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Ein unbekannter Jugendbrief Moriiz von Schwinds

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Es ist nicht zu verwundern, daß von den Jugendbriefen berühmter Männer meist nur ein sehr kleiner Teil der Nachwelt erhalten bleibt. Nur selten steht schon dem Knaben oder Jüngling künftiger Ruhm auf der Stirne geschrieben, meistens bedarf es eines besonderen Scharfblickes, um schon in den jugendlichen Aeußerungen unreifer Begabung den Keim künftiger Größe und Berühmtheit zu erkennen. In den meisten Fällen werden daher die Jugendbriefe großer Männer zunächst achtlos behandelt, und wenn ihre Urheber berühmt werden, sind sie größtenteils schon vernichtet worden oder unauffindbar. Um so wichtiger für die Erforschung der Jugendjahre dieser Männer sind aber dann die wenigen Briefe, die aus dieser Zeit erhalten geblieben sind.

Wie wichtig sind für die Kenntnis der Jugendjahre Moritz von Schwinds die zahlreichen Briefe, die er an Franz von Schober gerichtet und die dieser sorgfältig aufbewahrt hat! Außer diesen sind aber bisher nur verschwindend wenige Jugendbriefe Schwinds bekanntgeworden. Ein bisher unbekannter, den er an Anton von Spaun gerichtet hat, wird daher die zahlreichen Freunde seiner Kunst gewiß interessieren und sei anläßlich seines 150. Geburtstages hier veröffentlicht.

Wie aus dem Brief zu ersehen ist, hatte Anton von Spaun, der in Linz lebte, Schwind um Auskünfte über die Wiener Kunstakademie gebeten, da ein Neffe seiner Frau Maler werden wollte. Dieser Anfrage verdanken wir den vorliegenden Brief des damals 21jährigen Schwind mit einer ungeschminkten, aber durchaus wohlwollenden Schilderung der damaligen Verhältnisse an der Akademie, die er übrigens schon kurz nachher viel weniger günstig beurteilte. Bemerkenswert ist, daß er sich im Mai 1825 schon als aktiven Schüler der Akademie bezeichnet. Nach seinen Biographen hat er sie zu dieser Zeit nicht mehr besucht oder doch höchstens nur als ein sehr seltener Gast.

Von den im Brief erwähnten Werken sind uns die Bilder zum „Freischütz“ und „Don Quixote“ nicht bekannt. Lukas R. von Führich, der erste Biograph des Meisters, erwähnt zwar unter den Werken jener Zeit einen „schönen Zyklus“ zur Oper „Der Freischütz“, doch hat es den Anschein, als wäre dieses Werk auch schon für ihn zur Zeit der Herausgabe der Biographie nicht mehr erreichbar gewesen. Eine 1823 entstandene Bleistiftzeichnung „Don Quixote und Sancho Pansa“ ist in Weigmanns großem Schwind- Werk abgebildet. Sie mag eine Vorarbeit zu dem im Brief erwähnten »Don-Quixote“-Bild gewesen sein.

Zum Glück ist uns Schwinds „Hochzeitszug“, ein Zyklus von Federzeichnungen, erhalten geblieben, den er im Brief kurz schildert. In der stolzen Ueberzeugung, etwas Bedeutendes geschaffen zu haben, hat er dieses Werk Grillparzer, dessen Beifall ihn sehr beglückte, zum Anschauen gebracht und ihm später noch eine besondere Weihe dadurch erwirkt, daß er es Beethoven lieh und dieser es während seiner letzten Krankheit bei sich hatte. Auch die Biographen Schwinds zollen diesem Jugendwerk hohe Anerkennung. Hyacinth Holland nennt es mit Recht „den ersten großen Flügejschlag des selbständigen Genius“.

Hatte Schwind durch diesen großen Wurf die Eigenart seiner Begabung bereits in jungen Jahren aufs glänzendste geoffenbart, so blieb es ihm doch nicht erspart, sich noch durch mancherlei Zweifel, Anfechtungen und Irrtümer durchriqgen zu müssen, bis er endgültig zu sich selbst gefunden hat: Wie wenig noch mit sich ins Reine gekommen er sich damals fühlte, ist aus dem Brief deutlich zu sehen: „Ich weiß oft nicht, wo mir der Kopf steht. Mir ist alles gleich recht, und überall will ich dabei sein, und losreißen ist schwer und verlieren auch nicht leicht.“ Aber auch der Stil des Briefes zeigt noch sehr das Unausgegorene der Persönlichkeit. Die Natürlichkeit, die seine späteren Briefe in so hohem Maße auszeichnet, erscheint hier noch merkwürdig gehemmt. Trotzdem ist das Streben, sich wahr und offen mitzuteilen, unverkennbar, und so ist dieser Brief ein neuer wertvoller Beitrag zur Kenntnis jener Wiener Jugendzeit Schwinds, als deren wesentlichen Inhalt er zwar im Brief nur anzugeben weiß, daß er „früh aufstehe, arbeite, manchmal nach Grinzing gehe und manchmal Not leide“, die ihm dann aber doch Zeit seines Lebens als ein entschwundenes Paradies erschien.

