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Die Droste

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Es ist sonderbar: Wąnn immer von der bedeutendsten deutschen Dichterin, von Annette von Droste-Hülshoff die Rede geht, stets wird sie mit großer Vertraulichkeit nur „die Droste” oder Annette genannt. Und dies, obgleich es ihrem Lebenswerk oder auch nur einem Teile desselben niemals geglückt ist, so ganz Gemeingut des Volkes zu werden, bis in die letzte Hütte hinein lebendig geworden zu sein. Die Ursache wird wohl hierin liegen, daß wer von Annette jemals irgendwas hörte, schon auch im Bilde war, daß es sich hier um ein feines, gebildetes, leider immer kränkelndes Wesen handelte, dessen Herzensfalten zu allem Überdruß noch immerwährende Schwermut um ein oftmals zerstörtes Liebesglück bergen mußten. Es soll damit aber nicht gesagt sein, daß bei dem oder jenem das Mitleid vielleicht zum literarischen Wertmesser geworden ist. Aber welche fühlende Seele würde nicht heute noch sehr angerührt werden von dem unsagbaren Leid, von dem das arme Edelfräulein so unbarmherzig befallen wurde. Ja, unsagbar, denn sie gibt ihrem Schmerz nicht jenen überschwenglichen Ausdruck, den man ob seiner Größe füglich hätte erwarten können. Außer in einigen Gedichten gab ihr kein Gott, zu sagen, was sie leidet, obwohl zu vermuten gewesen wäre, daß das tragische Mißverständnis und das tiefe Ungemach mit Heinrich Straube und Levin Sckücking die Dichterin gezwungen hätten, ihr gequältes HerZ schöpferisch zu erleichtern. Es tat dies nur in seinem kurzen Glücke. An die Droste sei aber heute nicht allein deshalb erinnert, weil sie eine unglückliche Frau war.

Nicht nur Paul Heyse nennt Annette von Droste-Hülshoff Deutschlands größte Dichterin. Und wenn sie auf die Frage, was sie veranlaßt habe, den Parnaß aufzusuchen (gleich einem Dieb), antwortet:

„So hört denn, hört, weil ihr gefragt:

Bei der Geburt bin ich geladen,

Mein Recht, so weit der Himmel tagt,

Und meine Macht von Gottes Gnaden”,

dann muß ihr die Nachwelt ohne Zaudern zubilligen, daß es nicht dünkelhafte Überheblichkeit war, was šie zu diesen selbstbewußten Worten verführte. Wenn sie ein andermal zu Levin Schücking von ihrer Kunst sagt: „Mein Talent steigt und stirbt mit deiner Liebe. Was ich werde, werd ich um dich und um deinetwillen”, fällt es uns schwerer, ihr Glauben zu schenken, denn der Liebe Lust und Weh ist es nicht allein, was sie dichten hieß. Man kann sagen, daß Annette schon von Kindheit an förmlich unter dem Zwang der Dichtkunst stand. Es wird niemand einfallen, in den gereimten Zeilen einer Siebenjährigen etwas Außerordentliches erblicken zu wollen. Aber wenn Annette mit zwölf Jahren Hexameter abfaßte, dürfen wir auf eine sehr frühe Einfühlung in einen ungewöhnlichen Rhythmus und eine ganz unjugendliche Beachtung der Form schließen. Das kultivierte Elternhaus und dessen in dieser Hinsicht nicht weniger verläßliche Freundeskreis machten das Kind schon mit Voß, Goethe und manch anderem Dichter bekannt. Aber die besten Vorbilder finden nicht immer Nachahmer, sogar hiezu muß von Hause aus ein Ingenium etwas in Herz und Hirn versenkt haben. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Droste sich Freiligraths Rhetorik auch noch später schwer entziehen konnte. Aber sie ringt sich dann zu jener Sprache durch, die unverwechselbar ganz ihr eigen ist und die nicht nur, weil sie mit Provinzialismen der roten Erde durchsetzt ist, so urwüchsig erscheint. Im wahrsten Sinne des Wortes aber nur ihr zugehörig sind gewisse sprachliche Fügungen. Wenn es im Heid- gezweige krimmelt und wimmelt, ein andermal Funkcnflinster stäuben, ein Fuchs seinen Trab zuckelt, so sind das nur Beispiele einer langen Reihe glücklichster eigenwilliger W ortbildungen.

Annette ist von schwächlichster körperlieber Konstitution. Einer kräftigen Amme verdankt sie es, daß sie am Leben bleibt. Zu den rührendsten und feinsten menschlichen Zügen Annettens gehört, wie sie dies der armen Webersfrau Katharina Plettendorf später dankte. Sie pflegte, drei Jahre vor ihrem eigenen Tode, selbst leidend, mit opferwilliger Hingabe die halbge’ähmte, auf den Tod erkrankte greise Amme. Zeigt sich hierin die selbstverständliche Verpflichtung des katholischen Edelfräuleins, ein alle Standesunterschiede überbrüdeendes Christentum? Annette kann ihre Jugend teils auf dem väterlichen Schloß Hülshoff, teils auf dem Gut Rüschhaus, beide unweit von Münster, verbringen, sehr zunutz ihrem „jämmerlich miserablen” Körper. Was aber die deutsche Literatur hieraus erntete, zeigen uns vor allem der Droste lyrische „H e i d e b i 1- djer”. Die Natur ihrer Heimat ist der ergiebige Nährboden, dem ihre schönsten Dichtungen entsprießen. Die blaue Himmelsglocke, die sich über der Weite wölbt, die Luft, von Lerchen jubel und Wachtelschlag durchzittert, vom sprühenden Duft des Ginsters und Heidekrauts erfüllt, das ist es, was sie so überselig macht, daß sie es nicht bei sich behalten kann. Der Flügelschlag ihrer Phantasie ist übermächtig, sein Rauschen tönt noch heute aus den wunderbaren Versen. Manchmal ist ein ererbter Hang zum Mystizismus spürbar, der aber keineswegs zur Schau getragen wird, wie sich denn überhaupt die Droste niemals gibt, sondern immer nur sie selbst bleibt.

