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Eine neue Biographie Kaiser Franz Josephs

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Daß die Gesdiidite des alten Österreichs den ausländisdicn Autoren fast ausnahmslos ein Buch mit sieben Siegeln ist und es auch bleiben wird, solange sie sich, wie im vorliegenden Fall, mit einer ganz lückenhaften Dokumentierung begnügen werden, hat die von Graf von Saint-Aulaire verfaßte Biographie Kaiser Franz Josephs neuerlich bewiesen Dieser Diplomat, zuletzt Botschafter in London, war vor dem ersten Weltkrieg der französischen Botschaft in Wien zugeteilt, dürfte daher so manchem seiner Leser als Autorität erscheinen, ein Ansehen, das er keineswegs in Anspruch zu nehmen berechtigt ist, da er sich weder als besonders aufmerksamer noch sonderlidi wohlwollender Beobaditer erweist. Überdies scheint er die für eine Biographie Franz Josephs unerläßliche deutsche Sprache nur ungenügend, wenn überhaupt zu beherrschen, denn sdion die nicht-französischen Personen- und Ortsnamen sind sehr häufig in unrichtiger, mitunter auch in verschiedentlicher Orthographie wiedergegeben. Zu dieser Vermutung berechtigt auch das für ein derartig umfangreiches Thema äußerst dürftige Verzeichnis der benützten Druckwerke, da es nur fünf, in keiner Weise grundlegende Arbeiten deutscher Autoren anführt. Diese Liste läßt jeden in der österreichischen Geschichte halbwegs bewanderten Leser im vorhinein durch die Lektüre bestätigte Schlüsse auf den wahren historischen Wert und die Tendenz des ganzen Buches ziehen. An umfangreicheren, aber nicht benützten Werken kann man nur die Chlumetzkys, Cortis, Hübners, La Gorces und Josef Red-

lidis als vollwertig gelten lassen, während über die anderen kein Wort zu verlieren ist. Andere von Saint-Aulaire angegebene kleinere Arbeiten waren nicht erreichbar, doch ist nicht anzunehmen, daß sie irgend etwas Neues gebradit hätten. Unbedingt abzulehnen sind hingegen die Erinnerungen des Generals Margutti, der sich in den nicht-deutschen Ausgaben seiner Schrift nicht scheut, sich als „Adjutanten“ des Kaisers auszugeben, während er tatsächlich bloß dem Generaladjutanten Graf Paar zugeteilt war und in dieser Stellung mit dem Monarchen nur in ganz vereinzelten Fällen in Berührung kam. Daß der Verkehr des Kaisers mit seinen Flügeladjutanten sich auf dienstlidie Gesprädie beschränkte, hat Graf Paar, der selbst als Stabsoffizier in dieser Verwendung stand, dem Sektionschef Dr. Paul Schulz und Vizeadmiral von Höh-nel in seinen Erinnerungen erklärt.

Dieses mangelhafte Quellenstudium, das Saint-Aulaire zu nicht begründeten oder vorsdinellen Urteilen verleitete, befähigte ihn naturgemäß nicht bei der Schilderung der europäischen Ereignisse die Hauptfigur, wie es jede Biographie erheischt, auf den ihr gebührenden Platz in die vorderste Reihe zu setzen und Kaiser Franz Josephs Rolle sachlich zu beurteilen Ein nur halbwegs eingehendes Studium hätte Saint-Aulaire unter anderem gezeigt, in welchem Maß die Rücksichten und Pflichten dem Deutschen Bund gegenüber einst die österreichische Außenpolitik beeinflußt haben. Eine vor nicht allzu langer Zeit durch Vicomte de Guichen publizierte, von zahlreichen Historikern herangezogene

Dokumentensammlung über die Zeit defl Krimkrieges hätte dem Autor die AugerM über die nicht einwandfreie Politik Preu-M ßens geöffnet, welche die Bewegungs-M freiheit des Wiener Kabinetts wesentlichH einschränkte, ein Umstand, der bis jetztS von keinem Historiker gebührend berück-M sichtigt wurde, und Österreichs schlechtes Abschneiden in der Krise der Jahre 18531 bis 1856 wesentlich milder beurteilen läßt. I

Seiner Aufgabe in der Darstellung der I Innenpolitik wird Saint • Aulaire noch I weniger gerecht. Er bringt es nicht zuwege I die verschiedenen Spielarten des Deutsch- I tums zu differenzieren; er macht keinen I Unterschied zwischen der Kultur und der politischen Mentalität der Habsburger-Monarchie, der Politik Preußens vor 1866 und der des Zweiten Reiches. Er weiß auch nichts von dem Abgrund, der die österreichisch-deutschen Politiker, die sich für die Einheit der Monarchie einsetzten, von ihren Antipoden von der Art Schönerers trennte. Saint-Aulaire steht hier unter dem Eindruck der Begebenheiten der letzten Jahre, was aus menschlichen Gründen verständlich ist, jedoch das Urteil eines rückblickenden Autors nicht trüben darf.

