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Die Kunst des Künstlerromans

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Der Künstlerroman, die „Biographie romancėe", gehört wohl zu den schwierigsten und heikelsten Gattungen der Dichtung. Er ist ein Kind des 19. Jahrhunderts und will sowohl das Bildungsbedürfnis breiter Schichten befriedigen wie auch jenen „Blick hinter die Kulissen" des privaten Lebens öffnen, den jung und alt gar so gerne tun, zumal wenn es sich um einen berühmten Menschen handelt. — Die Gefahren für den Autor liegen auf der Hand. Was ein Berühmter schuf, ergänzt durch Briefe und Tagebücher, steht als einwandfreies Material bereit. Was er tat und sprach, ist meist nur sehr lückenhaft überliefert. Was er dachte — dies zu wissen, gibt nur der Autor des Künstlerromans vor. — Anderseits versteht man die Versuchung: Wer sich eingehend mit einem Menschen beschäftigt und alles greifbare Material zusammengetragen hat, der möchte nun auch die Lücken schließen und selbständig nachgestalten. Abet es ist halt doch nur meist des Herrn eigener Geist, der aus solchen Versuchen zum Leser spricht. — Die in jeder Hinsicht gelungenen Beispiele sind daher auch entsprechend selten! Zu ihnen zählen das Novellenfragment „Lenz“ von Georg Büchner und M ö r i k e s Novejle „Mozart auf der Reise nach Prag“. Aber das erstere ist eine Psychographie, die letztere schildert nur eine Episode. Aus der neueren Literatur wären zu nennen: von Andrė M a u r o i s „Ariel ou la vie de Shelley“, „Byron“, „Werther ou la dėlivrence"; die Bücher über Liszt, Wagner und Chopin von Guy de Pourtalės, Stefan Zweigs „Balzac“, Feuchtwangers „Goya", Thomas Manns „Lotte in Weimar“ . . . Aber auch gegen das letztgenannte Werk gibt es Einwände, obwohl hier die denkbar günstigsten Voraussetzungen gegeben waren: wir können nämlich Goethes Leben Tag für Tag, fast Stunde für Stunde verfolgen an Hand seiner eigenen Aufzeichnungen, der zahlreichen Brief- und Gesprächspublikationen sowie mit Hilfe des vielbändigen Werkes von Bode „Goethe im Spiegel privater Zeugnisse und Mitteilungen seiner Zeitgenossen“. Und trotzdem ...

Einige Beispiele aus jüngster Zeit. Kurt Blaukopf, Autor mehrerer interessanter und instruktiver Musikbücher, wollte „eine historisch treue ein Roman daraus (Symphonie fantastique: Hector Berlioz schreiben“. Er hatte ein reiches Material in der Hand, das ihn befähigt hätte, d i e deutschsprachige Berlioz-Biographie zu verfassen. Aber, gewissermaßen unter der Hand, wurde ihm ein Roman daraus (Symphonie fantastique Hector Berlioz. Leben, Liebe und Melodien eines romantischen Genies. Verlag Arthur Niggli, Teufen A. R„ 370 Seiten). Die Verlockung ist verständlich: Berlioz, phantastisch und exzentrisch, eine Gestalt und ein Leben, wie von E. T. A. Hoffmann erfunden, sein brennender Ehrgeiz und seine Zukunftsträume, seine „Ideen“ — mit stark literarischem Einschlag, die romantische Liebe zu der englischen Schauspielerin Harrieth Smith, das dramatische Konzert vom 9. Dezember 1832, bei dem Hugo und Dumas, Liszt, Chopin, Heine und Paganini anwesend waren: all das verführt zu romanhafter Behandlung.

Aber ist es in sachlicher Darstellung nicht noch dramatischer, „wirksamer“, wenn man will? Fast zu jeder Seite kann der Autor, wie er in seinem Nachwort versichert, Quellen anführen. Aber was ist nicht belegt? „In Sprache und Tonfall die'Seele und die Welt seines Helden einzufangen“ — das braucht der Biograph nicht zu tun; es wird nur dem Dichter gelingen. Dichter aber sind meist keine Wissenschaftler, auch, wie uns die Literaturgeschichte lehrt, keine prädestinierten Biographen. Trotzdem: ein interessantes, lesenswertes, wichtiges Buch von kulturhistorischem Wert, auf dessen Fort setzung man gespannt sein kann. (Wie wird es weitergehen? Als Roman oder als Biographie?)

