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Erwartung und Erfüllung

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Novalis. Briefe und Werke. Erster Band: Briefe und Tagebücher. 492 Selten. — Zweiter Band: Die Dichtungen. 486 Seiten. — Dritter Band: Die Fragmente, 997 Seiten. — Verlag Lambert Schneider, Heidelberg (Berlin)

Als Textgrundlage dieser dreibändigen Dünndruckausgabe, die als eine der erfreulichsten Leistungen der deutschen Nachkriegsproduktion gewertet werden kann, dienten die von Fehlern gereinigten Erstdrucke, da sich der größte und wichtigste Teil der Handschriften an unzugänglicher Stelle im Ausland befindet. Lediglich die Originale der Berliner Staatsbibliothek konnten für den Druck herangezogen werden, unter denen sich auch einige kürzere Notizen, Fragmente und Jugendgedichte fanden, die hier erstmalig zum Abdruck gelangen. Die Hauptarbeit des Herausgebers Ewald W a s m u t h, der sich bescheiden auf der letzten Seite jedes Bandes (in einer Kolonne mit dem Drucker und dem Papierfabrikanten) versteckt, besteht in der Neuanordnung der Fragmente — worübejj noch zu berichten sein wird — und in der Erstellung eines mit bewundernswerter Akribie erarbeiteten Schlagwortverzeichnisses der Merksätze, Begriffe und Namen, mit dessen Hilfe man sich leichter in dem weitläufigen, helldunklen Labyrinth der Gedankenwelt Friedrich von Hardenbergs zurechtfindet.

Der Rezensent verzichtet auf den Versuch und betrachtet es nicht als seine Aufgabe, mit dieser gedrängten Besprechung in das vielschichtige und komplexe Werk des Novalis hineinzuleuchten, sondern beschränkt sich darauf, die editoriellen Grundsätze und Leitgedanken des Herausgebers nachzuzeichnen, der über jeden seiner Schritte und Griffe genaue Rechenschaft gibt. — Der vorliegenden Edition ist der berühmte Lebensabriß Tiecks vorangestellt, mit dem seinerzeit die dritte Auflage der Schriften des Novalis von 1815 eingeleitet wurde. Daran schließen sich, in zwei Teile gegliedert — unter den an d;e Einteilung des „Heinrich von Ofterdingen“ erinnernden Titeln „Die Erwartung“ und „Die Erfüllung“ —, die chronologisch aufgereihten Briefe und Tagebücher. Die Zäsur bildet der Tod der Sophie von Kühn, über den der

Dichter am 22. März 1797 an K. L. Woltmann in Jena schreibt: .Es ist Abend um mich geworden, während ich noch in die Morgenröte hineinsah. Meine Trauer ist grenzenlos wie meine Liebe...“ Der letzte der Briefe vom 1. Februar 1801 ist an den Kreisamtmann Just von Tennstedt gerichtet, dessen Biographie eine der Grundlagen für Tiecks .fraternalen“ Lebensabriß des Novalis bildet.

Der zweite Band umfaßt das Romanfragment Heinrich von Ofterdingen“ samt Tiecks Bericht über die geplante Fortsetzung sowie einige Aufzeichnungen zu nicht mehr vollendeten Teilen des Romans, ferner .Die Lehrlinge zu Sais“, die drei bekannten Fassungen der .Hymnen an die Nacht“, die Lieder und Gedichte (darunter unveröffentlichte Jugendgedichte), schließlich — den Texten Paul Kludchohns folgend — Prosastücke und Dramenversuche. Ein einziges Mal nimmt der Herausgeber, der ein eminenter Kenner und inspirierter Bewunderer des Novalisschen Werkes ist, das Wort: in der Nachrede zu den Fragmenten. Wasmuths Anordnung liegt „eine Gesamtschau, und das ist eine Auslegung der Philosophie von Novalis“, zugrunde. Von einem perspektivischen Punkt könne nicht gesprochen werden, „denn es ist 6eine Eigenart, daß sein Denken nicht nach einem festen Punkt ausgerichtet ist und ohne Vergewaltigung auf solchen Nenner nicht gebracht werden kann. Inhalt seines Denkens ist ein in ewiger proteushafter Wandlung begriffenes Problem, das er kaum jemals faßt und dem er nachsinnt und nachsinnt und das in immer neuen Gedankenfolgen äußere Gestalt sucht und findet.“ Es ist das Problem der Beziehung zwischen Cfist und Stoff. Und zwar wird der Beziehungspunkt der Weltbetrachtung mit einer Entschiedenheit in den „Geist“ verleqt. wie kaum von einem Dichter vor oder nach ihm. Auf Grund eindringender Kenntnis von Novalis' Gedankenwelt kommt Wasmulh zu der Feststellung: .Niemals ist die natürliche Welt, ist das Weltall Gott oder auch nur göttlich, immer kann es nur im Bild geschaut, gebrochen durch den Kristall des Menschen, ein Gleichnis Gottes, niemals im Sinne des Pantheismus Gott identisch sein. Novalis ist kein Pantheist, trotz allem, was mitunter dafür zu sprechen scheint. Die äußere Welt ist für“ ihn nur Sinnbild der inneren Welt, äußeres Zeichen ...“

