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Eine Kaiserin schreibt an ihre Tochter

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In der reizvollen barecken Wallfahrtskirdie zu Birnau am Nordüfer des Bodensees hat der Maler der Deckenfresken die Erdteile dargestellt und dem Sinnbilde Europas die Züge Maria Theresias verliehen: die Züge der großen Herrscherin, des „Königs von Ungarn und Böhmen“, der Gemahlin des Römiseh-deutsdien Kaisers. Unzählig sind die Zeugnisse, die über ihre 40jähnge Herrschaft in den Archiven ruhen. Ihre Persönlichkeit spiegelt eich am klarsten in ihren stets natürlichen, lebensklugen, man möchte sagen „herzhaften“ Briefen, im besonderen in jenen an ihre Kinder. Sie hatte deren Bekanntlich sechzehn gehabt, von denen sie zehn großziehen konnte. Als diese aus dem näheren mütterlichen Umkreis ins Leben hinaustraten, manche von ihnen die Kronen entfernter Länder trugen, entwuchsen sie nicht der Obsorge der großen Mutter. In einem regen, Persönlidi6tes offenbarenden Briefwechsel begleitet sie ihren Lebensweg, berät 6ie, ermahnt sie, ist ihr zweites Gewissen. Ihre größte Fürsorge wendet die Kaiserin jenen Kindern zu, deren Schicksal sie — aus den Lebensumständen wie aus ihrer genauen Seelenkunde heraus — als besonders gefährdet ansieht. Es 6ind dies unter den Söhnen Joseph II., unter den Töchtern die Erzherzogin Maria Antonia, spätere Dauphine und Königin von Frankreich Marie Antoniette.

Vierzehnjährig war Maria Antonia dem sechzehnjährigen Dauphin angetraut worden, der vier Jahre später als Ludwig XVI. den Thron bestieg. Es ist ein Kind, an das die Mutter die mahnenden, besorgten, ja beschwörenden Briefe richtet, deren er6te vollständige (von den Antworten Marie Antoinettes begleitete) Ausgabe hier vorgelegt wird: Ein argloses, verspieltes, unselbständiges, höchst liebenswürdiges Kind, eine junge Frau, deren Ehe erst nach längerer Zeit vollzogen und noch später von Kindern erfüllt wurde. Der allzu leichte, von Verantwortung nicht beschwerte, das Gewicht der eigenen Stellung und Handlungen nidit ermessende Sinn der Tochter hat nicht nur Maria Theresia, sondern auch dem kaiserlichen Bruder ernsteste Sorden bereitet. Eß ist, als ob die Kaiserin manchmal die Schwingen des Schicksals hätte rauschen hören, das ihre Tochter bedrohte. In diesem Sinne ist der Briefwechsel vom Sommer 1775 von besonderem Interesse (S. 153 ff.).

Die junge Königin hatte an den Grafen Rosenberg, dessen Besuch sie gefreut hatte, zwei Briefe gerichtet, in denen Sie in recht unvorsichter und indiskreter Weise Äußerungen über den König selbst wie über den Anteil geäußert hatte, den sie bei Veränderungen in der Besetzung wichtiger Staats- und

Ilofämter genommen hatte („Dieser Abschied — des allerdirigs höchst anfechtbaren Ministers dAiguillon — ist zur Gänze mein Werk“). Besonders empört die Kaiserin, daß die Königin darin bezüglich ihrer Intervention für den des Schmuggels beschuldigten Botschafter Choiseul schreibt: ,,Ich habe es So gemacht, daß mir der arme Mann (gemeint ist der König!) die bequemste Stunde vorgeschlagen hat, zu der idi Choiseul sehen konnte. Ich glaube dabei von meinem Recht als Frau ausgiebig Gebrauch gemacht zu haben.“ Maria Theresia schreibt darüber an den getreuen Grafen Florimond Mercy d'Ar-genteau, ihren Botschafter am Hofe zu Versailles, dessen besonderem Schutze sie ihre Tochter anvertraut hatte: „Ich Sehe mit Bedauern, daß meine Töchter, wenn sie in gleicher Weise fortfährt, nicht verfehlen wird, ihren Untergang zu besdileunigen“ (geschrieben am 31. Juli 1775), ferner: „ich gestehe, ich bin von diesem Brief (an Rosenberg) bis aut den Grund des Herzens ergriffen. Welcher Stil, welche Fasson zu denken! Da6 bestätigt nur zu sehr meine Besorgnisse. Sie läuft mit großen Schritten ihrem Ruin entgegen.“ Auch vor dem Kardinal Ronan — die bekannte Ilalsbandaffäre trug sich erst fünf Jahre nach Maria Theresias Tod zu — hat die Kaiserin ihre Tochter mehrfadi gewarnt. Nidit selten gebraucht die Königin Ausflüchte, um dem strengen Urteil der Mutter zu entgehen, vor allem, wenn Sie dieses im voraus zu kennen glaubt. Maria Theresia'Weiß dies. So lernt der Leser bis in die letzten, persönlichen Einzelheiten die Vorbereitung des großen Dramas kennen, dessen erschütternden Höhepunkt die Kaiserin nicht mehr erlebte. Als die 38jäh-rige Königin das Schaffot bestieg, hat Sie sich, voll Würde und Festigkeit, als würdige Tochter ihrer Mutter erwiesen. Daß sie ihre geistige und seelische Reife erst im hereinbrechenden Unheil gewann, war ihr Verhängnis.

Die Arnethsche Ausgabe (1864) hatte — wie Arneth in der Einleitung selbst sagte — intime Briefstellen, auch Briefe, aus den damals zu nehmenden Rücksichten nicht einbezogen. Desgleichen die zweite, sonst wesentlich erweiterte Ausgabe (1874).

Ergänzt wird die vorliegende, erste wirkliche Gesamtpublikation de« Briefwechsels zwischen Maria Theresia und Marie Antoinette durch zahlreidie Hinweise und Zitate aus der Korrespondenz der Kaiserin mit dem Grafen Mercy dArgenteau, ohne deren Kenntnis manche letzte Frage unklar bliebe — Zusammenhänge und Entwicklungen, für deren Erhellung diese sorgfältig bearbeitete Sammlung überhaupt nicht Unwesentliches beizutragen vermag.

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