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Erziehung zu Heimat, Vaterland und Staat

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Wenn man heute darangeht, in einem Kreise von Menschen, die sich um Erziehung bemühen, also etwa im Kreise von Lehrern, über die Fragen zu sprechen, welche mit der Erziehung zu Heimat, Vaterland und Staat zusammenhängen, so tritt deutlich ein gewisses Unbehagen, ja mitunter lebhafte Abwehr zutage. Sicherlich ist das Wort „vaterländische Erziehung“, das hiebei alsbald auftaucht, ein sprachlich unerfreuliches Gebilde, aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die ablehnende Haltung der Sache, gilt, und daß die Assoziationen unangenehmer Gefühle, welche jener Name erweckt, aus sachlichen Erfahrungen entspringen. In einer Aussprache bei den Salzburger Hochschulwochen im August dieses Jahres kam dieses Unbehagen unverhüllt zum Ausdruck, und die Form, in der es in den Worten der Diskussionsteilnehmer laut wurde, machte es offenbar, wie die Frage heute geeignet ist, Gefühle mannigfacher Art lebhaft werden zu lassen und so zur Verwirrung der Meinungen zu führen. Es ist wohl der Mühe wert, diesen Zusammenhängen nachzugehen, denn daß es sich hier um Dinge handelt, um welche der Erzieher einfach nicht herumkommt, muß sich jeder tieferen Überlegung unabweislich aufdrängen und wird durch die erzieherische Praxis vielfach bestätigt. Ja, noch viel mehr: es liegen hier Werte vor, welche im Gewebe der Autoritäten, von denen unser Leben umfangen ist, eine wesentliche Stellung einnehmen (dies war auch der Ausgangspunkt der Salzburger Diskussion), Werte, deren erhaltende und aufbauende Kraft so oft aufs deutlichste sichtbar geworden ist und welche die gebührende Achtung des Erziehers fordern.

Es ist richtig, daß wir eine Krise der Auffassungen von Heimat, Vaterland und Staat durchmachen, eine Krise, deren Ursprung weiter zurückliegt, als man auf den ersten Blick zu glauben geneigt ist, und wir sind heute weit entfernt davon, mit jener Selbstverständlichkeit an seelische Haltungen und Erlebnisse anknüpfen zu können, welche dem Erzieher vor einigen Jahrzehnten vergönnt war, dem diese Dinge kaum zum Problem wurden. Man wird vielleicht sagen, daß die Bindung an die Heimat auch heute noch bei uns im allgemeinen unproblematisch geblieben ist. Aber die immer wieder zum Ausdruck kommende Sehnsucht so vieler Menschen nach „Auswanderung“ sollte uns bedenklich machen, denn wenn wir auch ihre Gründe in anderen Bereichen finden, so weist sie ohne Zweifel doch auf eine Störung des Erlebnisses der Heimatverbundenheit hin. Ganz offenbar ist es jedoch, daß unsere und vor allem der heranwachsenden Jugend innere Beziehung zu jener größeren Erlebnis-gemeinschaft, die man als Vaterland bezeichnet, und gar zu dem doch auch aus gemeinsam erlebtem Schicksal erwachsenen organisatorischen Gefüge des Staates die schwersten Stöße erlitten hat. Alles dies aber kann für den Erzieher kein Grund »ein, sich von Aufgaben abzuwenden, deren Wichtigkeit auf der Hand liegt, und sich durch eine ablehnende Haltung an der Stabilisierung von Zuständen zu beteiligen, deren Vorhandensein er beklagt. Ja, auch der Entschluß, darauf zu warten, daß eine ruhigere, bessere Zeit ein aussichtsreicheres Wirken ermögliche, erweckt die berechtigte Besorgnis, daß gerade darum eine solche Zeit allzu lange auf sich warten ließe oder bei ihrem endlichen Erscheinen die dispositionellen Grundlagen, auf denen aufzubauen wäre, völlig zerstört fände. Nein, versuchen wir, uns über die Gründe unserer Hemmungen klar zu werden, versuchen wir, durch eine solche Klarheit die erzieherischen Überlegungen von ihren gefühlsmäßigen Störungen zu befreien, dann wird sich ein Weg finden, der uns weiterbringt, mag auch die Gegend, durch die er führt, unvertraut erscheinen, wie uns manchmal eine oft durchwanderte Landschaft im Nebeltreiben fremd anblicken kann.