Wenn die Droste von ihrer Heimat dichtet, malt sie. Dem später geborenen Dichter der Marschen, dem Husumer Theodor Storm, ist sie nicht vergleichbar. Aber sie vermag es gleich ihm, uns ohne Schwierigkeit gleich mitten in ihre Landschaft zu stellen, wiewohl sie dies mit anderen Mitteln tut. Es ist kein episches Aufzähien von ihrer Heimat charakteristischen Merkmalen, ihre Worte sind die Pinselstriche, ein Gemälde entsteht vor uns. Aber nicht etwa eines, das für eine Ausstellung bestimmt ist. Sie malt ihre Heimat, weil sie sie liebt und sozusagen für sich. Dem Format und der Durchzeichnung nach sind es Miniaturen, es ist alles erfaßt, was es zu sehen gab, und mit der größten Präzision wiedergegeben. Weit wuchtiger in der Wortmalerei sind die Balladen. Da fällt es noch mehr auf, in welch einem Kontrast diese männliche, blockhafte Sprache zur zarten körperlichen Persönlichkeit Annettens steht, eine Sonderbarkeit, die sich in der Literatur nicht wiederholt. Nur einmal wird die Kraft der Sprache bewußt gedämpft, in dem Gedichtekranz „D as geistliche J a h r”. In dieser Dichtung scheint sie auf den innigsten Ton gebracht. Der poetische Gehalt und die sprachliche Gestaltung der Gesänge waren stets umstritten, wozu die Dichterin vielleicht selbst beigetragen hat.

Schreibt sie doch an ihre Mutter: „Mein Werk ist jetzt ein betrübendes, aber vollständiges Ganze” — sie hat es nicht in einem Zuge abgefaßt —, „nur schwankend in sich selbst, wie mein Gemüt in wechselnden Stimmungen … Für die Großmutter” — für diese waren die geistlichen Lieder ursprünglich bestimmt — „ist und bleibt es völlig unbrauchbar sowie für alle sehr frommen Menschen; denn ich habe ihm die Spuren eines vielfach gepreßten und geteilten Herzens mitgeben müssen…” Auch betont sie in dem gleichen Briefe, daß sie den ersten Teil der Gedichte „im Gefühl der äußersten Schwäche” geschrieben habe, in der Erkenntnis eines zeitweiligen Unvermögens, sich der Aufgabe gewachsen zu zeigen. Vor einem solchen Verantwortungsbew.ußtsein, einer solch herben Strenge gegen sich selbst müßte eigentlich jede Kritik verstummen und bedenken, daß tiefe Frömmigkeit um den besten Ausdruck lange und ehrlich gerungen hat.

Herb und kräftig sind auch der Droste Prosadichtungen, die zum größten Teile fragmentarisch blieben. Auch sie haben ihre Wurzeln im roten Boden Westfalens, die Dichterin kann und will dem vertrauten Heimatlande nicht entfliehen. In der in jeder Weise vollendeten Novelle „Die J u d e n b u c h e” zeigt die Droste, was dichterische Phantasie und formende Sprachgewalt aus mündlichen und archivarischen Mitteilungen zu machen verstehen. Der Realismus, der sich in der Milieuschilderung, im charakteristischen Umriß der Personen und meisterhaften Duktus der direkt geführten Dialoge kundgibt, ist weit davon entfernt, das „Sittengemälde” zu einm bloßen düsteren Tatsachenbericht zu erniedrigen. Er wird hier wie anderswo aufgewendet, um allem, was in den Kreis des Darzustellenden einbezogen wird, die größtmögliche Treue zu sichern.

Annette von Droste-Hülshoff ist, menschlich und dichterisch gesehen, eine aufrechte, schlichte Persönlichkeit. Zu ihren fundamentalen Eigenschaften sind ein ausgesprochener Familiensinn, tiefe Anhänglichkeit an die heimatlidie Scholle und engste Verwobenheit mit der Natur zu zählen. Volksverbunden, opferbereit, leicht erregbar, aber sofort zur Versöhnung geneigt, muß ihr die Nachwelt ob ihrer Tugenden restlose Sympathie bezeigen. Zur Blütezeit der blauen Blume lebend und Anregungen von allen Seiten empfangend, war sie in ihren Dichtungen weder romantisch noch überhaupt unselbständig. Auch hier ist sie der gerade Mensch, es ist keine „Pfauenfeder in ihrem Krähenpelz” zu entdecken, lieber trüge sie ein dürftiges, aber eigenes Kleid als fremden Putz. Aber das eigene Gewand ist ja durchaus nicht kläglich, es ist nur nicht überladen.

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