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Erinnerungen an Broch

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Der Mann, von dem hier aus der Erinnerung vieler persönlicher Begegnungen einiges Wenige erzählt werden soll, Hermann Broch (1886 bis 1951), gilt heute als einer der großen Dichter unseres Jahrhunderts. Er ist einer der bedeutendsten Prosa-Epiker neben seinen ihm rangmäßig verwandten Zeitgenossen: Kafka und Musil. Seine Romantrilogie „Die Schlafwandler”, „Der Tod des Vergil”, der Roman in Novellen „Die Schuldlosen” und sein aus dem Nachlaß erschienener Roman „Der Versucher” sichern ihm seinen Platz unter den Werken zeitloser Dichtung. Er war für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen, starb aber, ehe das Nobelpreiskomitee über diesen Vorschlag entscheiden konnte. Vielleicht wäre er der erste österreichische Nobelpreisträger für Literatur geworden. (Auch seither hat es keinen gegeben.)

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Der Mann, von dem hier aus der Erinnerung vieler persönlicher Begegnungen einiges Wenige erzählt werden soll, Hermann Broch (1886 bis 1951), gilt heute als einer der großen Dichter unseres Jahrhunderts. Er ist einer der bedeutendsten Prosa-Epiker neben seinen ihm rangmäßig verwandten Zeitgenossen: Kafka und Musil. Seine Romantrilogie „Die Schlafwandler”, „Der Tod des Vergil”, der Roman in Novellen „Die Schuldlosen” und sein aus dem Nachlaß erschienener Roman „Der Versucher” sichern ihm seinen Platz unter den Werken zeitloser Dichtung. Er war für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen, starb aber, ehe das Nobelpreiskomitee über diesen Vorschlag entscheiden konnte. Vielleicht wäre er der erste österreichische Nobelpreisträger für Literatur geworden. (Auch seither hat es keinen gegeben.)

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Der erste Brief, den ich von Hermann Broch erhalten habe, trägt das Datum 18. März 1932. Bald danach, im April, hielt Broch seinen Vortrag „Joyce und die Gegenwart”, der jetzt in einem der Essaysbände „Gesammelte Werke” steht. Bei diesem Vortrag begegnete ich ihm das erste Mal persönlich. Auch sein Verleger, Dr. Daniel Brody, der Inhaber des Rhein-Verlages, war anwesend. Wir gingen anschließend gemeinsam in ein Kaffeehaus, wo ich den Dichter im Gespräch erlebte.

Genau eine Woche später war seine Vorlesung aus dem damals noch nicht erschienenen dritten Band der „Schlafwandler”, nach der ich ihn nach Hause begleitete. In diesem ersten ausführlicheren Gespräch, das ich mit ihm führte, nannte Broch unter den Autoren, die ihn am stärksten beeindruckt hätten, vor allem Joyce, mit dem er sich, wie seine Briefe zeigen, immer wieder auseinandergesetzt hat. Dann Kafka, der damals nur von sehr wenigen gelesen und geschätzt wurde. Die Erstausgaben seiner Romane mußten verramscht werden. Die in der Reihe „Der jüngste Tag” erschienenen Erzählungen konnte man für zwanzig Groschen in den Antiquariaten kaufen. Kafka war der Autor, von dem Broch mit besonderer Liebe sprach. Und schließlich nannte er als Dritten Andrė Gide, was heute, da man das Lebenswerk Brochs wie das Gidės überblickt, überraschen mag. Ich erinnerte mich, in der Innsbrucker Zeitschrift „Der Brenner” vor längerem ein Gedicht Brochs gelesen zu haben, ein Sonett. Das war eine Form, die Broch sehr schätzte: auch die Gedichte im dritten Band der „Schlafwandler” sind Sonette, allerdings — in seltsamer Erweiterung — doppelte und mehrfache Sonette, aber die dialektische Vitalität der inneren Bewegung ist durchgehalten.

Im Zusammenhang mit dem „Brenner” nannte Broch übrigens einen Autor, den damals noch niemand kennen konnte: George Saiko, von dem er eine Erzählung, „Das letzte Ziel”, im „Brenner” gedruckt, außerordentlich rühmte.

