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Die Aufgabe der Dichtung

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Mein sagt, es sei die Aufgabe der Dichtung, den Menschen über den Alltag hinauszuheben. Ich will die Richtigkeit dieser etwas banalen Aussage nicht bestreiten, aber sie kann mißverständlich sein. Erbärmlicher würde es mir erscheinen, wollte der Dichter nichts weiter als die Menschen über die Gebrechlichkeit der Welt hinwegtäuschen, erbärmlich, wollte er sie nur für eine kleine Zeit ihre Sorgen vergessen machen. Eine solche Wirkung kann freilich auch der Dichter hervorrufen, aber es bliebe eine Nebenwirkung. Manche Dichtung wird einem Menschen oder einer Menschengemeinschaft in ethischen oder moralischen Fragen weiterhelfen können. Aber auch hier handelt es sich um eine Nebenwirkung. Wollte man eine solche Nebenwirkung zum Kriterium machen, so müßte man in der Tendemzpoesie, etwa in Harriet Beecher-Stowes Roman „Onkel Toms Hütte , der bekanntlich den Anstoß zur Aufhebung der Negersklaverei gab, den eigentlichen Gipfel der Dichtung erkennen.

Man begegnet so häufig der Forderung, und vor allem wird sie von jungen Menschen ausgesprochen, der Dichter möge in irgendeiner Form ein unmittelbares richtungweisendes Wort in die Nöte und Verworrenheit der Gegenwart hineinwarfen. Hinter dieser Forderung verbirgt sich oft der Wunsch nach Patentlösungen und Lebensrezepten. Es gibt Fälle, in denen der Dichter sich zu Verkündungen solcher Art freilich aufge- ttifen fühlen wird, rechtmäßiger- oder irrtümlicherweise; aber hierin die eigentliche dichterische Aufgabe erblicken zu wollen, schiene mir grandverkehrt.

An mir selber habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß mich in schwierigen und bedrohlichen Situationen nicht das tröstete, was mich in ihnen beriet — das wäre ja ein Vorgang innerhalb der Situation gewesen —, und auch nicht das, was mich von ihnen ablenkte

— das wäre ein Vorgang seitlich von der Situation gewesen —, sondern das, was mich über die Situation hinaushob.

Will man den Begriff der Aufgabe schlechthin definieren, so ließe sich sagen, es sei etwas, dessen Unterlassen eine schuldhafte Versäumnis darstellte. Würde nun jemand dem Dichter, der wie Hölderlin oder Novalis an den seiner Epoche eigentümlichen vordergründigen Lebensnöten vorüberging, den Vorwurf machen, er habe seine Aufgabe verkannt oder verfehlt und damit eine Schuld auf sich geladen? Der Dichter, der als Anwalt spezieller Nöte auf den Plan tritt, als Kämpfer gegen soziale und moralische Schäden, als Herold und Kämpfer für den Frieden und die Verständigung der Völker und der vielleicht im Kampf gegen solche Schäden und im Kampf für so hohe und unschätzbare Güter Erfolge erringt, der mag als Kämpfer achtens- und liebenswert sein. Nur haben diese Kämpfe und diese Siege, die Achtung und die Liebe, die säe ihm mit Recht eintragen, mit der Dichtungsaufgabe nichts zu tim. Es ist nicht die Aufgabe des Dichters, den Menschen in ihren aktuellen ‘Nöten, an denen ja unsere Zeit so grauenvoll reich ist, beizustehen. Statt dessen 60ll er in ihnen einen Seelenzustand bewirken, der sie fähig macht, und sei es auch nur für Augenblicke, der Ahnung teilhaftig zu bleiben, daß ihre Nöte und Kümmernisse, so schwer sie lasten mögen, nicht den ganzen Kreis des Lebens umschrieben halten und daß dieser ganze Kreis in ewigen Ordnungen eingebettet liegt. Mit diesen ewigen Ordnungen, die das verborgene Zentrum auch meaner dichterischen Aussage bilden mögen, korrespondiert nun das Gewebe der fundamentalen Tatsachen des Lebens, des natürlichen wie des geistigen und seelischen, des individuellen wie des öffentlichen, also etwas, das von den Geschehnissen, die sich auf unserer Erde eh und je abspielen, unabhängig ist.

Und hier ist nun der Punkt, an dem sich die Aufgabe des Dichters mir darstellt, der Punkt, an dem es anschaulich wird, wie das Amt des Dichters mit dem Trieb der Selbstsättigung, mit dem gar nicht Anderskönnen zusammenfällt. Der Dichter soll diese ewigen Ordnungen nicht predigen, vielleicht nicht einmal verkündigen. Er soll trachten, sie sichtbar zu machen. Hofmannsthal hat einmal gesagt: „Wir vermögen nur die Gestalt zu lieben. Und wer die Idee zu lieben vorgibt, der liebt sie immer als Gestalt. Die Gestalt erledigt das Problem, sie beantwortet das Unbeantwortbare.

