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Dichtung ohne Reim und ohne Versmaß
Gabriel Laub nennt sein neuestes Buch „Man kann's auch positiv sehen”. Das Problem des Be-zensenten ist: Er weiß nicht so recht, welcher Gattung dieses Werk ist. Laub und sein Verleger haben sich diese Frage gar nicht erst gestellt. An die 180 Geistesblitze sind hier versammelt, die meisten je 20 Zeilen lang, ohne daß unter dem Titel oder auf dem Klappentext stünde, was es sein soll. Humoresken sind es eigentlich nicht, Satiren auch nicht, diese Texte Gewitzel zu nennen, wäre beleidigend, steckt in ihnen doch allemal mehr Weisheit als in manchen Feuilletons. Vielleicht sollte man sie Mini-Essays nennen. Was würde ein Montaigne dazu sagen? Ich hoffe, er würde schmunzeln. Denn „Versuche”, gewisse Themen auf die Laubeigene Art abzuhandeln, sind die in diesem Band gesammelten Schriften sicher.
Was mag Gabriel Laub dazu gebracht haben, sich so kurz zu fassen? In einem der Texte sagt er: „An dieser Glosse habe ich zwei Stunden und fünfundsechzig Jahre gearbeitet”. Das ist es wohl. Die Reife seiner Ansichten, die Erfahrung eines Literatenlebens bringt ihn dazu, so prägnant zu artikulieren. Und dank der gewohnten Leichtigkeit seiner Ausdrucksweise merkt man kaum, wieviel hinter der Mühe steckt, das Ge-sagte so dicht zu formulieren. Das bringt auch eine Möglichkeit, dieses Qiuvre doch zu bezeichnen. Es ist Dichtung, die ohne Reime und Versmaß auskommt.
Ein Beispiel. Auf einer einzigen Seite unter dem Titel „Ich schade der Umwelt” handelt Laub seine Meinung über Umweltschutz als Modeerscheinung und Bedürfnis ab. Er stellt fest: „Im Vergleich mit dem Urmenschen, der seltener badete und keine Geschirrspüle hatte, bin ich,ein ausgesprochener Schädling.” Aufgeben will er die Errungenschaften der Zivilisation freilich nicht: „Man muß halt weiter mit ökologischen Gewissensbissen leben.”
Die „ökologischen Gewissensbisse”, ernster gesagt, der Widerspruch zwischen modernem Leben und dem Anliegen, die Welt, wie sie ist, zu erhalten, kommen in diesem Buch mehrmals vor. Andere Themen sind die Arbeitswelt, die Liebe, was für ihn als „eingefleischten Macho” die Frauen bedeuten, die Vergänglichkeit des Lebens, die Medien, Geld, Fitneß, immer wieder gutes Essen oder das Recht, dick zu sein, obwohl er mehrfach beteuert, er persönlich habe abgenommen. Überträgt man das auf seine Texte, könnte man sagen, falls sie an Umfang abgenommen haben, so haben sie an literarischem Gewicht eher zugenommen.
Man kann nichts kürzer sagen, als Laub vom „faulen Ei”: „Es gleicht nicht ein Ei dem anderen, manches ist eben faul.” Zu bescheiden ist Laub, wenn er schreibt: „Schlaue Leute leben von fremden Gedanken oder davon, daß die anderen noch weniger denken”, denn er geht wohl davon aus, daß seine geneigten Leser weniger nachdenken als er. Nachdenklich macht er mit solchen Aussagen gewiß jeden. Erich Kästner hat einmal eine „Lyrische Hausapotheke” veröffentlicht, mit einer Gebrauchsanweisung, in welchen Stimmungen man welche Verse als Trost, zur Erheiterung oder Ablenkung lesen sollte. Man möchte fast für die nächste Auflage dieses Laub-Buches ähnliches empfehlen. Bis dahin muß man selber blättern, um herauszufinden, an welcher Stelle der Autor den Nerv trifft, der beim Leser gerade entzündet ist.
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