Mit den Worten „Vaterland“ und „Volksgemeinschaft“ wie mit so vielen anderen, die in ihrer Bedeutung mit ihnen zusammenhängen, ist ein schlimmer und verhängnisvoller Mißbrauch getrieben worden, im Dienste der Machtideologie sind sie ihres eigentlichen Sinnes beraubt und durch hemmungslose Propaganda zu erlebnisleeren Schlagworten herabgewürdigt worden. Mußte sich schon durch die Umwälzungen in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg eine Unsicherheit über den Inhalt solcher Begriffe einstellen, so hat ihr propagandistischer Mißbrauch konsequenterweise in jedem, der sich ihrer zu sinnvollem Denken und eben nicht zur Propaganda bedienen will, eine heftige Abneigung geschaffen. Wir Österreicher sind besonders stark davon betroffen worden, denn unser Land war vornehmlich ein Ziel jener Bemühungen, die sich in dem Versuch der Ausmerzung des Namens „Österreich“, in dem „Mythos“ von der „Heimkehr ins Reich“ und ähnlichen Symptomen kundgaben. Daß diese Versuche nicht zu dem erstrebten Erfolg, sondern im Gegenteil zu einer Stärkung des Bewußtsein» österreichischer Eigenart und Zusammengehörigkeit geführt haben, ist eine Sache für sich, der natürlich für den Wiederaufbau große Bedeutung zukommt, die aber nur ein Motiv mehr für das Zustandekommen der Abneigung gegen jene als Schlagworte verwendeten Namen darstellt. Wenn wir uns nun in der Erkenntnis, daß uns der Verlust wirklicher Werte droht, fragen, wie wir wieder zu den Begriffen zurückfinden, die einst in jenen Worten lebendig waren, so ist die Antwort einfach: Wir müssen sie un» zu erneutem Erlebnis bringen. Nicht von oben her ist der Aufbau einer Gesinnung möglich, nicht durch „Organisation“. Das ist es ja gerade, was uns die Erziehungsmaßnahmen der überwundenen Herrschaft — und übrigens auch manche Maßnahmen aus der Zeit des Kampfes Österreichs gegen den Hitlergeist — so unangemessen erscheinen läßt, daß alles von oben her organisiert werden sollte. In dem schrecklichen Wort von der „Gleichsdialtung der Gehirne“ ist das zu drastischem Ausdruck gekommen. Und das ist es, was eigentlich das Widerstreben des Erziehers wedet, wenn er von Erziehung zur Heimat, zum Vaterland, zum Staat hört, daß er irgendwie einen ähnlichen Versuch zu spüren glaubt —

noch einmal „Schulungskurse“ unil „Um-sdiulungskurse“ — und davon abgehalten wird, sich klarzumachen, daß er ja aufgerufen werden soll, den Weg zum E r-lebnis zurückzufinden, welches die Gesinnung fundieren kann.

Wir würden diesen Ruf leichter hören und würden flen Weg leichter gehen, wenn unsere Gegenwart nicht so voll von Unklarheit und Unsicherheit wäre. Die immer wiederholten Enttäuschungen, die wir seit den Befreiungstagen des Jahres 1945 erleben mußten, haben auch in dieser Hinsicht, ja, besonders in dieser Hinsicht, der vertieften Gewinnung eines Bewußtseins der Zusammengehörigkeit in Heimat, Vaterland und Staat allzuviel zerstört. Und man begreift nur zu gut die Resignation, die sich manches Erziehers bemächtigen will, und die ein sehr bedeutendes Moment in' jenem Unbehagen bildet, von dem diese Betrachtungen ausgegangen sind. Auch hier gilt es, sich davon zu überzeugen, daß uns doch noch genug geblieben ist, worauf wir bauen können; auch hier gilt es, sich von den/ hemmenden Gefühlen freizumachen und in geklärter erzieherischer Gesinnung den mühsamen, aber einzig erfolgverheißenden Weg zu gehen,'auf dem jeder kleine Schritt vorwärts den belohnt, der ihn beschreitet: den Weg der Vermittlung des echten Werterlebens.

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