In diesen Worten habe ich mit Freudigkeit eine Bestätigung dessen gefunden, daß es meine Obliegenheit ist, nicht so sehr Gedanken als vielmehr Bilder und Gestalten aufzustellen. Ich will Ihnen zwei Worte zitieren, die anscheinend einander widersprechen, eher jedoch einander ergänzen und wohl geeignet sind, ein Licht auf diese Bewandtnisse fallen zu lassen. Das eine stammt von Jean Paul und lautet: „Keine Zeit bedarf so sehr des Dichters wie jene, die ihn entbehren zu können glaubt. Das zweite ist von Eichendorff gesprochen worden, also von einem Mann, dem wohl niemand, der ihn kennt, ein weltfremdes, hochmütiges, sich abschließendes Ästhetentum im sogenannten elfenbeinernen Turm wird nachsagen wollen. Eichendorff sagt: „Die Kunst will und soll zu nichts brauchbar sein.

Das hieße denn, Dichtung ist um ihreT selbst willen da, und vielleicht ist es ihre höchste Aufgabe, sich unbeirrt solcher Aufgabenlosigkeit zu behaupten. Der Dichter soll, dies mag nun mit seinem Wissen und seiner Einstimmung oder unbewußt, ja ahnungslos geschehen, ur- typische Standbilder aufrichten. Aber auch dies hat er nicht zu tun auf Grund seiner Forderung, einer Aufgabe, einer Absicht. Er wird es tun, weil sich hier — und mag es noch so verhüllt sein — eine unbezwingliche seelische Notwendigkeit ergibt, er wird eine Wirkung hervorrufen, die zugleich die legitime Wirkung aller Kunst ist. Er wird die Menschen daran erinnern, daß es Dinge gibt, die um ihrer selbst willen da sind, um ihrer selbst willen aufgenommen werden wollen und sollen, außerhalb jenes menschlichen Zweckdenkens, es sei nun politischer, wirtschaftlicher oder moralischer Natur, in welchem sonst bis zur Unerträglichkeit alles Leben gefangen liegt.

Von hier aus wird eine tröstende, aufrichtende, heilende und führende Wirkung der Dichtung ausgehen können, das heißt also auf einem mittelbaren, einem indirekten Weg. Denn das ist nun das Merkwürdige und gehört zu den tiefsten Geheimnissen der Dichtkunst, daß der Dichter eine solche reinigende, klärende, über die gemeinen Nöte und Interessen nicht hinwegtäuschende, sondern nur hinausgehende Wirkung nur dann zu erreichen vermag, wenn er sie sich nicht vorgesetzt hat. Denken Sie bitte zum Vergleich an einen großen Humoristen der Bühne. Glaubt man im Emst, er werde eine künstlerische Leistung zuwege bringen, wenn er während seines ganzen Auftretens von dem so löblichen und schönen Gedanken beherrscht ist, den Zuschauern, die doch wie wir alle geplagte wnd von Sorgen bedrückte Men-

sehen sind, ifare Last leichter zu machen und in die verzagten Herzen ein wenig Heiterkeit und Freude zu gießen? Im Gegenteil, er wird das nur erreichen, wenn er eine solche Absicht nicht hat, wenn ihn nichts anderes erfüllt als die Besessenheit von der gegenwärtigen künstlerischen Aufgabe, also jener Trieb der Selbstsättigung, des gar nicht Anderskönnens, von dem ich vorhin gesprochen habe; das Höchste kann nur absichtslos geschehen, und von hier aus mag sich uns dann auch wieder ein Zugang zu jenem Eichendorff-Wort eröffnen, nach dem die Kunst zu nichts brauchbar sein will und kann. Ist aber nun die Autgahp des Dichters eine so aügültige, eine so von der zeitlichen Situation abgelöste, so vermag ich nicht einzusehen, daß in ihr ein Wandel eintreten könne, mag auf unserer Erde geschehen ein und noch geschehen was da will.

Die zeitlichen Situationen, sie mögen den Betroffenen sich noch so sehr als ein Absolutes darstellen, sind etwas Fließendes, etwas Verfließendes. Die ewigen Ordnungen bleiben; dies Bleibende ins Bild zu stellen, das ist die Aufgabe des Dichters heute und morgen, wie sie es gestern und ehegestem gewesen ist.

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