Eduard von Keyserling: Ein Ästhet meldet sich zu Wort

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Eduard von Keyserling gehört jetzt endgültig zu den vorzeigbaren Größen, meint Anton Thuswaldner. Etwas Besonderes ist der jüngst erschienene Band mit Feuilletons und verstreuter Prosa, darunter fünf neu entdeckte Erzählungen.

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Eduard von Keyserling gehört jetzt endgültig zu den vorzeigbaren Größen, meint Anton Thuswaldner. Etwas Besonderes ist der jüngst erschienene Band mit Feuilletons und verstreuter Prosa, darunter fünf neu entdeckte Erzählungen.

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Über Eduard von Keyserling (1855–1918) können wir uns dank der Bemühungen des Manesse Verlags ein recht gutes Bild machen. Es bedarf des beherzten Einsatzes Einzelner – die Bemühungen des Verlagsleiters Horst Lauinger um einen außerhalb Bayerns vorher weitgehend unbemerkt Gebliebenen haben in diesem Fall zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt –, um den literarischen Kanon etwas aufzumischen.

Eduard von Keyserling gehört jetzt endgültig zu den vorzeigbaren Größen. Die Romane und Erzählungen sind in verlässlichen Ausgaben greifbar, aber etwas Besonderes ist der jüngst erschienene Band mit Feuilletons und verstreuter Prosa, darunter fünf neu entdeckte Erzählungen. Er wirft ein neues Licht auf den Autor. Wie bei Joseph Roth runden die Feuilletons den Eindruck ab, den man sich vom Romancier bereits gemacht hat. Roth ist der politische Denker, Keyserling argumentiert als Ästhet. Er geht 1905 in eine Ausstellung der Münchener Secession und kommt zu einem überraschenden Urteil: „Nein! Sie ist nicht erregend, die Münchener Kunst. Sie verblüfft nicht und überrascht nicht.“ Das stört ihn schon deshalb, weil „Platz für die Jungen und Jüngsten“ geschaffen wurde und ihm „der Grundton ein tief beruhigter“ scheint. Nach solch einem fulminanten Einstieg, der den Leser bei seiner Neugier packt, geht er ins Detail und zerlegt einzelne Bilder kraft seines ­kritischen Blicks.

Vom Kunstwerk erwartete Keyserling nicht Erkenntnis und Aufklärung, nicht Abbild sozialer Zustände und Widersprüche, wie es Zeitgenossen vom Schlage Gerhart Hauptmanns unternahmen, „immer steht am Ende eines Kunsterlebnisses eine Lust und ein Glück“. Das schreibt er 1914, als der Erste Weltkrieg tobt. Er bleibt der Ästhet, der als solcher zu denkwürdigen Ansichten kommt. Die Sinnhaftigkeit des Krieges stellt er nicht in Frage, er stößt sich daran, dass die Franzosen „aus der Kathedrale von Reims ein Werkzeug nationaler Verteidigung“ machen. Der Turm als Beobachtungsposten, vor den Mauern Geschütze, damit wird ein Kunstwerk zum Feind. „Die Kunst steht hoch, doch das Vaterland steht höher“, ruft er den Deutschen zu, um zu legitimieren, dass der Dom unter deutschen Beschuss ­gerät.

Der Ästhet als politischer Kommentator, das geht nicht gut, wenn er sich zum Handlanger der Propaganda degradiert. Aber damit bleibt Keyserling nicht allein, wenn man sich vergegenwärtigt, wie der größte Teil der literarischen ­Elite vom Schreibtisch aus in Schlachtgeheul ausbricht. Auch der Hurra-­Patriotismus gehört zu diesem feinsinnigen Ästheten, in geschmackvolle Sätze verpackt. Dieser opulente, vorzüglich edierte Band zeigt die Größe eines Schrift­stellers ebenso wie dessen Fehldeutungen. Das macht ihn so wertvoll.

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