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Ein Wiener Roman

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Es ist eine Eigentümlichkeit jedes großen, mit Herzblut und in Aufrichtigkeit geschriebenen Buches, daß eine kleine, dem flüchtigen Leser gar nicht auffallende Stelle die eigentliche Natur des ganzen Werkes einen Augenblick lang aufdeckt. Auch in diesem streckenweiten, vieles umfassenden Roman verbirgt sich eine solche Stelle: „Wesentlich übertreiben wir schon, wenn wir nur irgendein Ding schärfer ins Auge fassen.“ Es ist tatsächlich für den Verfasser charakteristisch, daß er jedes Ding ungemein scharf ins Auge faßt, aber auch jeden Menschen und ebenso die Zeit in ihren Tagen, ihren Minuten und Sekunden: sie alle fixiert er, und unter diesem Druck geben 6ie das Wort frei, das in ihrer Tiefe liegt. Die Menschen sprechen es aus oder geben es schweigend preis, die Dinge hauchen es hin (wer Ohren hat, zu hören, der höre!), die Zeit weht es uns vernehmlich zu. Kein Zweifel, wer so 6charf ins Auge faßt, der übertreibt, und solche Übertreibung ist immer Zauber und zugleich Gefahr eines Buches. Zudem haben wir es hier mit einem Psychologen zu tun, richtiger: mit einem Psychoanalytiker, freilich mit einem solchen neuer Prägung, dem das Rüstzeug seines Faches nicht nur völlig geläufig ist, sondern immer auch schon ein wenig verdächtig, ja geradezu ein bißchen lächerlich erscheint. So beliebt es ihm dauernd, sich selbst an der Nase herumzuführen, und es bleibt dem Leser nichts übrig, als sich ebenso herumführen zu lassen,

Das ist unbedingt ein Reiz dieses Buches, der noch dadurch erhöht wird, daß auch der hintergründige, durchaus eigenwillige Stil gern so tut, als nehme er sich nicht ganz ernst. Er findet neue Ausdrücke, oft mit großer Treffsicherheit, 6pielt mit Dialekten, er kann malerisch sein, oft genug auch schneidend scharf, all dies aber in knappster Form und mit dem sparsamsten Aufwand an Worten. Wenn dennoch hier 900 Seiten zustande kamen, 60 liegt es am Schneckengang der Psychoanalyse und an der großen Fülle vo;V Menschen, die dieses seltsame Buch bevölkern. Der Untertitel „Melzer und die Tiefe der Jahre“ nennt den „Helden“ (wenn man dieses abgeschabte Wort gebrauchen darf), der freilich, wie das oft so geht, bei weitem nicht, die interessanteste Person des überreichen In-, ventars ist. Ein Fehler, wird man sagen, aber er ist gewollt, ja eigentlich der Natur abgelauscht, die es überall so einrichtet, daß von unbedeutenden, mittelhohen Bergspitzen die schönste Umschau und die weiteste Fernsicht zu genießen ist.

Dieses Werk ist ein Austriacum, genauer, wie schon der Haupttitel aussagt, ein Wiener Buch, wiewohl durchaus nicht alle Personen Österreicher oder gar Wiener sind. Es 6pielt im ersten Viertel unseres Jahrhunderts, in einer Gesellschaft, die man, wäre sie nicht 60 übel durchsetzt, eine gute nennen könnte, in den Bezirken einer Moral, die man, 6timmte Kriegs- und Nachkriegszeit nicht zur Milde, keine gute nennen möchte. Am Ende angelangt, wissen wir noch nicht, wo hinaus der Verfasser letztlich will, und in der Ankündigung zum großen Romanwerk „Die Dämonen“, an dem Doderer schon seit 20 Jahren arbeitet, heißt es, daß die „Strudlhofetiege“ hi'ezu „eine Art Rampe“ sei. Rampen und Stiegen führen empor; 60 dürfen wir denn hoffen, daß in seinem Hauptwerk der Verfasser, und der Leser mit ihm, in der Psychoanalyse der allergeringsten Regungen und in der hundertfachen Wiederholung ihrer subtilen Ergebnisse nicht allzuviel Kraft und Zeit verbrauchen y^\A. Ist doch Doderer an den wenigen Stellen des vorliegenden Buches, in denen er nichts anderes tut, als erzählen, geradezu meisterlich zu nennen.

Die Nacht von Olmütz. Von Gustav K B i e-nek. Büchergilde Gutenberg, Wien. 220 Seh ten.

