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Formen aus einer anderen Welt

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Heuer feierte Herbert Boeckl, der seit 1935 Professor au der Akademie der bildenden Künste in Wien ist, seinen 65. Geburtstag. Der Süddeutsche Rundfunk hat dies zum Anlaß genommen, um den großen Einzelgänger unter den österreichischen Malern der Gegenwart zu einem Interview einzuladen. Non der Begegnung und dem Gespräch mit dem Künstler will dieser Bericht erzählen.

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Heuer feierte Herbert Boeckl, der seit 1935 Professor au der Akademie der bildenden Künste in Wien ist, seinen 65. Geburtstag. Der Süddeutsche Rundfunk hat dies zum Anlaß genommen, um den großen Einzelgänger unter den österreichischen Malern der Gegenwart zu einem Interview einzuladen. Non der Begegnung und dem Gespräch mit dem Künstler will dieser Bericht erzählen.

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Als ich dem Menschen Herbert Boeckl zum erstenmal gegenüberstand, überfiel mich die Kraft, die von seiner Persönlichkeit ausgeht. Leicht geduckt, eher groß und schwer von Gestalt, sah er mir abwartend entgegen; in seinen Augen die leichte Ironie, die er allem gegenüber zur Schau trägt, was von außen her, vom öffentlichen Kunstbetrieb, kommt. Sein Gesicht, das man mit dem Antlitz eines Priesters vergleichen möchte, ist von diesen Augen, die gleicherweise nach außen wie nach innen gerichtet erscheinen, beherrscht. Auch auf allen seinen Selbstbildnissen bilden sie den magischen Angelpunkt.

Erst nachdem Professor Boeckl die Ueber- zeugung gewonnen hatte, daß ich nicht zufällig und unvorbereitet zu ihm gekommen war, willigte er in ein Gespräch ein. Das geschah zuerst auf ganz eigenartige Weise. Nicht ich war es, die fragte, sondern der Künstler hatte ein solches Maß von im Lauf der Zeit an ihn gerichteten Fragen und un- oder mißverstandenen Antworten in sich aufgespeichert, daß er anfangs Fragender und Antwortender zugleich war. Ich verließ ihn nach diesem ersten „Gespräch" etwas verwirrt, aber schon die nächsten Stunden des Nachdenkens brachten mich seiner künstlerischen Eigenwilligkeit und seinem Wesen um einen Schritt näher. Auch hatte sich mir das Bild des Sprechenden nicht von ungefähr eingeprägt: ganz konzentriert, den Kopf eingezogen und auf die Brust gesenkt, im Raum auf und ab gehend, wiederholt stehenbleibend, bricht das Gedachte in eruptiven Stößen und vielfach verblüffend bildhaften, ja dichterischen Formulierungen aus ihm hervor. Man spürt förmlich das Gewicht der Gedanken, die immer um das Wesen des Künstlerischen kreisen, die Windungen, Ueberschläge, Sprünge, Auslassungen; das oft und oft Durchdachte, sich schwer Abgerungene.

Bei unserer nächsten Zusammenkunft fragte ich Professor Boeckl nach seinem Lebensweg. Seine Antwort war: „Mein Leben hat sich erst nach und nach herausgeschält, ohne daß ich eigentlich wußte oder ahnte, wohin meine jeweilige Tätigkeit mich führt. Mir wurde immer erst nachträglich bewußt, daß das vorher nicht gekannte Bild der Bedeutung einer mir unbekannten Entwicklung folgt. Anfänglich war dies nicht so stark, weil ich dem Naturbild künstlerische Bedeutung nicht absolut absprechen konnte. So waren auch meine frühen Arbeiten sehr der französischen Kunst vom Ende des letzten Jahrhunderts verpflichtet."

Ich hatte auf diese Frage die übliche Antwort von Geburtsdatum und Or-t erwartet und gab dies Herrn Professor Boeckl zu verstehen. Er erklärte mir, daß ihn als Künstler vor allem der innere Lebensweg interessiere; über seinen äußeren wisse ohnehin ich viel besser Bescheid. Später dann, beim Interview, übernahm ich also gewissermaßen die Rolle seines äußeren Lebensweges mit: Herbert Boeckl wurde am 3. Juni 1894 als zweitältester der vier Söhne des Ingenieurs und Stäatsgewerbeschulprofessors Leopold Boeckl in Klagenfurt, Kärnten, geboren. Nach Absolvierung der Realschule wurde er zunächst zum Studium der Architektur an der Technischen Hochschule in Wien bestimmt. Während dieser Zeit beschäftigte er sich nebenbei mit medizinischen Studien und begann als Autodidakt zu zeichnen und zu malen „Blätter aus dem anatomischen Skizzenbuch". Nach Ablegung der ersten Staatsprüfung war er von 1914 bis 1918 Soldat. Zu Beginn der zwanziger Jahre folgten längere Aufenthalte in Berlin, Paris und Palermo.