Der Brief hat folgenden Wortlaut:

Lieber Toni!1

Wien, den 27. Mai 1825.

Ich bin recht froh, daß ich wieder einmal etwas von Euch gehört habe. Es sind jetzt bald sieben Monate.

Mit der Akademie glaube ich hat es nicht viel Anstand. Wir haben eine Abteilung, die sogenannte Maurische Schule, wo nach Zeichnungen gearbeitet wird, und dann das Zeichnen nach Antiken und dem Modell. In die erste kann man kommen, wenn man auch gar nichts kann, aber etwas schwer, weil sie wenig Platz haben. Die Schüler müssen ich glaube sechs Stunden des Tags arbeiten und sind strenger gehalten als wir. Ich war nie dort, und es ist überhaupt nichts ganz Ungewöhnliches, daß sie übersprungen wird, besonders von Leuten, die mehr herangewachsen sind. Für den Rittersberg2 glaube ich aber, daß es gut wäre, denn ich weiß, wie man die Jahre verschlägt. Bei den Antiken sind nur zwei Stunden des Tages. Wenn er also niemand hat, bei dem er die Anfänge des Malens lernt oder sonst bestimmt beschäftigt ist, so ist er dem großen Nebel ziemlich bloßgestellt, daß er nicht weiß, was er anfangt. Von Stiftungsplätzen weiß ich nichts. Die Tiroler haben zwei Stipendien, für andere habe ich aber nie von dergleichen gehört. Dafür ist durchaus nichts zu zahlen. Alle halbe Jahr wird eingereicht, und dessen Arbeit gut genug ist, erhält ein Zeugnis, das vom Militär befreit, das wird er aber nicht nötig haben, und übrigens kann einer rein tun, was er will, kommen, ausbleiben, fleißig oder faul sein, es kümmert niemand. Wer einen Platz findet, sitzt, und derer gibt es im Sommer genug, während im Winter eine große Not daran ist. Wenn Du jemand kennst, der mit dem Grafen Czernin3 bekannt ist, so wäre es gut. Ueberhaupt imponiert ein Hof- oder Regierungsrat ganz unsinnig. Ich für meine Person bin mit den Professoren seit heuer recht gut und sie lassen sich was explizieren, aber eine noble Person wäre doch sehr gut zum Aufführen. Wenn er’snicht lassen kann, so soll er’s tun, er wird aber schön schwitzen müssen.

Seit Krafft4 Professor ist, kann einer was Tüchtiges auf der Akademie lernen, wenigstens weiß ich niemand etwas Besseres. Er muß aber von selbst zugreifen, denn man laßt ihn ganz gehen. Sollte er in der Lage sein, Geld verdienen zu müssen, bevor er Bedeutenderes ' leisten kann, so gibt es verschiedene Arten von Roboten, zu denen ich ihm wohl verhelfen kann.

Gib ihm meine Adresse mit: Wieden, Mondschein, zwischen dem Schwarzenbergischen Garten und der Karlskirche auf der zweiten Stiege im zweiten Stock.

Ich bitte Dich, was den Freischützen betrifft, ist es ein Elend. Das Zeug hat ausgesehen, ganz schmählich. Den Tag hab ich gefeiert, wo er aus der Auslage verschwand, denn die ganze Kärntnerstraße war mit Aengsten ausspaliert, solang mein Unglück zu sehen war. Es hat zwar manchen gefallen, aber was gefallt den Leuten nicht! Auch hab ich ein einziges Exemplar geschnipft, denn die Lumpen wollten nicht ausrucken. Wenn ich heuer wiederkomme, bringe ich die Zeichnungen mit. Die übrigen sind alle noch unvollendet, mit so langsamen Leuten möchte einen die Gall umbringen. Ich bin immer auf die Stund fertig, und die andern, die nur nachfahren dürfen und dafür noch mehr bekommen als ich, lassen warten.

Don Quichote ist fertig, an einem andern Bild hab ich vier (Figuren) mit der größten 'Ueberwindung gemalt, dann mußte ich einsehen, daß es nicht geht, und mußte noch froh sein, daß der Zufall ein Loch hineinschlug und mich so von dem Vorwurfe der Unbeständigkeit befreite. Ein anderes kleines Bild ist gerade im Fertigwerden. Das Porträtieren werd ich mehr bedenken als bisher, ich bin aufgelegter und geschickter dazu.

