6593213-1952_40_05.jpg
Digital In Arbeit

Dichter und Komponist

Werbung
Werbung
Werbung

Im Jahre 1926 erschien, eine Auswahl der Briefe, die Richard Strauß und Hugo von Hofmannsthal in den Jahren 1907 bis 1918 gewechselt haben, und die sich zur Hauptsache auf die gemeinsame Arbeit an „Elektra", „Rosenkavalier“, „Ariadne auf Naxos", „Josephslegende", „Frau ohne Schatten" und „Bürger als Edelmann" beziehen. Es wurde die schöpferische Begegnung zweier einander ebenbürtiger Partner — eines großen Musikers und eines großen Dichters — sichtbar, und man erfuhr, wie alle Spannungen, die aus der Verschiedenheit der Naturen hervorwuchsen, sich im Willen zum gemeinsamen Werk immer wieder auflösten.

Aįls sie diese erste Ausgabe vorlegten, zählte Strauß 62, Hofmannsthal 52 Jahre. Die Beweggründe, die den Komponisten veranlaßten, seinem Partner die Veröffentlichung ihres Briefwechsels vorzuschlagen, hat Hofmannsthal in einem Brief an Strauß zusammengefaßt: „Es sollte einerseits der Ernst unserer gemeinsamen Arbeit in Evidenz gebracht werden, andererseits das noch fehlende Verständnis für manche Arbeit durch den zwanglosen Kommentar, den unsre Briefe geben, herbeigeführt werden." Aus dieser Zielsetzung ergab sich die Form der damaligen Publikation, für die der Sohn des Meisters, Dr. Franz Strauß, als Herausgeber zeichnete. Die Auswahl war zeitlich beschränkt, und es mußte zu jenem Zeitpunkt begreiflicherweise alles, was böswilliger Kritik Waffen in die Hand und Stoff zu Mißverständnissen hätte geben können, ausgeschlossen werden. Und im weiteren galt es, Rücksichten auf Mitlebende zu nehmen, weshalb zahlreiche Stellen unterdrückt wurden.

Diese erste Ausgabe ist seit vielen Jahren vergriffen. Einer Neuausgabe unter Einbeziehung der gesamten, fast dreißig Jahre umspannenden Korrespondenz standen nicht nur die Zeitumstände, sondern auch in der Sache selbst begründete Schwierigkeiten entgegen. Im Jahre 1942 konnte der Autor dieses Artikels in Wien Einsicht in die bisher unveröffentlichten Briefe Hofmannsthals an Strauß nehmen, von denen zum Teil bereits auch provisorische Maschinenabschriften von der Hand der Schwiegertochter des Meisters, Frau Alice Strauß, vorlagen. Die erste Durchsicht des umfangreichen Materials ließ sogleich die Probleme aufscheinen, die bei einer Gesamtausgabe zu lösen sein würden. Zunächst galt es, sich mit der zum Teil sehr schwer lesbaren Handschrift Hofmannsthals vertraut zu machen: die Mehrzahl der Briefe, deren sprachliche Kultur, gedankliche Tiefe und Nuancenreichtum erwarten ließen, sie seien das Produkt langen überlegens und Feilens, sind ohne allen Zweifel in fliegender Eile, in einem Schwung hingeworfen worden: das Schriftbild läßt darüber keinen Zweifel. Eine Entzifferung schien an manchen Stellen fast aussichtslos; nur durch mühsames Vergleichen und versuchsweises Einsetzen einzelner Worte und Satzteile gelang es allmählich, den Wortlaut einwandfrei festzulegen. Besonders schwierig war die richtige Datierung, denn Hofmannsthal pflegte seine Briefe unvollständig oder gar nicht zu datieren. Die Jahrzahl fehlt fast immer, und die römischen Monatsziffern sind oft undeutlich. Manchmal überschrieb Hofmannstahl seine Briefe auch einfach: „Freitag abend" oder „Ostermontag" usw. Da die Briefumschläge nicht mehr vorhanden sind, konnten nur bei einzelnen Postkarten die Poststempel Auskunft geben. Erst in den letzten drei Jahren seines Lebens begann Hofmannsthal seine Briefe genau zu datieren. Als nämlich der Dichter bei

der Vorbereitung der ersten Ausgabe versuchen mußte, die Daten zu rekonstruieren, bereitete ihm dies selber die größte Mühe; und leider sind ihm dabei zahlreiche Irrtümer unterlaufen, weshalb in der ersten Ausgabe eine beträchtliche Anzahl von Briefen falsch datiert erscheint. Nicht nur um ein, sondern sogar um zwei und drei Jahre hat sich der Autor gelegentlich geirrt. So findet man denn in der jetzt vorliegenden Gesamt

ausgabe manche Briefe an ganz anderer Stelle eingereiht, wodurch erst der richtige Zusammenhang hergestellt wird.

Die Bereitstellung einer genauen Textvorlage und die Datierungen beschäftigte mich lange, bevor der Entschluß zu der nun vom Atlantis-Verlag in Zürich in Obhut genommenen Gesamtausgabe definitiv gefaßt und diese in Arbeit genommen wurde . Erst 1948 wurde auf ausdrücklichen Wunsch von Richard Strauß mit der eigentlichen Vorbereitung der Drucklegung begonnen. Während des Krieges konnte an die Herausgabe nicht gedacht werden, weil die Briefe von Richard Strauß an Hofmannsthal von der in Oxford lebenden Witwe des Dichters, Frau Gerty von Hofmannsthal, verwahrt wurden. 1947 hatte ich in London deren Einwilligung zur Herausgabe erhalten. Photokopien der Strauß-Briefe gingen dann nach Garmisch, wo das gesamte Material vereinigt, von Frau Alice Strauß kopiert und von mir revidiert, datiert und geordnet wurde, wobei natürlich auch die in der ersten Ausgabe bereits publizierten Briefe zu überprüfen und die seinerzeit vorgenommenen Streichungen rückgängig zu machen waren.

