautschrift, zum Beispiel diese Lettern hier, sagt dem Auge fast nichts; fast alles dem Ohr.

Die Sprache selber hat eine dreifache Geburt: Aus dem Herzen, das nach Ausdruck drängt, aus dem Munde, der ihn gestalten soll, aus dem Ohre, dem er eingehen soll. Die Schrift, die Lautschrift, sucht sich diesen Urbedingungen anzupassen: sie sucht die Laute darzustellen, die jeder im eigenen

Munde entstehen fühlt, sie sucht zu unterscheiden, was das Ohr vernimmt, und sie sucht der innersten Absicht des sprechenden Geistes gerecht zu werden. Der Mund des Menschen kann wahrscheinlich unendlich viele Laute hervorbringen; aber das Ohr teilt sie, genau und klar unterscheidend, ein, und der Geist fordert beide zur äußersten Angemessenheit auf.

Um nochmals von der Bilderschrift zu reden: Die Chinesen sollen 50.000 verschiedene Zeichen haben; die Aegypter hatten etwa 4000; die Assyrer in ihrer schon abstrakt, das heißt zur sogenannten Keilschrift gewordenen Bilderschrift, ungefähr 500. Wenn aber aus der Bilderschrift wirklich eine Lautschrift geworden ist, sei es eine Silben-, sei es eine Buchstabenschrift, so haben Silbenschriften etwa 60 Zeichen, unter den „indogermanischen“ Buchstabenschriften das russische Alphabet 35 Buchstaben, wir haben 25 Buchstaben, die Etrusker glaubten mit 19 auszukommen; woran sie aber zum Beispiel das o erkannten, das sie zweifellos aussprachen, wissen wir nicht.

Aber auch wir zählen unter unsern 25 Buchstaben das ä, ö und ü nicht mit (daß das „Umlaute“ sein sollen, ist ein rein ge-lehrter Kniff); lange und kurze Vokale unterscheiden wir nicht; für ng, pf, th, ph, tz und sch haben wir weder eigene Zeichen noch Worte; auch den Endlaut von ach und ich, den Anfangslaut von Christ, den wir ja genau wie unser k aussprechen, können’ wir nicht einmal nennen, sondern müssen, so verschieden alle diese Laute sind, jedesmal „ceha“ sagen; v und f sind in der Aussprache deutscher Wörter ein reines Duplikat und bringen das lernende Kind und den fremden Gast in Verlegenheit. Wenn wir uns also zum Beispiel Franzosen und Engländern gegenüber rühmen, zu schreiben, wie wir sprechen, so bedeutet das nur, daß wir weniger altertümlich schreiben als diese beiden und viele andere Völker.

Die deutsche Sprache hat zwar keine so großen Veränderungen durchgemacht wie die der Völker im französischen und englischen Raume; vielleicht drängt es uns deshalb nicht so sehr, das Geschichtliche im Orthographischen aufzubewahren. Das eigentliche Merkmal unserer seit Luther hochdeutschen Sprache ist die Großschreibung vieler Wörter, die sich als Hochgewinn nach dem Elend des Dreißigjährigen Krieges durchgesetzt hat. Nicht nur die Anfangsbuchstaben der Sätze, nicht nur Eigennamen schreiben wir groß — das Wort GOTT schrieb noch meine Mutter unbedingt mit lauter großen Buchstaben — das Hauptwort und jedes zum Gegenstand der Rede erhobene Nebenwörtchen dazu die Anrede, das Du, das Sie •— das alles wird groß geschrieben. Hier herrscht nicht der Mund und das Ohr — hier herrscht, das dürfen wir zu sagen wagen — der Geist! Ein abstrakter, unterscheidender, wissenschaftlicher, philosophischer Geist! Und diese Schrift, die der Geist geschaffen hat —, die bewahrt ihn auch! Freilich ist es schwer für die Schulkinder, Hauptwörter groß zu schreiben. Aber sie lernen dabei ins Schwarze zu treffen! Ich weiß nicht, wer uns „das Volk der Dichter und Denker“ genannt hat — unsere Schrift konnte uns dazu machen, könnte uns dabei erhalten! Eine geistige Klarheit geht von ihr aus, ähnlich wie bei der Erschaffung der Sprache selber; wie das Denken sie schuf, wie das Denken das Haupt- und Zeitwort schuf — so schafft das vorgedachte Denken, die deutsche Orthographie, uns immer neu!

