Eine Frau geht ihren Weg – „Kristin Lavranstochter“

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Anton Thuswaldner würdigt die norwegische Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset und ihre Trilogie „Kristin Lavranstochter“.

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Anton Thuswaldner würdigt die norwegische Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset und ihre Trilogie „Kristin Lavranstochter“.

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Acht Jahre bevor der Norwegerin Sigrid Undset (1882–1949) im Jahr 1928 der Nobelpreis für Literatur „vornehmlich für ihre kraftvollen Schilderungen des nordischen Lebens im Mittelalter“ zugesprochen wurde, erschien der erste Teil ihrer Trilogie „Kristin Lavranstochter“. Lange blieb Undset eine der großen Unbekannten der Weltliteratur, haftete ihren Büchern doch der Makel der Antiquiertheit an.

Einen Anstoß, den Roman neu zu lesen, lieferte der amerikanische Autor William T. Vollmann, der die Hauptfigur als „willensstarke, sinnliche, selbstzerstörerische und letztlich grundsolide“ Persönlichkeit herausstellte und vor konservativer Vereinnahmung rettete. Auch die Verfilmung durch Liv Ullmann im Jahr 1995 konzentrierte sich auf die selbstbewusste Frau, die sich um Konventionen nicht schert, um ihrem eigenen Lebensglück nachzuhelfen. Heute zählt das Buch zu den die nationale Identität stärkenden Werken. Galt es zu Lebzeiten als Skandal, wie sich eine über Autoritäten hinwegsetzt, so geht Kristin heute als eindrucksvolles Beispiel durch, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Das ist ein klassischer historischer Roman, der eine Vergangenheit aufgrund ausgiebiger Recherchen neu aufleben lässt. Die Neuerungen der Moderne in der Form sind an Undset vorbeigegangen. Dass die überlieferte Rolle der Frau aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, war ihr bewusst. Deshalb die innere Zerrissenheit Kristins, die sich bei allen Ausbruchsunternehmungen ihrer unartigen Verstöße gegen die Konvention bewusst ist. Ihr ist unbehaglich dabei, aber sie muss es machen.

Wir müssen uns die gesellschaftlichen Regeln im Norwegen des 14. Jahrhunderts als streng vorstellen. So ein Leben, wie es Kristin vorhatte, ging gar nicht. Verlobt mit dem Sohn eines Gutsbesitzers, verliebt sie sich in einen Mann, der sowieso schon unangenehm aufgefallen ist, weil er mit einer verheirateten Frau zusammenlebt, mit der er auch noch zwei Kinder hat. Jetzt stellt auch noch Kristin Ansprüche an ihn. Das war nicht nur im Mittelalter ungeheuerlich, damit taten sich auch die Norweger in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schwer. Versöhnt dürfen sie sich mit dem Schluss der Trilogie fühlen, wenn Kristin in den Armen der katholischen Kirche landet und Gutes tut.

Das Leben zuvor aber ist wild und ungestüm. Wild war auch jenes der Autorin. 1940 flüchtete sie mit Skiern nach Schweden, gelangte dann über Russland in die USA, von wo aus sie für den norwegischen Informationsdienst den Kampf gegen Nazideutschland aufnahm. Nach Ende des Krieges kehrte sie nach Norwegen zurück.

Der Autor ist Literaturkritiker.

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