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Ein radikaler Schwarzseher

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DIE DRITTE WALPURGISNACHT Von Karl Kraus. Sonderausgabe als Nr 15 der „Bücher der Neunzehn“ im Kösel-Verlag, München. 36S Seiten. Preis 14.80 DM

Der große Nachruhm Karl Kraus' gründet sich wesentlich auch auf das in der „Dritten Walpurgisnacht“ niedergelegte Vermächtnis des zeitkritischen Dichters. Die wohlfeile Ausgabe des Werkes, die nun ein letztes Hindernis für seine Breitenwirkung wegräumt, enthält neben dem als Sonderheft der „Fackel“ von Kraus konzipierten Text ein Nachwort des Herausgebers Heinrich Fischer und einen Essay von Wilhelm Alff „Karl Kraus und die Zeitgeschichte“. In dieser zweifach kommentierten Edition liegt, das muß gesagt werden, auf jeden Fall etwas anderes vor als das reine Werk, so wie es von Karl Kraus gemeint war. Denn die Kommentare sind hier nicht bloß Biographie, Textgeschichte oder Deutungshilfe, wie man es von den Anhängen der üblichen Werksausgaben eines Dichters gewohnt ist.

Die Meinungsverschiedenheit zwischen Fischer und Alff liegt offen zutage. Sie ist so wesentlich, daß damit Karl Kraus steht oder fällt. Heinrich Fischer distanziert sich von dem auf Wunsch des Verlages angefügten Essay Alffs in einer eigenen „Bemerkung des Herausgebers“ und beruft sich zu Recht auf einen Satz von Karl Kraus: „Das Verständnis meiner Arbeit ist erschwert durch die Kenntnis meines Stoffes. Daß das, was da ist, erst erfunden werden muß und daß es sich lohnt, es zu erfinden, sehen sie nicht ein. Und auch nicht, daß ein Satiriker, dem die Personen so vorhanden sind, als hätte er sie erfunden, mehr Kraft braucht, als der. der die Personen so erfindet, als wären sie vorhanden.“

Man muß diesen Satz heute, in der Zeit des dokumentarischen Theaters und der Semidokumentationen, in der Hausse der verschwommenen Mischformen einer Poesie ohne richtiges Selbstvertrauen, sehr genau und aufmerksam lesen. Karl Kraus beansprucht für sein satirisches Werk damit primär dichterisches Gewicht und sprachliche Kunst. Er hat diesem hohen Anspruch genügt. Wir müssen uns, wenn wir Karl Kraus nicht fälschen oder umdeuten wollen, an diese seine Intention, für die er oft genug gekämpft und polemisiert hat, halten. Dieser Anspruch ist es ja, der Kraus vom zeitgeschichtlichen Sachbuchautor, vom Pressesatiriker, kurzum vom Journalismus abhebt. Dieser Anspruch ist es nicht zuletzt, der dem Werk eine über den unmittelbaren politischen Anlaß hinausgehende, zeitlose Gültigkeit verleiht.

Man kann es auch anders sehen. So wie Wilhelm Alff. Er schreibt: „Man sollte dieses Buch als ein Zeitdokument des Jahres 1933, nicht als ein literarisches Werk lesen. Seine entscheidende Bedeutung liegt in dem Widerspruch eines lebendigen Menschen zu der Unmenschlichkeit kollektiver Verhältnisse, zu einer Unmenschlichkeit, die nicht die Natur der Dinge selber, nicht ihre Zwangsläufigkeit war...

Das ist also das Gegenteil. Karl Kraus als satirischer Chronist. Selbstverständlich soll es keinem Leser verwehrt sein, diesen Standpunkt einzunehmen. Aber er muß wissen, daß er damit den Dichter nicht richtig versteht und daher nie auf den Grund und auch nie auf die schreckliche Schönheit des Kunstwerks kommen wird.

Freilich, dies sei ihm zum Tröste gesagt, Karl Kraus hat sich zeitlebens selbst nie ganz an seine dichterische Maxime gehalten. Er hat durchaus selbst den Grund zu Alffs und vieler Zeitgenossen Mißverständnis gelegt. Deswegen wäre vielleicht eine Haltung zu versuchen, die zwischen den Kooimentairen liegt. Die „Dritte Walpurgisnacht“ läßt sich als Dichtung und Dokument lesen. Diese Haltung hat außerdem den Vorteil, daß sie es nicht erlaubt, den Anklagen und Konsequenzen allzu leicht zu entschlüpfen und sich ein ästhetisches Alibi zu suchen.

Der Anfangssatz der „Dritten Walpurgisnacht“ ist leider zum geflügelten Gemeinplatz geworden: „Mir fällt zu Hitler nichts ein!“ Wie dieser Satz von einem Manne gemeint sein kann, der ihm immerhin — gezählt in der Buchausgabe — 283 Seiten sohärfstens kritischen Text folgen läßt, müßte doch eigentlich klar sein. Karl Kraus hat sich von der Fassungslosigkeit zu einer Eröffnungsgeste rhetorischer Resignation bestimmen lassen.

Dann fiel ihm zu Hitler allerhand ein. Die haßgeliebte Presse diente ihm als Stichwortbringer. Und ' er reißt die Masken ab. Er packt den Stier zumeist an den Papierhörnern

der Sprache. Der einsame Kampf ist in faustisches Licht getaucht, in die Atmosphäre der Walpurgisnacht. Nicht nur dies im Goetheschen, im Faustschen Sinne. Auch dies, daß stets Ereignis zum Gleichnis wird, das heißt Dokumentation zur Dichtung.

Die Bewunderung für den Mut des Dichters, der auch Gottfried Benn und Martin Heidegger vor sein Tribunal zerrt (nebst einem Autor, den der Herausgeber rücksichtshalber eliminiert hat), wächst von Seite zu Seite. Bis sie zusammenfällt. Und zwar um so mehr, als man das Buch als Dokument gelesen hat. Denn Karl Kraus hat das bereits gesetzte Sonderheft der „Fackel“ mit diesem gigantischen Pamphlet nicht erscheinen lassen. Er nahm, wie der Herausgeber mitteilt, Rücksicht auf seine Freunde in Deutschland. Man schrieb 1933.

Die Nationalsozialisten wußten vermutlich auch so, was sie von Karl Kraus und seinen Freunden zu halten hatten. Ihr Haß wider den Dichter in Österreich war maßlos. Wir wollen hier nicht posthum mit Karl Kraus rechten. Aber ganz verständlich wird dem jungen Leser von heute dieses Zurückziehen im letzten Augenblick nicht. Steht damit Karl Kraus nicht in einer Reihe etwa mit Pius XII., so wie ihn Rolf Hochhuth verzeichnet hat? Trägt er, gerade weil er die beste Einsicht hatte und aus Rücksicht schwieg, am Ende auch Mitschuld?

So bleibt auch hier nur die Flucht in die Größe der Dichtung. Heinrich Fischer schreibt, Kraus sei „vielleicht der radikalste Schwarzseher der deutschen Literatur“ gewesen. Dem ist zuzustimmen. Mit aller Einsicht in Macht und Ohnmacht der Dichtung vor den Diktatoren und Dämonen des Jahrhunderts.

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