Die Kapitel über das intime Leben des Kaisers, über Kaiserin Elisabeth. Kronprinz Rudolf und die kaiserliche Familie sind ein mixtum compositum aus Cortis einwandfreiem Werk, aus ganz unseriösen Büchern und Wiener Stadtklatsch An keiner Stelle seines Buches mutet uns Saint-Aulaire so viel zu als mit der aus recht trüber Quelle stammenden Erzählung, laut welcher man

in Ischl „häufig in einem gewöhnlichen Mietwagen Elisabeth und Kathi (Frau Schratt) auf dem Vordersitz, und ihnen gegenüber Seine Majestät den Kaiser sah.“ Nebenbei bemerkt, war es für uns neu, daß Kaiser Franz Joseph seine Gattin „Zizi“ nannte und der letzte Kaiser von Österreich Karl „IV“ war!

Auch über das Leben des Wiener Hofs und der Wiener Gesellschaft erfahren wir in wenig wohlwollendem Ton aufgezeichnete, phantasievolle Details: Lesefrüchte aus Büchern, die auf ein sensationslüsternes Publikum abgestimmt sind, und vielfach Klatsch. Auch wegen der angeblich alles lähmenden Etikette wird der Wiener Hof kritisiert. Wie stellt sich Saint-Aulaire, der an dem in seinem Zeremoniell weit konservativeren Londoner Hof akkreditiert war, eine große Festlichkeit ohne die unerläßliche Etikette vor, die jedem Gast seinen Platz und seinen Rang anweist? Antiquiert ersdieinende Vorschriften, ausschließlich symbolischer Natur, waren nur die bei religiösen Zeremonien vorgeschriebenen. Sieht denn der Autor weiter nicht, daß die Person jedes Souveräns, selbst in der kleinsten Monarchie,“ von einer gewissen Feierlichkeit umgeben sein muß, und seine Untertanen und Gäste sich in der erforderlichen Distanz zu halten haben?

Zum Schluß sei noch auf zwei Stellen in der besprochenen Biographie hingewiesen. Saint-Aulaire behauptet, der 1912 in Wien abgehaltene Eucharistische Kongreß, über den er sich, was seine weltlichen Teilnehmer betrifft, in ironisierenden Bemerkungen ergeht, sei von jüdischen Bankiers teilweise finanziert worden. Als Dank für diese Unterstützung habe sie der Kaiser von Österreich in den Freiherrnstand erhoben. Das Körnchen Wahrheit in dieser Behauptung ist wahrlich recht klein. Die Kosten dieser Manifestation der gesamten katholischen Welt in einem Rahmen, wie ihn nur der Wiener Hof und seine Residenz bieten konnten, wurden durch Spenden aus allen Erdteilen gedeckt. Einzelne jüdische Großgrundbesitzer, die bei Erwerb ihrer Güter sich nach dem geltenden Gesetz verpflichten hatten müssen, das Patronat im Bereich ihres Besitzes befindlicher Kirchen (eine rein geldliche Verpflichtung) zu übernehmen, haben tatsächlich namhafte Beträge

pendet, die, so ansehnlich sie auch ■en, doch nur einen geringen Bruchteil Gesamtsumme bildeten. Daß auch testantische Großgrundbesitzer derartige :räge leisteten, wird nicht erwähnt, denn e Anekdote wäre sonst nicht erhei-1. Den Namen eines oder des anderen “ser „Freiherrn“ von anno 1912 zu nen-dürfte jedoch Saint-Aulaire einige Gierigkeiten bereiten. Denn es gab ne nicht.

.11 Zusammenhang mit dem Agramer zeß, in dem der gute Glaube Heinrich edjuytgs mißbraucht wurde, bezeichnet

Saint-Aulaire diesen Gelehrten als PseudoHistoriker. Einer derartigen Behauptung seitens eines Autors, der einwandfrei bewiesen, daß die von Friedjung mit größter Objektivität und besonderem Takt geschilderten Zeiten eine ihm ganz lückenhaft bekannte Materie sind, muß auf das entschiedenste widersprochen werden. Welches Ansehen Friedjung genießt, ergibt sich aus der Tatsache, daß seine Werke, trotzdem er Jude war, während des Hitlerregimes von gesinnungstüchtigen Historikern zitiert werden durften, da man einsah, seine Werke könnten nicht übergangen werden.

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