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Fred Wanders Lebenserzählung

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Lieben, Lachen, Weinen, Reisen, Schreiben, Essen, Trinken nach Auschwitz - wir wissen: das ist nicht nur möglich, wir alle müssen es tun, die meisten von uns, ohne'jemals dort gewesen zu sein. Daß, wie und mit wem es einer kann, der als Wiener Jude den Höllen entrann, erfährt der Leser in diesem Buch. Es ist keine herkömmliche Autobiographie, mit der sich der Autor einen Vorwand schafft, als Hauptfigur mehr oder weniger heldenhaft posieren zu können. Wir haben einen poetischen Reiseführer vor uns, einen, der uns zu Menschen und ihren Orten führt, die zu erleben, eine Biographie ausformt.

Der Leser begegnet dem Staunen des Autors, der mitunter kaum zu fassen vermag, was alles ihm widerfuhr, und daß er es überlebte. Er faßte es, auf seine eigene Weise: So einer mußte Erzähler werden. Fred Wander gilt auch in seinem Heimatland noch immer als Geheimtip. Und diese Lebenserzählungen gehen wohl vor allen anderen denen nahe, die seine anderen Erzählungen und die Romane kennen. „Der siebente Brunnen" - jenen gewidmet, die Auschwitz und Buchenwald nicht entrinnen konnten („die dort blieben") -, spürt selbst im Reich des Vernichtens noch Züge menschlicher Antlitze auf. Zweieinhalb Jahrzehnte haben vergehen müssen, bis der Autor sich in der Lage sah, haßfrei zu schreiben. Erlebtes verbindet sich - wie im neuen Buch -immer mit wiedererkennbaren Menschen. Wie er es erzählt, gestattet dem Leser, zu deuten und zu vergleichen. Der Bildhauer Barlach hat zwei Mönche gestaltet, die einander dabei behilflich sind, das Leben zu lesen. Dieser von ihm geliebten Plastik bleibt Wander in seiner Arbeit verpflichtet.

Ein Leben lang unterwegs sein: Aus Wien vor den Nationalsozialisten geflohen und in Frankreich dann doch eingefangen. Das Brot der Lager gegessen. In dem Teil Deutschlands Wohnung genommen, der sich sozialistisch und demokratisch nannte, und hier Ent-Täuschung gelernt. Das

Glück seiner großen Liebe, seiner Freundschaften, der Schmerz des Verlustes von Frau, Kameraden und Kind - Stationen des grimmigen, schönen Menschenlebens.

In einem Gespräch mit dem ORF versuchte Wander (wie in seinem Buch) dem Furchtbaren den Nimbus des Einmaligen und Unwiederholba-ren zu nehmen. Er zitiert Nelly Sachs: „Die sinnhaft errichteten Wohnungen des Todes" werden noch immer errichtet.

Sie bleiben offen, solange Hunger und Folter herrschen. Er sagt aber auch: Menschlich Leben ist Teilen. Wo immer er hinkam, er blieb bemüht, das zu tun. Und wer je das Glück hatte, an einem seiner Lebensorte bei ihm zu Gast sein zu können, der hat es erfahren. Auch der Leser ist 361 Seiten lang willkommener Gast.

DAS GUTE LEBEN

Erinnerungen von Fred Wander Ilanser Verlag, München 1996 geb., öS 291,-

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