Wir sprachen von Franz Blei, in dessen bei Jakob Hegner erschienener Viertel jahrszedtschrift „Summa” auch Beiträge Brochs gedruckt worden waren, darunter 1917 die sogenannte „Methodologische Novelle” die Blei später auch in sein Buch „Das große Bestiarium der deutschen Literatur” übernommen hatte ohne Broch als Autor zu nennen Jetzt steht sie, stark überarbeitet und verändert, unter dem Titel „Methodisch konstruiert” in dem Roman „Die Schuldlosen”. Die Zeitschrift „Summa” kündigte seinerzeit schon ein Buch von Broch an, das den Titel tragen sollte „Der Zerfall der Werte”, das aber in dieser Form nie erschienen ist, sondern später in den dritten „Schlafwandler”-Band verarbeitet wurde. Broch erzählte mir, daß alle in der „Summa” mit den Initialen „H. J. B” gezeichneten Beiträge von ihm — Hermann Josef Broch — stammten. Unter diesen Aufsätzen erwähnte er einen übeT Emile Zola, was mich zunächst überraschte. Aber es lag Broch, wie sich zeigte, weniger an einer Darstellung Zoläs, als daran, den Anlaß zu benutzen, um eigene Gedanken zu äußern.

Wįr sprachen auch von dem anderer großen österreichischen Prosa- Epiker, Robert Musil, der schon damals häufig mit Broch zusammen genannt, in gleicher Einsamkeit schuf, und wie Broch nur von wenigen gekannt und geschätzt wurde. Broch sagte: „Er ist der Größte, den wir heute haben.” Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Aber ich weiß, daß ich mehr kann.” Das wurde ruhig und eher bescheiden gesagt, ganz und gar nicht mit überheblichem oder auftrumpfendem Ton. Es beweist aber, daß Broch, der mit unerbittlicher Strenge, ja Härte über einzelne seiner eigenen Arbeiten urteilen könnte, der einen seiner Romane, die nach den „Schlaf-

Wandlern” für die Fischer-Bibliothek geschriebene „Unbekannte Größe”. völlig in Acht und Bann getan hatte, genau um seinen Rang als Autor wußte.

Einmal sagte er zu mir: „Ich habe vor den .Schlafwandlern” eine ganze Bibliothek von philosophischen Arbeiten geschrieben.” In seiner Wohnung in der Gonzagagasse in Wien, in dem Zimmer, in dem er seine Besucher zu empfangen pflegte standen an einer Wand, bis zur Zimmerdecke reichend, Bücherregale angefüllt ausschließlich mit philosophischen Werken. Nichts Belletristisches konnte ich in diesen Reihen entdecken. Ich erinnere mich, bei manchem Gespräch, über Husserl vor allem, aber auch über Heidegger — mit besseren Kennern dieser Denker, als ich es damals war — zugegen gewesen zu sein.

Ein anderes Mal warf er die Berner kung hin: „Am liebsten würde ich nur Gedichte schreiben.” Das war eine überraschende Äußerung für einen so eminenten Erzähler. Überraschend und doch auch wieder nicht wenn man bedenkt, daß das lyrische Element in allen seinen Büchern außerordentlich stark ist. In den ..Schlafwandlern” und den .Schuld losen” sind zwischen die epischen Partien Gedichte eingestreut. Im „Tod des Vergil” sind alle Gipfelpunkte zugleich auch lyrische Höhepunkte in rhythmisch gebundener Prosa, dem Hexameter sehr nahe. Und aus dem „Versucher” ließe sich eine ganze lyrische Prosa-Anthologie auslesen.

Wieviel ihm an seiner Lyrik lag, zeigte sich 1935, als ich die Anthologie „Patmos” vorbereitete, das Buch einer Gruppe von zwölf Autoren, die dann später zu den Hauptmitarbei- tem meiner Zeitschrift „Silberboot” wurden. Mit einem guten Dutzend seiner damals noch unveröffentlichten Gedichte beteiligte sich Broch so daß der Sammelband ihn erstmals als Lyriker der Öffentlichkeit vorstellte.

