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Fontane war mehr als eine Romanfigur von Günter Grass

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Fontane stehe nicht nur im Bücherschrank, er werde nach wie vor gelesen, schrieb der Autor der neuesten Fontane-Biographie, noch bevor Günter Grass in seinem Boman „Ein weites Feld” Fontane bemühte. Aber wer liest wirklich heute noch „Effi Briest”, den vor genau hundert Jahren herausgekommenen gesellschaftskritischen Roman, mit dem der Preuße berühmt wurde, oder sein letztes, großartiges Werk „Der Stechlin”, in dem auch ein Seelen-porträt Fontanes steckt? Vielleicht nimmt dann und wann, wohl eher in Norddeutschland als bei uns, jemand die Balladen zur Hand, am ehesten noch „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland”. Aber mehr?

Der Apothekerberuf befriedigte ihn nicht, als Journalist und Gedichteschreiber, als „unechter”'englischer Korrespondent (der seine Berichte in Berlin aufgrund englischer Zeitungen verfaßte), arbeitete er bei der konservativen „Kreuz-Zeitung”, später als Theaterkritiker bei der angesehenen liberalen „Vossischen”. Neben Balladen und Novellen, die er verschiedenen Verlagen anbot, nahm er aus finanzieller Bedrängnis, unter der auch seine Ehe ständig litt, immer wieder Gelegenheitsaufträge an. Seine ersten erfolgreichen Romane verfaßte Fontane mit 60 Jahren.

Theodor Storm, einer seiner Freunde aus der Schriftstellervereinigung „Tunnel über der Spree”, dem ersten Resonanzboden des Dichters, hatte schon Jahre zuvor geahnt, daß Fontanes beste Leistungen noch in der Zukunft lägen. Fontane schwang sich in der Tat erst spät zum großen Erzähler auf.

Als junger Mann hatte er 1848 an der Revolution teilgenommen, schrieb damals für die Einheit Deutschlands, denn „es gibt keine Einheit bei 37 Fürsten ... Diese Wiedervereinigung Deutschlands wird schwere Opfer kosten. Das schwerste unter allen bringt Preußen. Es stirbt.” Der preußische Dichter hugenottischer Herkunft unterschied genau zwischen dem alten, redlichen Kern-preußen und dem von Dekadenz und Arroganz übertünchten Preußen der Jahrhundertwende. „Es hat statt der Ehre nur noch Dünkel, statt der Seele nur noch ein Uhrwerk, das bald ablaufen wird”, läßt er den Schach von Wuthenow sagen.

Die Balladen - darunter die herrliche von John Maynard „... und noch zehn Minuten bis Buffalo!” - sind zum Teil der preußischen, vorwiegend der englischen und schottischen Geschichte entnommen, die er auf seinen Reisen kennengelernt hatte. Die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg”, eine in 30 Jahren erarbeitete Liebeserklärung an seine märkische Heimat, werden in der jetzt vorliegenden Biographie als das bedeutendste Stück deutscher Heimatkultur bezeichnet. Sie haben jedenfalls unter den Zeitgenossen seinen Buhm begründet, während ihn die großen Bomane erst später bekannt machten. In ihnen erwies er sich als der liberale Bealist, der nicht erziehen, sondern der Wahrheit gerecht werden wollte. Und der vieles mit einem ironischen Unterton versah.

Heinz Ohff, schon 1988 mit einem Buch über die preußische Königin Luise hervorgetreten, hat sich auch diesmal die Sache nicht leicht gemacht. Er stützt sich nicht nur auf die Kenntnis der literarischen Werke Fontanes, sondern vor allem auch auf dessen Tausende Briefe von höchster sprachlicher Qualität, „eine stufenweise abgefaßte Autobiographie”. Das verleitet ihn freilich mitunter,-auf Einzelheiten einzugehen, die für den Leser so detailreich nicht wichtig sind. Doch man wird gleich wieder versöhnt durch die anschauliche und keineswegs kritiklose Charakterisierung Fontanes, der, von den Fährnissen des Lebens bedrängt, als Schriftsteller ständig unter Hochspannung stand und sich im Alter rückblickend wie der Reiter über den Bodensee vorkam.

Einen Aristokraten der Gesinnung nannte ihn der Schriftsteller Budolf Pechel. Fontane (1819-1898) liebte das Alte, war zugleich aber entschlossen, mit dem Neuen zu leben, wie schon seine Theaterkritiken und Gedichte, später auch Bomane wie „Irrungen Wirrungen” oder „L'Adul-tera” beweisen. Zumindest seine ganz großen Bomane, mehrere seiner Balladen, sogar einige heute kaum mehr bekannte Erzählungen sind es wert, weiter gelesen zu werden.

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