Die erste Ausgabe brachte im ganzen 185 Briefe, die Gesamtausgabe enthält deren 523. Für die in der ersten Ausgabe berücksichtigten Jahre konnten nicht weniger als 126 seinerzeit ausgeschiedene Briefe eingefügt werden. Und die Fortführung bis zum Tode Hofmannsthals (das heißt die Jahre 1919 bis 1929) ergab einen weiteren Zuwachs von 180 bisher unveröffentlichten Briefen. Während diejenigen des Dichters sozusagen vollständig erhalten blieben, weist der Bestand an Strauß-Briefen leider einige Lücken auf. Trotzdem läßt sich nun diese einzigartige Zusammenarbeit mit ihren oft geradezu dramatischen Zuspitzungen bis ins einzelne verfolgen. Dieser Brief

1 Auslieferung für Österreich durch den Humboldt-Verlag, Wien.

wechsel kennt im Grunde nur ein Thema: die Arbeit an den gemeinsamen Werken. Es erfährt zum Schluß eine außerordentliche Verdichtung im Meinungsaustausch über „Arabella", um auf dem Höhepunkt, beim plötzlichen Tod Hofmannsthals, jäh abzubrechen.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier die Zusammenarbeit Strauß - Hofmannsthal und ihr künstlerisches Ergebnis, das in zwölf gemeinsamen Werken vorliegt, zu würdigen. Ich muß mich auf ein paar Hinweise beschränken, die andeuten mögen, was die Gesamtausgabe zu bieten hat. Besonderem Interesse dürften aber die neu hinzugekommenen, hauptsächlich von der „Ägyptischen

Helena", von „Ruinen von Athen" und „Arabella" handelnden Briefe der Jahre 1919 bis 1929 begegnen. Einmal, weil sie nun auch für diese Jahre die „hundertfache Bemühung ums Einzelne, ums Kleinste oft", vor allem aber den „guten Willen, den Ernst und die Konsequenz" sichtbar machen, mit der beide an der Zusammenarbeit festhielten. Dann aber auch, weil die Briefe des Dichters in diesen späteren Jahren in bedeutender Weise zusammenfassend aussagen, was ihm, der immer wieder betonte, daß etwas Höheres als der Zufall ihn mit

Strauß zusammengeführt habe, diese Verbindung bedeutete. Und es mehren sich auch die grundsätzlichen Äußerungen über Wesen und Stil der Oper, für die beide Partner unablässig eine durchsichtigere, mozartnähere „dritte Manier“ anstrebten. In dem Brief, den Hofmannsthal dem Freunde zu dessen 60. Geburtstag (im Juni 1924) schrieb, ist ausgesprochen, was den Dichter mit dem Musiker verband: „Als etwas Großes und auch Notwendiges in meinem Leben erscheint mir dies, daß Sie vor nun 18 Jahren mit Ihrem Wunsch und Bedürfnis an mich herantraten. Es lag in mir vorgebildet, daß ich diesen Wunsch — innerhalb der Grenzen meines Talents — erfüllen könne und daß diese Erfüllung mir wiederum ein innerstes Bedürfnis stillen sollte. Vieles, das ich in aller Einsamkeit der Jugend hervorgebracht hatte, völlig für mich, selbst an Leser kaum denkend, waren phantastische kleine Opern und Singspiele — ohne Musik. Durch Ihre Wünsche dann war ein Ziel gegeben und doch die Freiheit nicht eingeengt. Durchdrungen von dem Gedanken, und mit reifender Einsicht um so mehr, daß der Einzelne nichts Dauerndes hervorbringen könne, das nicht an die Überlieferung anknüpfte, habe ich mich weit mehr belehren lassen, was ich älteren, noch lebensvollen Dichtungen ähnlicher Art vom Gesicht abzulesen vermochte, als von der .Forderung der Gegenwart' in der Luft zu liegen schien. Wer immer alles, was da war, erkannt und es mit voller Freude aufnahm, schöpferisch aufnahm und in ein höheres Leben hinüberführte, waren Sie. Hiemit haben Sie mich gelohnt, soweit ein Künstler einen anderen lohnen kann — das weitere taten dann die Werke für sich, und ich glaube, daß sie, nicht alle, aber fast alle, in ihrer untrennbaren Verschmelzung dichterischer und musikalischer Bestandteile, eine geraume Zeit fortleben und den Menschen einiger Generationen Freude machen werden."

Mit dem Dichter sind die Herausgeber des Glaubens, daß die Leser bei dem „Rhythmus dieser unausgesetzten Bemühung wechselweiser Anspannung" nicht kalt bleiben können, und wir haben es als eine Pflicht gegenüber den beiden großen Meistern und gegenüber der Öffentlichkeit angesehen, endlich eine Gesamtausgabe vorzulegen, die geeignet ist, ein abgerundetes und vielfach ganz neues Bild dieser alle Wechselfälle überdauernden Künstlerfreundschaft zu vermitteln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung