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Welche Autorin, welcher Autor kennt nicht die dümmlich-stereotype Frage „Warum schreiben Sie?" Denkt man aber darüber nach, wie viele schreibende Menschen es im Lande gibt, die erst in reiferen Jahren zur Veröffentlichung eines Ruches, und sei es im Eigenverlag, gelangen, klingt die Frage gar nicht mehr so dumm. Denn es gibt viele und sehr unterschiedliche Gründe, warum jemand schreibt und warum er seine Texte zwischen zwei Ruchdeckeln sehen will. „Denn", um Goethe wörtlich zu zitieren, „was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen."

Da ist zum Beispiel eine Frau, die erst Anfang fünfzig zu schreiben und in Literaturzeitschriften zu publizieren begonnen hat. Sie hat es zwar noch immer nicht zu einem selbständigen Werk gebracht - dem Vernehmen ' nach verlangen Leser/Käufer und damit auch Verlage in erster Linie nach Romanen -4, aber sie hat mit ihren Erzählungen bei Lesungen Erfolg. Dies gibt ihr, die ihrer Familie zuliebe eine vielversprechende künstlerische Karriere abgebrochen und sich ein Leben lang ihrem Mann untergeordnet hat, ihr Selbstwertgefühl zurück, da sich auch der Ehemann von der Anerkennung, die ihre Texte finden, beeindruckt zeigt.

Ein anderes Reispiel: Eine End-vierzigerin, die in bedrückenden und scheinbar ausweglosen Verhältnissen lebt, schreibt sich, kaum verschlüsselt, frei. Immer wieder.

Ein Intellektueller, der sich zum Dichter berufen fühlt, geht mit fünfundsechzig in Pension und leistet sich von seiner Abfertigung die Gründung eines eigenen Kleinverlages. Die Erwartungen, die er damit verknüpft haben mag, haben sich vorläufig nicht erfüllt.

Ganz anders geht ein pensionierter Bundesangestellter mit der Erfüllung eines Lieblingswunsches um: Jahrzehntelang hat er Verse und Aphorismen niedergeschrieben, in denen er seine Liebe zur Natur zum Ausdruck gebracht hat. Jetzt erst, er ist an die siebzig, hat er seine Texte als Selbstzahler herausgebracht. Er erhebt keinerlei literarischen Anspruch. Ihm genügt die Freude an seinem Buch. Wer wollte sie ihm nehmen! Zwei Fälle dürfen aus der Anonymität herausgehoben werden: Da gibt es in Oberösterreich einen Mundartdichter um die siebzig, namens Hans Rafetseder. Seit Jahren gibt er seine heiteren Verse bei geselligen Zusammenkünften, zum Teil über Einladung, zum besten und gilt als gefragter Unterhalter.

Jetzt endlich scheint sich für seine hauptsächlich mündlich verbreiteten Texte ein Verlag gefunden zu haben. Warum er zu schreiben begonnen hat? „Um zu unterhalten. Lachen ist die beste Medizin. Die hilft über vieles hinweg." Schreiben als Therapie. Eine Autorin, auf die dieser Sachverhalt voll zutrifft, ist Johanna Scho-besberger, heute fünfzig Jahre alt. Ihre Geschichte, die sie sich von der Seele geschrieben hat, trägt den Arbeitstitel „Wer schützt die dünne Haut?" Sie wird demnächst, vielleicht unter anderem Titel, in der Edition Geschichte der Heimat erscheinen. Es ist ein autobiographischer Roman, in dem sie in verschiedenen Erzählhaltungen und auf drei Erzählebenen ihr schweres Schicksal darstellt: die schwierige Kindheit, die Jahre als erwachsene Frau und Mutter dreier Kinder, deren eines sie aufopfernd gesundpflegte; Jahre, in die auch der schreckliche Unfall beim Hausbauen fiel, der sie in Panikattacken und tiefe Depressionen stürzte.

Damals begann sie, ein Tagebuch zu schreiben. Auf der dritten Ebene beschreibt die Autorin, wie sie, die von Angehörigen und Freunden aufgegeben worden war, sich von ihren Depressionen befreien konnte: durch Schreiben. Und langsam wurde aus der Therapie eine Profession, der öffentlicher Erfolg nicht versagt blieb. Schobesberger gründete Selbsthilfegruppen und hält seither Vorträge über das Thema „Depressionen aus der Sicht einer Betroffenen".

Schreiben als Selbsttherapie ist naturgemäß nicht auf Menschen in reiferem Lebensalter beschränkt. Auch nicht die Motive, die jemanden veranlassen zu schreiben. Die Allgemeinheit ist nur versucht Menschen, die in vorgerückten Jahren Schreiben zu ihrem Reruf machen (wollen), für etwas exotisch zu halten.

Ebensowenig läßt sich sagen, welche Altersklassen welche Arten von Lektüre bevorzugen. Es gibt Achtzigjährige, die Rernhard und Allende lesen, und es gibt Dreißigjährige, die mit sogenannter Gesellschaftsliteratur, wie Rosamunde Pilcher beispielsweise, ihr Auslangen finden.

Warum „sie" also schreiben? Ich meine, jedes Alter hat seine guten Gründe oder glaubt, sie zu haben.

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