Da Novalis in den Fragmenten keine geschlossene Darstellung seines Gedankensystems angestrebt hat und dieses, wie sein gesamtes dichterisches Werk, im tiefsten Sinn „fragmentarisch“ ist, bleibt auch die Anordnung der Fragmente — im Unterschied zu den Bruchstücken der „Enzyklopädie“ — jeweils dem Gutdünken und der Verantwortung des Herausgebers überlassen. Mit Berufung auf seine Intuition, auf das „Bild des Menschen und Denkers Novalis, wie er sich in dem Spiegel meiner Seele gezeigt“, nicht zuletzt, um dem Leser das Eindringen in die Gedankenwelt des Novalis zu erleichtern, hat der Herausgeber die von Paul Kluckhohn stabilierte chronologische Reihung der Fragmente zugunsten einer „inhaltlichen“, um bestimmte Themen und Fragen zentrierte, aufgegeben. Eine Vergleichstabelle (S. 963—991) stellt die vorliegende Anordnung der von Kluckhohn, Minor und Kamnitzer gegenüber.

Nacht und Verheißung. Gedichte. Von Ernst Schönwiese. Gurlitt-Verlag, Wien. 67 Seiten. — Das Bleibende. Gedichte. Von demselben Verfasser. Verlag „Die Ausfahrt“, Thal/St. Gallen. 30 Seiten.

Im Mittelpunkt der Dichtung dieses Lyrikers steht der Mensch, aber der im Bunde mit Gott. Es geht hier um klassisch gestimmte Lyrik eines christlichen Humanisten, der das „Horch auf dein Herz!, es ist die Stimme immer und ewig des einen Gottes“ zutiefst in sich selber erfuhr und dessen eigenes Ringen und Irren und Sichwandeln ihn zur Erkenntnis, mehr: zum Erlebnis hinaufzuläutern vermochten: „Noch ist kein Ding so ganz verloren, daß es nicht Liebe erretten kann.“ Es handelt sich um Lyrik eines — der griechischen wie der lateinischen Welt, Platen, Goethe und wohl auch Karl Kraus verpflichteten — Dichters, der, „abgeneigt allem, wo eine Hand sich hebt oder ein Schwert blitzt“, seinen Geist bereit und sein Herz fruchtbar zu machen verstand für die Bescheidung zu Maß und Mitte. „Tränen zu trocknen, ist als Höchstes gegeben dem Menschen, edler zu sein als er gestern noch war.“ Dem edlen Gehalt entspricht die edle Form und, worauf es vor allem ankommt, die jeweils gemäße Form, und eben diese Kongruenz bezeugt immer wieder des Dichters echtbürtige Künstlerschaft. Wenn er — voller Grazie — in der „Kanzone“ diese selbst anspricht: „Kanzone, geh vom Frühling in den Sommer, wie ich mit der Geliebten an der Hand“, oder wenn eine überraschende, seltene, aber sofort einleuchtende, bezwingende Reimstellung das Herz des Lesers plötzlich wie ein unerhofftes Glück überfällt, dann weist eine solche „Zündung“, ein solcher „göttlicher Funken“ untrüglich auf Berufung und Auftrag hin.

Die Thronfolger. Von Ottokar Janet-8 c h e k. Oberösterreichischer Landesverlag, Linz. 371 Seiten.

Das Buch behandelt in belletristischer Form, die Schicksale der drei letzten Anwärter auf die österreichische Kaiserkrone — des unglücklichen Kronprinzen Rudolf, des Erzherzogs Franz Ferdinand und des nachmaligen Kaisers Karl. Im wesentlichen hält sich der Autor an bekannte historische Tatsachen, und dafür wie für den sympathischen Ton seiner Erzählung muß man ihm Dank wissen. Leider unterlaufen ihm in verschiedenen Einzelheiten Irrtümer, die auch der Glaubwürdigkeit der vielen eingeflochtenen Gespräche, für die es nie einen Zeugen gegeben hat, erheblichen Abbruch tun. Regimentskommandanten, die nicht fließend deutsch sprachen, gab es wohl unter Maria Theresia, aber nicht unter Franz Joseph; das Außenministerium führte nicht die Bezeichnung „Ministerium des Äußeren und des kaiserlichen Hauses“; Erzherzog Albrecht war nicht „Generalfeldmarschall“ — so hieß der höchste militärische Rang nur in Preußen; Erzherzoge wurden nicht kurz mit „Hoheit“ angesprochen; Baronin Vetsera war bestimmt zu wohlerzogen, um den Ministerpräsidenten in der dritten Person und mit „Herr Graf“ zu titulieren; Graf Bombelles war nicht „Erlaucht“, und ähnliches mehr. Trotzdem kann das hübsch ausgestattete und illustrierte Buch jenen zur Lektüre empfohlen werden, die in den letzten tragischen Kapiteln der altösterreichischen Geschichte unbewandert sind.

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