Darum soll unsere Orthographie von Zeit zu Zeit modernisiert werden — wir kleben nicht an der alten! Nur das Großschreiben nehme man uns nicht weg! Keine Schwierigkeit, kein Neid, keine Eifersucht soll uns das entziehen!

Ja, Vollkommenheit ist anzustreben! Die vorher genannten „Umlaute“ und Doppellaute wären ins Alphabet aufzunehmen und letzteren flüssige Namen zu erfinden. Ein mehr äußerlicher Umbau.

Aber das Dehnungs-e nach langem i gehört weg; wir schreiben ja auch nicht „wier“, sondern wir; es reimt sich auf dir, vier, hier, Stier, Zier usw. Vokale vor einem Konsonanten sind bei uns meist von Natur lang, vor mehreren von Natur kurz Milbe, Silbe kurz, Ida, Sieb lang; auf kurze i folgende Konsonanten werden fast immer doppelt geschrieben — wirr, irr, Sippe, Gitter —, so daß das Dehnungs-e bei langem i fast immer überflüssig ist. Früher hat man wenigstens die vielen eingebürgerten Fremdwörter auf ieren ohne • geschrieben — harmoniren; eine unbedachte Reform schob vor gar nicht langer Zeit auch das e noch ein. Auch bei Vieh ist das e überflüssig; aber das h muß bleiben, denn die Bauern sprechen noch von den Viechern, das h ist also noch nicht ganz abgewelkt; und daß dieser fast verloschene Hauchlaut unser Vieh immer noch mit lat. pecus, Vieh, verbindet — das wäre Engländern und Franzosen Goldes wert! Ebenso können wir bei „hohen“ Dingen das h nicht streichen, weil „hoch“ das Grundwort ist.

Aber das bloße Dehnungs-e, das nur durch ein Mißverständnis ins Hochdeutsche geraten ist, das gehört weg! Holen schreibt man ohne h, warum nicht ebenso Fohlen, Kohlen, Sohlen, Pfahl, nehmen, nahm, Stahl, Ahnen? Auch in heutiger Schreibweise fürchtet man nicht, daß die Ahnen und das Zeitwort ahnen, der Stahl und das Zeitwort er stahl verwechselt würden. Bei andern Gleichklängen, Mahl und mahlen, fürchtet man die Verwechslung mit malen und Denkmal, bei wahr mit war. Dieses Bedenken ist nicht gleichgültig; das klare, eindeutige Verständnis des geschriebenen Wortes ist wichtiger als die Konsequenz des Rechtschreibens; aber man hat sich ja auch mit wagen, Wagen und Waage ein wenig geholfen, indem man die letztere jetzt mit Doppel-a schreibt. So könnte man auch mahnen, gegenüber den Totengeistern, den Manen, mit zwęi a schrei-

ben, wenn man das Dehnungs-h gänzlich ausmerzen wollte. Aber bei Mohr und Moor, Lied und Lid, Stiel und Stil weiß ich keinen Rat.

Man könnte eine Schwierigkeit fürchten, wenn beim Zeitwort die einkonsonantige Silbe in der Beugung zweikonsonantig wird und also kurz erscheint: hehlen, hehlt, wühlen, wühlt; dieser Besorgnis widerspricht hegen, hegt — wir sprechen es lang; wäre es kurz, so schriebe man heckt (eggt); ihehlt, kurz gesprochen, wird hellt geschrieben, wühlt, kurz gesprochen, bekäme sicher zwei 1, wie jetzt „verknüllt“.

Als Schönheitsfehler empfände man vielleicht den Anblick von geschehen, geschah ohne h, oder gehen, geh! stehen, steh! Bliebe immer noch der Ausweg, daß man lange Vokale mit einem Dehnungsstrich überschriebe, a, wie er allgemein in Sprachlehrbüchern im Gebrauch ist.