Gezeichnet habe ich einen Hochzeitszug auf 30 Blättern, auf jedem drei oder vier Figuren. Die Brautleute sind Figaro und Susanna, Bartolo und Marcelina. Ihnen folgen Graf und Gräfin, Gäste, dann zehn Blätter Masken oder mehr. Voraus sind Musikanten, Tänzer, Landleute Gerichtspersonen, Soldaten, Bediente, Brautjungfern und solche Sachen. Man muß voraussetzen, daß der Graf die Hochzeit aushält, weil es sonst zu reich wäre. Vier Maskengruppen sind aus der Lucinde von Schlegel, die übrigen sehr verliebt und sehrlustig. Ich weiß nicht, warum ich immer lamentieren soll, das doch eine sehr langweilige Sache ist. Es ist ein bedeutendes Buch und sieht wie ein Werk aus, denn es (ist) fleißig mit der Feder gezeichnet. Ich freue mich schon auf die Randglossen von Kenner5. Wenn ich nur für Deine Schwester6 etwas Stilles oder Gemütliches mitbringen könnte, aber nichts als Ausgelassenheit! Und das Bild, das etwas zarter ist, muß in die Sklaverei wandern. Ottenwalt6ist schon gesund? Wird er denn nicht kommen? Von dem Gottlosesten aller Mäxe7 ist aber gar nicht zu reden. Wenn man oben ist, so sollte man glauben, er will von gar nichts anderem wissen, und dann schreibt er gar nicht. Ich weiß nichts. Daß ich früh aufstehe, arbeite, manchmal nach Grinzing geh und manchmal Not leide, ist mir nicht bedeutend genug zu schreiben. Aus dem Denken mache ich kein Geschäft, höchstens über Farben oder meine Unarten und Geldnöte. Wenn mich aber einer anspricht, so kann ich ihm antworten. Kenner beneide ich oft, wie jeden Menschen, der sich seiner Schranken bewußt ist, das ist nichts Geringes. Ich weiß oft nicht, wo mir der Kopf steht. Mir ist alles gleich recht, und überall will ich dabei sein, und losreißen ist schwer und verlieren auch nicht leicht. Clodi seh ich öfter als den nichtsnutzigen Frenzl ". Weiß Gott, wo der immer steckt, aber allerliebst ist er doch immer. Dein Louis 10 muß ja schon gehen können. Es ist schad, daß so ein kleiner Kerl nichts von sich weiß. Wenn ich wieder einmal herumgetragen würde, das muß einzig sein. Kenner sein Karl11 kann am End schon reden. Die Frau Ottenwalt wird traurig sein um den Pepi ». Das ist auch zum Teufelholen. In Lemberg gibt es am Ende keine Frauenzimmer mehr, nichts als Juden und Ulanen… Jetzt bleibt der wieder zwei Jahr aus und so weit. Kupelwieser 13 hat sollen nach Aegypten gehen, einige sind auch schon Chineser geworden, da soll man sich noch fürchten oder freuen.

Lebe recht wohl und schreib bald! Kenner seiner Frau und Mutter viel Schönes, Deine Familie mus sich verstehen, denn ich habe keinen Platz mehr.

Dein Schwind.

1 Anton R. von Spaun (1790 bis 1849). Ungefähr 1819 mit Schwind eng befreundet, bildete er in Linz den Mittelpunkt der oberösterreichischen Gruppe des Schubert-Schwindschen Freundeskreises, zu dessen bedeutendsten Persönlichkeiten er zählte.

2 Ein Neffe der Gattin Anton von Spauns.

3 Oberstkämmerer Johann Rudolf Graf Czernin (1757 bis 1845).

4 Johann Peter Krafft (1780 bis 1856), seit 1823 Professor an der Akademie.

5 Josef Kenner (1794 bis 1868), einer der vertrautesten Freunde Schwinds und der Brüder Spaun, ein künstlerisch hochbegabter Beamter.

6 Anton von Spauns einzige Schwester Marie (1795 bis 1847) war seit 1819 mit Anton Ottenwalt (f 1845) verheiratet, einem Freund ihrer Brüder, der in seiner Jugend auch als Schriftsteller hervorgetreten war.

7 Max R. von Spaun (1797 bis 1844), der jüngste Bruder Antons.

8 Max Clodi (f 1855), durch seine Mutter ein Vetter der Brüder Spaun.

9 Franz R. von Hartmann (1808 bis 1895), nachmals Kreisgerichtspräsident, gehörte als Student dem Schubertschen Freundeskreis an und stand besonders Schwind sehr nahe.

10 Anton von Spauns Sohn J-udwig (1823 bis 1908), nachmals Ministerialrat in Wien.

11 Josef Kenners ältester, früh verstorbener Sohn, geb. 1823.

12 Josef (nachmals, Freiherr) von Spaun (1788 bis 1865), der ältere Bruder Antons, berühmt als treuer Freund und Förderer Schuberts. Er wurde damals vorübergehend nach Lemberg versetzt.

13 Leopold Kupelwieser (1796 bis 1862), hervorragender Kirchenmaler und Porträtist.

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