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Die ersten Angriffe

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Den ersten Angriffen der kommunistischen Machthaber in Preßburg waren die Außenbastionen der Kirche zum Opfer gefallen. Im Spätsommer vorigen Jahres wurde in Karlsbad der Plan zu entscheidenden Schlägen ausgearbeitet, in dessen Ausführung zunächst auf Grund des sogenannten Kirchengesetzes Nr. 218 in Preßburg das Slovensky ürad pre veci cirkevne (SÜVC „Amt für kirchliche Angelegenheiten in der Slowakei“) errichtet wurde. Mit der Schaffung dieser Behörde-begann ein neuer Abschnitt des Kulturkampfes, in dem es sich alsbald zeigte, daß es nun aufs Ganze ging. Dem SÜVC genügten seine nachgeordneten, von sogenannten Kirchenreferenten geleiteten Instanzen nicht; mit Beginn dieses Jahres wurde jedem Bischof ein Bevollmächtigter für kirchliche Angelegenheiten beigegeben und dieser mit den weitestgehenden Vollmachten ausgestattet. Ohne das Plazet des Bevollmächtigten wird auch nicht die gelehnung ans überlieferte pietätvoll hatte ■weiterbestehen lassen.

Auf seiner Wanderung rings um den Platz, an den vielen kleinen Geschäften und nicht minder zahlreichen Gasthäusern vorbei, kam der Dichter auch zu einem Laden, der ihn im Augenblick sehr vertraut begrüßte, was nicht weiter zu verwundern war, denn es war ein Buchladen. Immer war so ein Buchhändler da in diesen kleinen ländlichen Orten, der zugleich auch Papierhändler sein mußte, um sein bescheidenes Dasein aufrecht zu halten. Es zeigte sich eben der Wert der Dinge, hier audi im Geschäftlichen abgegrenzt, das war nun einmal nicht anders, das hatte der Dichter längst in Demut hinzunehmen gelernt.

Immerhin fand er es erfreulich, daß sich auch einige seiner eigenen Bücher in der Auslage befanden, geschickt um den Anschlagzettel herumgereiht, der seinen abendlichen Vortrag ankündigte. Auch noch etwas Besonderes bemerkte er dabei, sein frühestes Buch, seine Erstgedichte, die schon vor Jahrzehnten erschienen und nicht wieder aufgelegt worden waren, sie standen mit im Kreise der andern und sahen ihn in ihrem alten, vergilbten Röckchen wie eine längst verschollene Legende wehmütig an. Auf welchem Wege möchten sie wohl hieher gekommen sein. Zweifellos auf dem antiquarischen. Durch wie viele Hände mochten sie wohl schon gegangen sein? Vielleicht auch schon durch allerlei Auktionen? Nun, hoch im Preise hatten sie es nicht gebracht. Ein Zettel, der im Schnitt des Büchleins steckte, verkündigte ihren bescheidenen Wert. So sinkt man von Stufe zu Stufe, wenn man alt •wird, lächelte der Dichter vor sich hin. Nun, er würde den braven Buchhändler nach seinem Spaziergang besuchen, mit ihm ein paar freundliche Worte wechseln, das gehörte so zum Geschäftsbrauch. Auf seinem weiteren Wege gewahrte er aber nun etwas anderes, was seine Aufmerksamkeit wieder in Anspruch nahm. Er sah in der Mitte des Hauptplatzes einige Wohnwagen stehen, wie sie beim fahrenden Volke im Gebrauch sind, er sah auch einige Leute, bemüht, auf hohen Stützen ein Seil, zu spannen, und so konnte er nicht lange im Zweifel über das Kunstfach dieser Fahrenden sein. Man rüstete offenbar dazu, am Abend hier eine Seiltänzervorstellung zu geben, und es war nicht zu verwundern, daß diese Tatsache dem Dichter spontan zu denken gab. Ei sieh, sagte er sich belustigt, hier erwächst dir ja für heute abends eine gar nicht ungefährliche -Konkurrenz!

Gleich darauf sah er einem der Wohnwagen ein junges Mädchen entsteigen und dem Gehsteig zuschreiten, auf dem er selbst sich befand. Das auffallend hübsche Wesen ging an ihm vorbei, ohne ihn näher zu beachten, er aber konnte den Blick von ihm nicht lassen, vor allem um seiner edlen Haltung und seines harmonisch gelösten Schreitens wegen. Er sah dem Mädchen geraume Zeit nach, bis es in eines der schmalen Seitengäßchen einbog und dort verschwand. Seinen Weg nachdenklich fortsetzend, bemerkte er nunmehr an einem der Häuser einen Anschlagzettel kleben, der sich seinem Inhalt nach zweifellos auf die fahrenden Künstler bezog. In der üblichen marktschreierischen Art wurden da einem hochzuverehrenden Publikum die waghalsigsten Kunststücke versprochen, die es auf dem hohen Seile zu sehen bekommen werde, ausgeführt von „Ara-bella“, der weltberühmten Königin der Luft.

Der Dichter zweifelte gar nicht daran, daß das Mädchen, das er eben bewundert hatte, diese Arabella sei, wenn sie in Wirklichkeit auch weniger romantisch heißen mochte, und er bedauerte fast, am Abend nicht der Vorstellung beiwohnen zu können, da ihr Beginn mit dem seinigen zusammenfiel.

Er setzte sodann seine Wanderung durch das Städtchen fort und kam auch, auf dem Rückweg zu seinem Gasthof, an dem Buchladen vorbei, in dessen Schaufenster er einige seiner Bücher wahrgenommen hatte.

Auf den ersten Blick bemerkte er, daß das Bändchen mit seinen Jugendgedichten fehlte, es hatte sich offenbar ein Interessent dafür gefunden, vermutlich irgendein Literaturbeflissener, der sich an dem verblichenen Aussehen des Büchleins nicht weiter stieß.

Wie verwundert war er aber, als der alte Buchhändler, der ihn erfreut willkommen geheißen hatte, ihm unverzüglich mitteilte, ein junges Fräulein habe sich eben vor wenigen Minuten das Gedichtbuch gekauft, er sei mit ihr ins Gespräch gekommen und sie habe ihm schließlich anvertraut, sie sei die Seiltänzerin, die am Abend auf dem Marktplatz ihre Kunst zum besten geben werde. Sie lese Gedichte fürs Leben gern und bedaure nur, daß sie abends nidit beim Vortrag des Verfassers erscheinen könne.

Dichter lieben seit je das Wunderliche, und so freute sich auch der unsere nicht wenig an dieser Sonderbarkeit des Lebens, daß nämlich eine Seiltänzerin gerne Gedichte lese und daß es überdies jene war, an deren Kunst und Grazie er sich selber gerne erbaut hätte.

Nun, von letzterem Wunsche wurde ihm doch etliches gewährt, denn als er am Abend durch das Tor seines Gasthofes trat, um sich zum Vortrag zu begeben, sah er zu seiner Überraschung, daß die Vorstellung auf dem nächtlich dunkelnden Marktplatz bereits im vollen Gange war. Aus irgendeinem Grunde hatte man früher damit begonnen, vielleicht, weil sich bereits eine Unmenge von Zuschauern eingefunden hatte, die alle zur Höhe des Seiles hinaufstarrten, auf der-, von Scheinwerfern magisch beleuchtet, das silberglitzernde Figürchen der Tänzerin Arabella sich wie ein strahlendes Sternbild den unzähligen andern Sternen gesellte, die sich vom nächtlichen Himmelsdom schweigend abhoben.

Den Dichter bewegte es seltsam, seine kleine Leserin in ihrer himmlischen Verlassenheit dort droben zu gewahren, wie sie die zierlichen Schritte nach dem Taktmaß der Musik in wunderbarer Sicherheit setzte, als sei sie in den Regionen verwegendsten Gleichgewichts nicht weniger zu Hause als drunten auf der sicheren Erde. Und er sagte sich: Wir tanzen jedes auf unserem Seile, kleine Arabella, du auf dem deinen, ich auf dem meinen! Wir wollen der Erde entfliehen im Rhythmus des Schönen, aber zuletzt bleibt unser Seil doch immer ans Irdische gespannt.

Er mußte sich Gewalt antun, von dem traumhaften Bild Abschied zu nehmen, aber er durfte sich ja nicht verspäten, man erwartete ihn ja bereits. Und so wandte er sich zum Gehen — da verstellte ihm ein älteres weibliches Wesen den Weg, das ihm bittend einen Teller vorhielt. „Für die Künstlerin“, sagte sie bescheiden fordernd. Der Dichter fühlte eine leise Beschämung im Herzen. Beschämung für wen? Für sich? Für sie? Für die Welt? Nun ja, das Irdische verlangte eben sein Recht.

Er entnahm seiner Brieftasche eine Banknote, die weit über das übliche solcher Spenden hinausging. Die Alte sah ihn darauf mit erstaunten Augen an und wußte kaum ihren Dank zu stammeln. —'

Wenige Minuten später betrat der Dichter schon den Vortragssaal. Er stellte mit Befriedigung fest — Arabella habe ihn nicht geschädigt, so wie er auch sie nicht. Der kleine Saal war so ziemlich gefüllt, und so war doch jedem das Seinige zugekommen.

Und er konnte übrigens auch mit dem guten Verständnis zufrieden sein, das sein Publikum ihm darbrachte. Er aber war mit der Art sich zu geben, diesmal nicht ganz zufrieden. Er sah, indessen er las, immer wieder das zierliche Figürchen Arabellas, wie es unter den Sternen tanzte. Und ihm war, als tanzte er auch diesmal selber auf dem Seil seiner eigenen Kunst.

Zum Abschluß seines Vortrags wollte er wie immer eine kleine, fröhliche Geschichte lesen. Er liebte es nämlich, sein Publikum womöglich in heiterer Zufriedenheit zu entlassen.

Eben setzte er an, den Titel seiner Geschichte zu nennen, da erstarrte ihm plötzlich das Herz. Hatte er nicht eben aus der Ferne einen Aufschrei unzähliger entsetzter Stimmen gehört. Visionär überfiel ihn die Gewißheit: die kleine Arabella ist abgestürzt!

Er spähte ratlos in den Saal hinaus. Dort aber saß alles in völliger Ruhe. Hatte denn niemand den Aufschrei vernommen? Oder war er nur ein Wahnbild seiner Phantasie gewesen?

Nun, was immer es gewesen sein mochte, jetzt eine heitere Geschichte zu lesen, das schien ihm nicht mehr möglich. Er wählte einen kleinen Zyklus wehmütig ernster Lieder.

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