Im August 1935 sprach Broch von einem „neuen Roman”, zu dessen Niederschrift er sich nach Mösern bei Seefeld in Tirol zurückgezogen hatte. Von dort schrieb er mir:

„Ich bin glücklich, in dieser Weltabgeschiedenheit zu sitzen und mit meiner Arbeit vorwärtszukommen; ich verschließe mich vor jeder Zeitung, jedem Radio, kurzum vor allem, was einem die Sinn- und Zwecklosigkeit geistiger und künstlerischer Arbeit in dieser Welt vor Augen führen kann ich muß dies tun, weil ich sonst überhaupt jedwede Arbeitsmöglichkeit und -fähig- keit verliere.” (4. November 1935.) Ich will nur hoch zwei Stellen aus seinen Briefen an mich zitieren, die sich auf diesen .neuen Roman” be ziehen, der erst achtzehn Jahre später, 1953 mit dem Titel „Der Ver sucher” erschienen ist, damals abeT den vorläufigen Namen „Ein Jahr Gebirgseinsamkeit” trug — zwei Stellen, die heilte, in der Rückschau fast beklemmend wirken. Im Mär? 1936 schrieb Broch, ausführlicher als sonst, über die Idee des neuer Buches:

„Jeder Mensch hat sein Problem, von dem er nicht loskommt — und es heißt hier: Wo ist im Traumhaften die Wirklichkeit? Wo ist das Rationale im Irrationalen? Das Traumhafte des Lebens haben in. der Dichtung schon viele dargestellt, meisterhaft dargestellt, die dahinterstehende größere Aufgabe war es aber stets, die Traumdecke wenigstens an einem Eckchen zu lüpfen. Also das religiöse Problem.”

Und nach einigen weiteren Sätzen taucht die Frage des Fertigwerdens auf: „Aber wann wird das sein? Und wie viele Kriege wird es bis dahin geben!”

Im Oktober desselben Jahres, schon aus Alt-Aussee, wohin er von Tirol übergesiedelt war, teilte mir Broch mit, daß der neue Roman „unausgesetzt nach allen Dimensionen wächst”:

„Dabei will es mir scheinen, als sei mit ihm wirklich eine neue Note angeschlagen und als könnte die Sache sogar ein paar Leuten etwas geben. Aber wann? Wahrscheinlich erst nach der großen Vergasung.”

Man erschrickt, wenn man, in einem Brief aus dem Jahr 1936, dieses Wort liest, das damals ganz anders gemeint war, als wir es heute, nach späteren Geschehnissen, verstehen müssen. Und doch: welch geheimnisvolles Ahnen von Dingen, die furchtbare Wirklichkeit werden sollten.

In Alt-Aussee war Broch, im März 1938, nach der sogenannten „Machtergreifung”, vorübergehend verhaftet worden. Nach seiner Freilassung fuhr er nach Wien, um seine Ausreise zu betreiben. An einem Frühlingstag Anfang Mai erschien er plötzlich zu ungewöhnlich früher Stunde bei mir, in meiner Wohnung, die damals am Stadtrand gelegen war. Er erzählte, daß er, auf Grund einer Warnung, seine Wohnung schon gegen vier Uhr morgens verlassen hatte und stundenlang durch den Wienerwald gewandert war, um einer der damals üblichen „Razzien” und damit einer neuerlichen Verhaftung zu entgehen. Meiner sechsjährigen Tochter hatte er einmal ein sogenanntes „Mikado”-Spiel geschenkt und dazu geschrieben: „Das ist ein herrliches Spiel, das ich stundenlang mit den Kindern meiner Nachbarin spiele.” Nun saß er da, während Kaffee bereitet wurde, und spielte es mit meiner Tochter. Sie saßen einander gegenüber: das Kind, das noch nichts wußte vom Grauen der Zeit, und das Kind, das dieser Dichter im Tiefsten seines Herzens immer war, zeitentsunken auch er in dieser Stunde, erlöst von der Treibjagd der Zeit, nur noch spielend, in die Zeit- losigkeit heimgekehrt und in den Frieden für wenige kostbare Augenblicke.

Es ist das letzte Bild, das ich von ihm in der Erinnerung trage. Ein paar Wochen später ging er nach England und von dort nach Amerika. Nach dem Krieg, nach insgesamt dreizehn Jahren der Abwesenheit, hoffte er, Europa wiederzusehen. Am 23. Mai- 1951 aber schrieb er von einem „richtigen Zusammenbruch mit Herzschwierigkeiten”:

„Ich mußte eine Zeitlang wieder im Spital verbringen. Das hat meine Fahrt wieder einmal verzögert, doch hoffe ich, im Laufe des Sommers bestimmt abreisen zu können. Fahren Sie mir also, bitte, nicht herüber; es wäre zu dumm, wenn wir in der Mitte des Atlantiks aneinander vorüberführen.”

Wir fuhren nicht aneinander vorüber und sind einander auch nicht mehr begegnet. Denn als dieser Brief in meine Hände gelangte, war Hermann Broch bereits tot.

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