BOECKL: Von dort aus hat sich dann der nach Süden gerichtete Fächer geöffnet; sozusagen kamen meine Füße dort zu stehen und ich habe den ewigen, gleichmäßigen Wert der Kuiist, die man für gewöhnlich als klassische bezeichnet, für mich erkannt und seither nie verleugnet. Als ich damals Poussin und die Brüder Lenains als verpflichtende Vertreter der europäischen Klassik nannte, wurde ich als rückständig verlacht.

FRAGE: Sie vermochten also mit diesen, Ihren neugewonnenen künstlerischen Erkenntnissen nicht durchzudringen?

BOECKL: Nein, im öffentlichen Kunstbetrieb war mir das aus diesen Gründen nicht möglich. So kam ich auch als junger Maler bis zum Jahre 1933 nicht zu einer Ausblühung.

FRAGE: Wurden Sie auch von Ihren Künstlerkollegen mißverstanden? Oder sind Ihnen von dieser Seite Anregungen und Aufmunterungen zugekommen?

BOECKL: Vielleicht ist das eines der heikelsten Kapitel überhaupt. Darauf müßte ich wohl selbst fragen, ob die moderne Kunst von den meisten Malern nicht hauptsächlich über die Kunstbücher konsumiert wird? Also Original und Kopie.

FRAGE: So würden Sie in die Rolle des Einzelgängers gedrängt?

BOECKL: Ja. Und ich wählte sie. Ich glaube, daß selbst in der Gemeinschaft der Impressionisten oder der Kubisten, die mehr oder weniger ideale Arbeitsgemeinschaften waren, jeder einzelne Künstler dennoch seinem Einzelschicksal verhaftet geblieben ist. Ich möchte sagen, und das istmein künstlerisches Credo: Vor allem ist es das Bewußtsein, daß die Gestalt der Malerei ein Gleichnis der Gestalt und Geduld der menschlichen Seele darstellt. Das heißt, daß das Bild sich im Auge rein widerspiegeln muß, ohne den philosophischen und weltanschaulichen Zielen oder Ideen einer der Malerei zusätzlichen Aktion eine gewollte Zielrichtung zu verleihen.

FRAGE: Sie deuteten früher das Jahr 1933 als Wendepunkt in Ihrer Entwicklung an?

BOECKL: Das war es nicht nur in meiner. Die Strömung, die über uns alle hereinzubrechen begann, hat auch allen anderen, nicht ausgetragenen und erkannten Richtungen jener Zeit ein vorläufiges Ende bereitet. Sie wurden aber nach 1945 als historische Tatsache und Leistung betrachtet. Und nun wurde im öffentlichen Kunstbetrieb wieder alles auf der klassischen Tradition Beruhende als langweilig, reaktionär und unaktuell beiseite geschoben.

FRAGE: Welche Konsequenzen haben Sie für sich und Ihr Werk aus dieser doppelten Verkennung gezogen?

BOECKL: Diese prekäre Situation hat mich innerlich geradezu dazu gezwungen, mein Augenmerk immer stärker der religiösen Kunst zuzuwenden.

FRAGE: In dieser Zeit entstand Ihr großer Flügelaltar? . .

BOECKL: Ich habe seit 1933 acht Jahre lang daran gearbeitet. Zuerst öffentlich und dann im geheimen. Die künstlerischen und politischen Verfolgungen haben mich in das Kleid des streitbaren heiligen Stephanus getrieben Vorderansicht des linken Seitenflügels; so wie in der Endzeit des Krieges, da jedes unüberlegte Wort ein Verhängnis heraufbeschwören konnte, sich mir die Gestalt des schweigsamen heiligen Johannes Nepomuk erschloß, der das bewahrte Beichtgeheimnis mit seinem Leben bezahlt hat Vorderansicht des rechten Seitenflügels. Ich bin dieser religiösen Kunst, die ich in der Stille während des Krieges schuf, nicht wenig dankbar, weil ich das Gefühl habe, daß,diese in der Abgeschlossenheit geübte Tätigkeit mich beschützt und bewahrt hat. Sozusagen war es für mich der Beweis des Rechten und Wahren; Formen aus einer anderen Welt.