Der altösterreichische Doppeladler steht heute wieder hoch im Kurs, auch bei so manchen, die dem erhabenen Gedanken, den er versinnbildlicht, vor nicht langer Zeit noch feindselig ablehnend gegenüberstanden. In weiten Kreisen wächst das Verlangen, sich von dem alten Reich und seinen führenden

Gestalten ein richtiges Bild zu verschaffen und zu überprüfen, wie es in dem seit dreißig Jahren verlästerten Einst in Wirklichkeit gewesen ist. Leider ist dadurch auch eine Koni junktur für die Produktion oft sehr zweifelhafter Informationsquellen entstanden. Typisch für Literatur dieser Art ist „Die Nacht von Olmütz“. Das Buch will in Form eines historischen Romans die Vorgeschichte der Thronbesteigung des Kaisers Franz Joseph schildern, aber historisdi daran sind eben nuf dieses Ereignis und die Namen der Persönlichkeiten, die unmittelbar beteiligt gewesen sind. In allem übrigen, im Benehmen dieser Persönlichkeiten, in ihrem Reden und in den An- und Absichten, die sie äußern, spiegelt sich nicht die geschichtliche Wahrheit, sondern die parteipolitische Tendenz des Autors, und seine völlige Unkenntnis der sozialen Sphäre, in der seine Erzählung spielt. Uber den literarischen Wert dieses Buches, der seiner historischen Bedeutung gleichkommt, ist weiter nichts zu sagen, geschweige denn über die hineingedichtete „Liebesgeschichte“, die an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten ist. Kurt Strachwitz -

Verschollenes Jahr. Von Loi6 Schiferl. Europäischer Verlag, Wien 1951. 128 Seiten.

Einige dieser zwanzig Skizzen und Studien: vermitteln freudige Wiederbegegnung mit ihren Erstabdrucken in der „Österreichischen Furche“ und mit Schiferls Beitrag zum „österreichbuch“. Es ist die Stimme des niederöster-reichi6chten Weinlandes, die hier eindringlich vernehmbar wird, des so lange „ungelobten und unbesungenen“, des Landes der „Stummen und übersehenen“, dem 6pät erst und zögernd seine Dichter erstanden. Wieviel ungeahnte Schönheit dieses Land birgt, mit wie bedeutsamer Einnerung es 6ich in die Geschichte unserer Heimat einfügt, wie altes Brauchtum hier noch treubehütet weiterblüht, welche Fülle ehrwürdigen Sprachschatzes aus früheren Jahrhunderten in seiner Mundart heute noch klangvoll weiterlebt, welcher prächtige Menschenschlag mühsalbeladen und dennoch unbändig lebensfroh in seinem Boden weiterwurzelt, da6 alles schildert uns hier einer seiner getreuesten Söhne in liebedurch-glühter Dichtersprache. Schiferls Prosa ist beste Erzählerkunst von höchst persönlicher Prägung und Eigenart, voll Zartheit und Kraft der anschaulichen Darstellung. So dankbar jeglicher Leser dieses kleine Buch begrüßen wird, daß ihn mit großer Entdeckung bereichert, mit welch freudigem Dank muß es erst von allen heimatbewußten Weinlandlern aufgenommen werden, als längst erwartetes Zeugnis ihrer Art und Scholle!

Hans Brecka

Mein Freund Hippolyt. Von Rudolf K r ä-mer-Badoni. Bechtle-Verlag, Eßlingen 1951. 181 Seiten.

Meist werden die Probleme unserer Zeit in gewichtigen Büchern dargelegt, mei6t wird schonungslos mit dem Seziermesser an die Grundübel des Heute herangegangen. Um so wohltuender ist es, einmal all die6 mit Humor, deswegen aber nicht minder tiefschürfend, behandelt zu sehen. Rudolf Krämer-Badoni, der in Deutschland mit. seinem „Freund Hippolyt“, den man als bedeutenden modernen Schelmenroman bezeichnet, viel Erfolg erringen konnte, weiß um die Menschen und ihre

Schwächen. Weiß, woran diese Zeit krankt, wenn er einmal sagt: „Immer wieder holen Menschen und Gruppen von Menschen tief Luft, alle anderen 6tarren gebannt auf den vollen Ballon, und dann strömt die Luft aus. Wir blasen uns auf — und dann geht uns die Luft aus “ Sein Humor unterhält, schafft zarte lyrische Stimmungen, ist aber auch rücksichtslos, schmeichelt nicht nur. Wer gewillt ist, dem Autor, der sich über die Dinge zu erheben vermochte, zu folgen, wird auch an den treffsicheren Zeichnungen von Helmut Lortz Gefallen finden. Klar wird immer wieder die alte Erkenntnis, auf die es Rudolf Krämer-Badoni ankommt, herausgearbeitet, die Erkenntnis nämlich, daß der Mensch gewinnt, indem er sich verschenkt.

Dr. Werner Röttinger

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