Früher grassierendes th haben wir ohnehin schon ausgemerzt, außer in Fremdwörtern; sie dort, zum Beispiel in der grauen Theorie, stehenzulassen, ist eine Frage mehr der Bildung als der Rechtschreibung.

Gänzlich fallen zu lassen wäre das v, ein kleiner, bescheidener Buchstabe, aber ein bloßer Zwilling unseres f; freilich werden dann viel und fiel gleich geschrieben. Da ist guter Rat teuer! Selbstverständlich bleibt, genau so wie das y, das v im Alphabet, um Fremdwörter wenigstens richtig schrei- b e n zu können ■— aussprechen können wir das lateinische v, zum Beispiel in verus V — „wahr“, noch immer nicht; denn es war kein nüchterner Laut wie unser deutsches w, auch nicht mit Lippenwulst gesprochen wie das englische w, das sie selber double u (dabbl-ju) nennen, sondern es war ein Hauchlaut zwischen f und u, wie ihn nur hochgebildete Franzosen, vielleicht Tradition, heute noch zu sprechen wissen.

Nicht ganz einfach entscheidet bei uns die Rechtschreibung zwischen e und ä. Man sagt „gebaren“, und davon kommen die Gebärden; sie werden aber jetzt vielfach mit e geschrieben, Geberden. Genau so wird werden, Erde, Ernte, Stern ausgesprochen — eigentlich alle mit ä; und doch, wenn ein Dichter, nicht ganz erlaubt, aber unvermeidlich, etwa ehrte und Werde reimt — so spricht der Schauspieler oder Vorleser unwillkürlich das Werde mit reinerem (mehr geschlossenem) e; in Wirklichkeit ist auch dieser Vokal (offenes e genannt) ein Laut zwischen e und ä; was schwer zu ändern ist: denn der Laute werden in jeder Sprache mehr sein als der Buchstaben jedes beliebigen Alphabetes.

Natürlich müssen sich solcher Reform

I. eute annehmen, die ihr Hochdeutsch beherrschen; Schrott zum Beispiel gibt es nicht; es heißt verschroten, Schrot — lang gesprochen. Aber indem man den Dialekt nicht mit Hochdeutsch verwechselt, insonderheit nicht den einer beliebigen Großstadt, der immer verwildert ist, darf man die Mundart, die Mundarten insgesamt, in ihren eigenen Bereichen nicht verachten; in ihnen sprechen ja, noch heute vernehmlich, unsere Ahnen! Hochdeutsch — das ist der regulierte Hauptstrom des deutschen Sprachgebietes — die Mundarten, das sind die überall fließenden, oft noch kaum gefaßten Quellen! Sie zu schonen, sie zu ehren, ist eine Angelegenheit der „Dichter und Denker“. Besonders die Burgenländer hier haben Wörter — wenn man sie ans Ohr hält, sind sie wie Muscheln, in denen noch das Meer der Urzeit tönt! E w i g t u m sagen sie für eine kostbare Sache, die keiner verlieren will, die man treulich bewahren soll!

Müssen wir also unsere Rechtschreibung ändern — so mit äußerster Vorsicht, mit frömmster Liebe zur Muttersprache! Denn die Sprache ist nicht nur das Abbild unserer Welt — sie ist ihr Besitz! Ihr Schlüssel,

ihr Gefäß, ihre Schatzkammer! Sie ist die bleibende Gegenwart dies Vergangenen; denn das Mammut ist noch lunser, solange wir das Wort besitzen, das Einhorn und der Drache lebt! Nehmt die Heiligennamen aus dem Kalender — so mögen die Heiligen zwar im Himmel bleiben — tuns sind sie entzogen! Ehrt eure Sprache! Ehrt jede Sprache! Nehmt keinem Nachbarn, keinem Besiegten seine Sprache weg — eher gebt ihm bescheiden noch die eure hinzu, und nehmt von der seinen ein Lebensgpschenk! Eine Sprache ist die Bedingung zuim Menschsein; bei der zweiten weiß man enst, was man an der eigenen hat, und wer reich werden will, ein berauschter Krösus, dleir trinke von dem Wein der Sprachen, aus ihipen Strömen, aus ihren vergessenen Quellen!

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