Auch Erich Landgrebe bringt für seinen Gauguin-Roman wichtige Voraussetzungen mit. Landgrebe ist fdaler und Schriftsteller, und er hat dem Gegenstand seiner verehrenden Liebe wohl mehrere Jahre eifrigen Forschens gewidmet. Auch Gauguins Leben ist abenteuerlich genug, und zwar nicht nur durch seine Flucht vor der Zivilisation auf ferne Märcheninseln. Die Beziehungen zu Van Gogh scheinen nach dem Dramatiker zu rufen; man meint, ein Dichter brauche diese Tragödie nur in Akte einzuteilen, und das Stück ist fertig. (Wir haben es auf der Bühne und im Film gesehen, und es war uns nicht wohl dabei). — Vor Entgleisungen bewahrt Landgrebe sein ziemlich sicherer Geschmack, vor dilettantischen Vereinfachungen sein Wissen um das Handwerkliche der Malerei. Trotzdem: was wäre das für eine schöne Biographie geworden, mit Briefen und Schriften Gauguins, mit einigen seiner Bilder von adliger Schönheit, (Auch diesem Roman sind einige, wohlausgesuchte, beigegeben, aber sie lassen die Diskrepanz zwischen dem Objekt und seiner romanhaften Darstellung nur noch stärker empfindet.) Es gibt einige Gauguin- Zitate in dem Buch Landgrebes vor denen, der Autor verzeihe uns, alle bemühte Dichtung verblaßt. Aber es gibt auch schöne Sätze und Passagen vom Autor; besonders in der zweiten Hälfte des Buches werden die Farben leuchtender und kräftiger. Den Kern der Gauguinschen Tragödie erleuchtet der Satz: „Wenn er dazu verurteilt war, ein Individuum zu sein, dagegen konnte er mit fünfzig Jahren nichts mehr tun. Aber dieses Volk wollte er lieben als den letzten Traum einer reinen Menschheit." Das ist von einem Dichter gesehen und gesagt. Und trotzdem . ..

Zum Schluß ein Lebensdokument: „Gefahr- I i c h e W e n d e — A u f z e i c h n u n g e n eines Malers“ (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 232 Seiten). Der Maler ist Maurice de Vlaminck, vor einem Jahr hochbetagt auf seinem Landsitz La Tourilliėre bei Paris gestorben, Flame von Geburt, Wahlfranzose, der letzte der „Fauves“, schon zu Lebzeiten ein Mythus. Vlaminck, dessen Bilder man in allen größeren Museen findet, war ein Vollmensch von Rabelais’schem Format; er aß und trank gern und viel, brauchte ständig einen Kreis von Zuhörern und Bewunderern, denen er endlos bunte und spannende Geschichten erzählte, die freilich, wie seine Freunde versichern, nicht immer im Einklang mit der nüchternen Wirklichkeit standen. Er war ein großer Liebhaber des Lebensi und ein großer Hasser: der Zivilisation, der Großstadt, des Militärs und des Krieges, aber auch seiner großen Vorgänger und Zeitgenossen (von denen er nur van Gogh, den Zöllner Rousseau und Modigliani gelten ließ), vor allem aber der „Abstrakten“. — Der Pinsel genügte ihm als Ausdrucksmittel nicht, er mußte schreiben, dichten. So hat er von 1902 bis 1957 insgesamt 18 Bücher verfaßt. Das vorliegende enthält seine Jugendgeschichte. Aber sie ist nur der Leitfaden. Vlaminck plaudert, bramarbasiert über alles und jedes, mit und ohne Kompetenz, aber immer mit Temperament. Richard Biedrznyski hat ein ausgezeichnetes Nachwort geschrieben (Seite 215 bis 232), distanziert und klug, das Vlamincks Platz in der Kunstgeschichte seiner Zeit bestimmt, die vom Autor gesponnenen Fäden bis in die Gegenwart weiterführt und zu den Exkursen des Künstlers den sachlich-soliden Hintergrund ' bietet. — Man muß sicher nicht alle 18 Bücher von Vlaminck lesen (und herausgeben), aber wer sich für diese Zeit und speziell für den Menschen Vlaminck interessiert, dem tritt er hier unverfälscht, in all seiner Vitalität und mit all seinen Schwächen plastisch entgegen. Und das, scheint uns, ist doch sehr viel — und wichtig.

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