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Die Zeit der Kirche

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Der protestantische Neutestamentier an der Bonner Universität, ein in den Fachkreisen der verschiedensten Richtungen hochangesehener Gelehrter (zum Teil der religionsgeschichtlichen Schule stark verbunden), hat dieses Buch geschrieben. Er ist bekanntlich im Dezember 1953 zur katholischen Kirche übergetreten. Ueber die Beweggründe dieses aufsehenerregenden Schrittes, daß ein Schüler von K. Barth, R. Bultmann und M. Heidegger einfach Katholik wird, hat Schlier selbst in einem Sammelwerk über mehrere Konversionen aus der jüngsten Zeit „kurze Rechenschaft“ gegeben (Bekenntnis zur katholischen Kirche, Würzburg 1955. S. 169—193). Wollte man diesen (eigentlich sehr nüchternen) Bericht in einen einzigen Satz zusammenfassen, dann könnte man es mit dem berühmten Worte des J. von.Görres tun: „Grabt tiefer, und ihr kommt auf katholischen Boden.“ Und Schlier grub sehr tief. Seit 1927 las er regelmäßig das „Hochland“, Möhler, Newman, Claudel waren ihm ebenfalls nicht unbekannt, den entscheidenden Anstoß aber gab ihm — wie könnte es bei einem Exegeten anders sein? — das Neue Testament. Hier grub Schlier unermüdlich an die dreißig Jahre lang und kam allmählich darauf, daß das Neue Testament eben — katholisch ist oder wie es S. 192 heißt: daß die katholische Kirche „mehr als die Summe ihrer Glieder“ darstellt, daß man Joh. 17 eben doch einmal ernstnehmen müsse usw.

Der Verlag Herder ersuchte bald darauf den Konvertiten Schlier, eine Auswahl seiner früheren, in den verschiedensten Zeitschriften zerstreuten Aufsätze und Vorträge in einem Sammelband einer breiteren theologischen Leserschaft zugänglich zu machen. Dieser Bitte ist nun der Verfasser mit der vorliegenden Publikation nachgekommen. Sie enthält 21 Abhandlungen aus den Jahren 1932—1955 und zwar (mit einer einzigen Ausnahme: Nr. XXI) stammen sie alle noch aus seiner protestantischen Zeit. Es ist ein buntes Kaleidoskop, das sich hier dem Leser enthüllt. Aufsatz I, 11 und VI befassen sich mit dem Problem Staat und Neues Testament, wozu das Auftreten Hitlers begreiflicherweise immer wieder Anstoß gab. Als Schüler Karl Barths stand Schlier dem Dritten Reich sehr skeptisch gegenüber und mahnte angesichts der überschwenglichen Begeisterung vieler evangelischer Theologiestudenten (und auch so mancher ihrer Lehrer; vgl. S 309) für das neue Regime zur Nüchternheit und Distanz zu den Dingen dieser Welt, indem er im Gegensatz zu dem damals so oft zitierten Rom 13, 1—7 auch Hebr 13, 14 wieder in Erinnerung brachte.

Diese sympathisch anmutende geistige Selbständigkeit bewies Schlier übrigens auch gegen seinen eigenen Lehrer K. Barth. Als dieser 1943 einen massiven Angriff gegen die — bei Katholiken und Protestanten in Uebung stehende — Kindertaufe startete, wandte sich Schlier 1947 in der Theologischen Literaturzeitung gegen seine Argumente und berief sich dabei u. a. auf die Ergebnisse der neueren Kata-kombenforschung sowie auf Origenes (vgl. S. 124) und zitierte bereits beifällig das Tridentinum (S. 125). Erwähnt sei noch Aufsatz XIX, der 1954 geschrieben wurde. Er will dem Leser die (an sich ja schließlich nicht unmögliche) These schmackhaft machen, daß der Johannesprolog ein alter urchristlicher Logoshymnus war, den der greise Apostel (mehr oder minder unverändert) seinem Werk einverleibt habe. In den Anmerkungen dazu finden sich neben Heidegger auch Thomas von Aquin, J. A. Jungmann u. a (vgl. S. 274—287). Nicht weniger als vier Abhandlungen (X, XII, XX, XXI) befassen sich mit dem Problem der Kirche, mit dem Schlier etwa seit 1948 ringt und das dann offenbar auch den entscheidenden Anstoß zu seinem Uebertritt gegeben hat. Man erinnert sich unwillkürlich an Erik Peterson, der ebenfalls vor seiner Bekehrung zum Katholizismus am Beginn der dreißiger lahre viel über das Wesen der Kirche nachdachte, ja sogar mit dem alten Harnack darüber einen höchst interessanten (und später gedruckten) Briefwechsel geführt ha'te. Daß bei diesen Ueberlegungen über die Kirche der Ephcserbrief als der „ekklesiostische“ Brief eine besondere Rolle spielt, ist nicht verwunderlich. Freilich hatte einst gerade diesen Brief Schlier in seiner Habilitationsschrift als unpaulinisch erklärt (Christus und die Kirche im Epheserbrief [1930] S. 39, Anm. 1 u. a.). Wunderbar sind die Wege des Herrn! Mit diesem Gedanken legt man das gehaltvolle Buch wieder aus der Hand.

Abschließend sei noch bemerkt, daß das Problem der Kirche, die Sehnsucht nach der Una Sancta, schon seit geraumer Zeit die edelsten Geister im Protestantismus zutiefst erfaßt hat. Ich erinnere mich da mit aufrichtiger Verehrung an meinen einstigen Lehrer in Berlin, Adolf Deißmann, der dieses Thema in seinen Vorlesungen immer wieder aufrollte, der ein Jahr vor seinem Tod noch eine Schrift herausgab: Una Sancta. Zum Geleit in das ökumenische Jahr 1937. Er wollte im wesentlichen durch Verhandlungen und Kompromisse die heillos auseinanderstrebenden Meinungen im Weltprotestantismus wieder zusammenführen. Emil Brunner dagegen, der bekannte calvinische Theologe in Zürich, sieht vielleicht tiefer und richtiger, wo das liebe) sitzt, wenn er schreibt: „Was ist die Kirche? Diese Frage ist das ungelöste Problem des Protestantismus. Von den Tagen der Reformation bis auf unsere Zeit hat nie Klarheit darüber bestanden . ..“ (Das Mißverständnis der Kirche, Stuttgart 1951, S. 7).

Der in der Seelsorge stehende Pastot Max Lackmann wird nun neuestens ganz deutlich, wenn er 1955 eine Schrift mit folgendem Titel herausbrachte: „Ein Hilferuf aus der Kirche für die Kirche.“ Der unermüdliche Forscher Schlier hat auf die „ungelöste Frage“ nun Antwort gefunden und gegeben. Es ist die gleiche Antwort, wie sie erlauchte Geister schon vor ihm auch fanden: Angelus Silesius, Clemens Brentano, Kardinal Newman, Chesterton, Sigrid Und-set und wie sie alle heißen mögen. Das tiefe Wort aus der (einst so verachteten) „strohernen Epistel“: „Nähert euch Gott und Gott wird sich euch nähern“ (lak 4, 8) ist wieder einmal in auffälliger Weise in Erfüllung gegangen. Uns anderen mag das nicht nur ein Grund zur Freude, sondern vielmehr noch ein Aufruf zur erhöhten Verantwortlichkeit sein, auf daß wir den suchenden Brüdern mit Liebe und dem nötigen Verständnis entgegenkommen, wenn sie wieder heimkehren zur alten Mutter.

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