FRAGE: Sind Sie oft mit Ausstellungen und Buchillustrationen an die Oeffentlichkeit getreten?

BOECKL: Nein, ich habe wenig ausgestellt.

Von Propaganda halte ich nichts. Die wenigen Veröffentlichungen nehmen nur auf den ersten i Teil meines Schaffens bezug.

FRAGE: Wann und wo haben Sie zum erstenmal ausgestellt?

r BOECKL: 1927 eine Kollektion in Wien. Die ‘ erste Gesamtausstellung meiner Werke hatte ich erst 1946 in Wien.

1 FRAGE: Haben Sie schon einmal in Deutsch- ‘ land ausgestellt?

BOECKL: 1954 war eine Ausstellung in München, bei der ich zu hören bekam — und seither oft zu hören bekomme —, daß mein Werk in zwei verschiedene Teile zerfällt.

FRAGE: Was halten Sie solchen Kritiken entgegen? Oder gehen wir davon aus: Wie war Ihre Situation 1945 bei Kriegsende?

BOECKL: Mein konstanter Glaube, daß die Seele ihre natürliche Bewegungsfreiheit wieder erhält, hat sich bewährt. Damit konnten alle durch das naturalistische Sehbild gegebenen Malereien wieder der Anfang sein, dem durch die Verwandlung die Möglichkeit offensteht, die geistige Gestalt zu erreichen. Dann erst tritt das ein, was man allgemein als Abstraktion bezeichnet, weil die wahre Abstraktion die optischen Formen von der Fülle der Natur be-r freit und diese dem Gesetz dienstbar macht.

FRAGE-, Wennich. Sie ..richtig verstehe, dann j haben, diese Erkenntnisse , in Ihren..letzten..Wern 1 ken, vor allem dem letzten, größten, noch im 3 Fluß befindlichen„ bereits ihren Niederschlag s gefunden: in der „Apokalypse" der Engelskapelle . im steirischen Stift Seckau? Es ist höchst be- r deutsam, daß dies wieder ein religiöses Werk ist. t BOECKL: Mir ist durch italienische Künstler i klar geworden, daß die Verwandlung des Men- i sehen, wie ich sie schon im heiligen Copertino e dargestellt habe, einem religiösen Akt gleicht, t dessen Endziel die Unsterblichkeit der Seele ist, t beziehungsweise die unverwandelbare geistige e Form; da ja noch immer und ewig die Kunst , eine Parallele zur Natur darstellt.

A Ile Arbeiten Herbert Boeckls seit dem 41 letzten Krieg ringen um diese durch die Verwandlung zu erreichende geistige Gestalt, Seine Bilder kreisen immer wieder um die The- i men: Erschaffung, Leid, Versuchung, Verwand-lung, Erlösung des Menschen.

Herbert Boeckl bezeichnet selbst „Das Leben . des heiligen Joseph von Copertino" als das Werk, in dem . sich ihm die schöpferische Stunde bisher am reinsten dargestellt" hat. Es ist der Ausgangspunkt für seine eigene Verwandlung geworden. Entscheidend für die letzte Phase in seinem Schaffen waren ein Spanienaufenthalt und ein Aufenthalt im Toten Gebirge gewesen. Die dort entstandenen Bilder und die neue Serie vom Erzberg lassen in ihrer hintergründigen. Transparenz erkennen, wie sehr die späte Kunst Boeckls in allen früheren Arbeiten schon vorgebildet war. Die Hüllen abschüttelnd, tritt sie immer reiner hervor, hinter jedem Farbfleck gewinnt eine zwingende, geistige Vorstellung Gestalt. Wenn die Ausmalung der Engelskapelle im Stift Seckau voraussichtlich 1960 vollendet sein wird, dann wird man diese ganze, in sich geschlossene Entwicklung an einem Werk, ablesen können.

Werke von Herbert Boeckl zweimaliger österreichischer Staatspreis- und Guggeuheimpreis- träger finden sich in folgenden Wiener Sammlungen:

In der ..Oesterreichischen Galerie des 19. und 20. Jahrhunderts“ im Belvedere eine größere Kollektion, darunter ..Selbstbildnis 1923. Paris“ und . Der Jüngling Das Leben des’heiligen Joseph i Copertino“. 1050 bis 1954. - Im Museum der Stadt Wien das Selbstbildnis 1945“. die ..Ana- I tomie“. 1931, .Wiener Dächer“. — In der Albertina „Das große Skizzenbuch zur Anatomie“, um 1930, Graphiken und Aquarelle.

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