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Filmreprisen

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Zu den Besdiränkungen des Films gehört sein Konseivendiarakter, also die Tatsache daß medianisch fixierte Vorgänge auch immer wieder mechanisch und gleidiartig abrollen müssen. Im Gegensatz zur Schallplatte, die vor allem innere Vorgänge anregt, fesselt der Film, auch der Tonfilm, vor allem das Auge und bleibt damit viel mehr als Musik ein sinnlicher Eindruck. Die Überlegenheit der Bühne ist dadurch gegeben, daß die Interpretation der wiedergegebenen Dichtung jeweils neue Schattierungen durch Rgie und Darstellung erfahren kann, so daß dem Ästheten die Wiederholung wertvoll wird durch die Vergleiche, die er zwischen verschiedenen Aufführungen ziehen kann, während gleichzeitig die verschiedenartigen Auffassungen der Rollen auch ein immer tieferes Verständnis des Dichters herbeiführen.

Die Erfahrung hat nun gezeigt, daß in diesen Beziehungen der Film so sehr im Hintertreffen ist, daß man kaum Filme ein zweites Ma' ansieht. Der Filmregisseur muß seinen Stoff von vornherein so anschaulich gestalten, daß er schon bei einer einmaligen Vorführung durch den Zuschauer ausgeschöpft werden kann. Dem Vorzug der Anschaulichkeit steht damit die Beschränkung auf den primitiven Stoff gegenüber.

Das vor 16 Jahren bei uns erstaufgeführte Meisterwerk Rene Clairs „Unter den Dächern von Pari s“, das nun wieder zu sehen ist und damals große Begeisterung erweckte, wird heute besonders von der jüngeren Generation, die sich wie eh und je auf der vierten Galerie und im Steh-parterre für die Kunst begeistern kann, ruhig und mit wenig Verständnis aufgenommen. Der noch am Stummfilm Geschulte gibt ihnen zwar darin unrecht, aber die Tatsache bleibt. Dieser Film ist noch halb Stummfilm und zeigt auch noch ganz dessen Vorzüge. Es scheint jedoch, daß die junge Generation sich vor allem an den noch vorhandenen technischen Mängeln stößt, von der Mode und ähnlichen Äußerlichkeiten zu schweigen.

Die kühle Aufnahme, die ein Meisterwerk eines anderen großen französischen Regisseurs gefunden hat, „U n carnet de b a 1“ von Duvivier, hat jedoch seine Ursache nicht mehr in technischen Mängeln. Vor bald zehn Jahren schien dieser Film eine vorbildliche Lösung der Verbindung einzelner, in sich abgeschlossener Episoden zu einem einheitlichen Ganzen zu sein. Heute wird in einer ernüchterten Welt die Abgeschmacktheit des Stoffes offenbar. Das Aufgebot der besten französischen Filmdarsteller kinn nicht darüber hinwegtäuschen, daß die unwahrscheinliche Geschichte, daß alle abgewiesenen Liebhaber einer hübschen, jungen Frau im späteren Leben Schiffbruch wegen dieser Zurückweisung erlitten haben, selbst dem primitivsten Publikum nicht mehr genügt. Der Film hat den Vorzug, daß einzelne Szenen darin sogar tief und wahr gesehen sind: Was haften bleibt, ist immer nur der große Zug und der ist lebensfremd.

Wer sich gerne Filme ansieht, soll es nicht versäumen, gelegentlich auch einen Film mehrmals anzusehen. Ganz abgesehen davon, daß dies Schulung des Auges ist, kann man sich um so klarer Rechenschaft geben, was das Wirksame im Film ist. Man wird übrigens die Beobachtung machen, daß man bei der ersten Vorführung viele Dinge gesehen hat, die man beim zweitenmal einfach übergeht. Ein tieferes Eindringen in den Stoff wird man in den seltensten Fällen feststellen, meist nur, daß man beim zweitenmal oberflächlicher ge-gewesen ist.

Ein Film, der einmal Erfolg gehabt hat, wird sofort von der Filmindustrie nachgemacht: Die Stoffreprise führt zu den bekannten Filmserien mit den gleichen Hauptdarstellern, die man bald satt bekommt und die immer schlechter werden. Besonders der amerikanische Film hat darin Großes geleistet. Die kapitalskräftige amerikanische Industrie kann nun alte Stoffe immer wieder neu herausputzen oder etwa wie der eben laufende Film „M eine Schwester Ellen“ durch einundeinhalb Stunden mit grotesken Einfällen ein fast pausenloses Gelächter hervorrufen, was aber zurückbleibt, ist eine solche Leere, daß man sich entweder von dieser Unterhaltung abwendet oder, wie es meistens ist, möglichst schnell sich für Stunden mit ähnlicher Unterhaltung füllen möchte, wenn man nur ähnlich gut gemachte so schnell wieder fände. „Meine Schwester Ellen“ ist ein Idealfall für die selbstveranstaltete Reprise. Man wird beim zweitenmal ebensoviel lachen und ebensowenig Werte mit sich nehmen.

Daß der Film in seiner Wirksamkeit aber vielmehr an die Technik als an die schauspielerische Leistung gebunden ist kann man übrigens auch an älteren Filmen studieren, die man zum erstenmal sieht. Man wird sich bewußt, daß Film als Kunst tatsächlich Entseelung bedeutet. Rene Fülöp-Miller und besonders Joseph Gregor wollen die „Phantasiemaschine“ daher auf den Lehr- und Kulturfilm einschränken. Diese Auffassung ist wohl zu streng und hat ihre Parallele vielleicht in der früheren Auffassung von der Bühne. Wie diese aber durch wirkliche Kunstwerke sich allgemeine Anerkennung gesichert hat, wird auch der Film, wenn ihm wirkliche Dichter geschenkt werden, eine andere Einschätzung gewinnen können. Allrrd'ngs fehlt der unmittelbare Kontakt mit dem Publikum, der der Bühnenaufführung ihr inneres Feuer gibt und den technischen Rahmen sprengt: Der Schauspieler und' nicht der Schnürboden und Scheinwerfer ist entscheidend.

Wie sehr jedoch die Technik auf den Inhalt eines Films drückt, kann neuerlich in dem russischen Film „Es leuchtet ein .weißes Segel“ festgestellt werden. Inhaltlich eine Fortsetzung des berühmten „Panzerkreuzers Potemkim“, schildert er die Flucht eines der Matrosen des Kriegsschiffes vor den Schergen des Zaren. Auf dem Erfolg dieses Films fußend, ist jener ebenfalls stark in Stummfilmmanier gemacht. Wir empfinden den interessanten Stoff versteckt hinter einer übertrieben deutlichen Geste, wie sie einst der Stummfilm erforderte, diese wirkt störend, sie lenkt von dem tragischen Gehalt ab. Kinder als Schauspieler lassen sich nicht so leicht in Manieriertheit pressen und so sind die beiden Buben in diesem Film den erwachsenen Darstellern überlegen. Ein übrigens typischer Zug im sowjetischen Filmschaffen. Ein Vergleich mit den beiden genannten französischen Filmen wird übrigens zeigen, ' daß trotz der vorzüglicheren Technik im „Carnet de bal“ das Thema des russischen Filmes viel mehr mitreißt, wie andererseits auch wieder die bessere Gestaltung des Rene-Clair-Filmes und der hervorragend getroffene Pariser Alltag noch nicht so viel bedeuten wie die Wirkung eines revolutionären Themas auf ein durch die Not ohnehin revolutionär gestimmtes Publikum. Hier zeigt der Film sein wirkliches Gesicht: Seine so unerhörte Suggestionskraft. Gerade die Reprisen haben wieder gezeigt, daß die Wirkung des Films auf seinem Stoff beruht, während die Gestaltung wie ein der Mode unterworfenes Kleid ist, das bald angezweifelt wird. Das Thema erweist sich letzten Endes wichtiger als seine künstlerische Gestaltung.

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