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Gesucht: junge Talente

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Im allgemeinen bin ich kein Freund von Preisausschreiben und Wettbewerben. Die Erfahrungen, die einschlägige Veranstaltungen der jüngeren Vergangenheit gebracht haben, trugen nicht dazu bei, es zu sein oder zu werden. Sie haben gezeigt, daß der gut gemeinte und stets aufs neue von Hoffnungen getragene Aufruf „Dramatiker vor!“ zunächst vor allem einmal das ungeheure Heer der Auch-Schreiber, der — mehr oder minder „liebenswürdigen“ — Dilettanten, der Sonntagsdramatiker auf den Plan ruft. Es öffnen sich Schubladen sonder Zahl, und heraus strömen etwa „neue“ Versionen der ach so beliebten Historienmalereien von den Römern über Maria Theresia und Napoleon bis zu Erzherzog Johann und Kaiser Franz Joseph. Da gibt es ein nicht unbedingt beabsichtigtes Wiedersehen mit vielen guten, alten Bekannten der unter den Bücherbergen ohnehin schon halb begrabenen Dramaturgien, mit Stücken also, die seit Jahr und Tag mit gutem Grund unaufgeführt von Bühne zu Bühne wandern und deren Qualität dadurch um nichts besser wird. Freilich gibt es auch eine Reihe von neuen Arbeiten. Doch auch hier ist es so, daß der Dilettantismus überwiegt. Viele, allzu viele bloße Liebhaber dieser bekanntlich schwersten aller Literaturgattungen fühlen sich berufen, sich auf einem Gebiet zu versuchen, das zwar gewiß ihren — sehr häufig in betontem Gegensatz zum zivilen Beruf stehenden - Interessen, keineswegs aber ihrem Können entspricht.

So entstehen zahllose Variationen bekannter Sujets und Gattungen, simple Klischees von Originalen, die ihrerseits schon oft Klischee sind, Stücke mit Figuren ohne Eigenleben und Persönlichkeit, dialogisierte Geschichten, rühr-sam und unwahr, Tragödien ohne echte Tragik, Lustspiele ohne wirkliche Lustigkeit. Und findet sich einmal ein irgendwo zündender Gedanke, ein Problem, das wert wäre, dramatisch gefaßt und durchgebildet zu werden, dann ist es in 99 von 100 Fällen formal nicht bewältigt, dann fehlt die echte dramatische Begabung, das Wissen um die Gesetze der Bühne.

Die wenigen wirklichen Dramatiker aber, deren auch schon erprobte Fähigkeiten auf das Theater wiesen, bleiben nur zu oft fern; sei es, daß sie durch ihre meist lukrativere Beschäftigung bei Rundfunk, Film und Fernsehen zu sehr in Anspruch genommen sind, um in die große Arbeit, die das Verfassen eines Theaterstücks nun einmal bedeutet, angesichts des ungewissen Ausgangs kostbare Zeit zu investieren, sei es, daß die „Aufwandentschädigung“, der endgültige Preis sich in einem Rahmen bewegt, der den Einsatz von vornherein nicht recht verlohnt.

Aus diesem Dilemma, dem sich nahezu jede Wettbewerbsveranstaltung für das Theater bisher gegenübersah, scheint mir aber doch ein Weg herauszuführen, den vor etwa zwei Jahren erstmalig die Stadt Mannheim beschritt — und wie wir heute sagen können, durchaus mit Erfolg: das dort preisgekrönte und aufgeführte Stück „Der Schulfreund“ wurde bereits von mehreren großen Bühnen nachgespielt und von vielen weiteren, unter anderem auch der Josefstadt, angekündigt — und den nun auf seine Weise weiterzugehen das Theater in der Josefstadt sich entschlossen hat. Den Ausgangspunkt für diesen neuen Weg bildete die Ueberlegung, ob es nicht möglich wäre, dem Autor wie in den Zeiten Calderons, Shakespeares und Mo-lieres, wie aber auch heute vielfach bei Rundfunk, Film und Fernsehen durch Erteilung eines thematisch präzisierten Stückauftrags eine Brücke zum „Theater von heute“ zu bauen, und zwar in beider Worte vollster Bedeutung.

Die vielfach vorhandene und beklagte Entfremdung zwischen Autor und Bühne soll durch eine möglichst enge Zusammenarbeit überwunden werden, die nicht erst — wie auch sonst gelegentlich - vor der etwaigen Aufführung einsetzt, sondern schon während der- Ausarbei-! tung des Stückes darauf abzielt, den vielleicht; dichterisch hochfliegenden, aber versponnenen, unrealistischen Plan seines Verfassers den Gegebenheiten und Eigengesetzlichkeiten der Bühne anzupassen, den Autor mit dem dramatischen Rüstzeug, dem ..Handwerk“ im guten, alten Sinne vertraut zu machen. Deshalb soll auch nicht gleich das fertige Stück eingereicht werden, sondern zunächst nur ein kurzgefaßter Entwurf, der dessen Gesamtanlage zeigt, darüber hinaus aber auch noch ein ausgeführter Akt, der die schriftstellerische und dramatische Grundbegabung des Autors erkennen läßt. Erscheinen nun Entwurf und vorgelegter Akt besonders interessant und ausbaufähig, so wird dem Autor mit der Erteilung des Stückauftrages gleichzeitig ein Arbeitsstipendium gewährt, das ihn für die Zeit der Ausführung, das ist für fünf Monate, materiell unabhängig macht und so eine wirkliche Konzentration auf eben nur diese Arbeit ermöglicht.

Denn über die Förderung des von der Bühne vielfach isolierten, oft auch thematisch im Dunkeln tappenden Dramatikers hinaus, geht es ja auch um die Förderung des Theaters selbst, das Aer R( friirlitiinCT rliirrJi n*>ii( veitnuhp. nicht vnn

der kalten Routine diktierte, sondern aus echten Erlebnisimpulsen gespeiste Werke bedarf, will es nicht den Gefahren der Erstarrung oder Ueberfremdung erliegen.

Der Vorteil, der sich aus solch einem System ergibt, ist also ein doppelter: der Autor schreibt nicht Wochen und Monate ins Blaue hinein, sondern fachlich und materiell betreut vom Theater, und nur die Abfassung des Entwurfs geht gleichsam auf sein eigenes Risiko. Hier aber wiederum verspricht die thematische Begrenzung gegenüber früheren Wettbewerben einen viel höheren Prozentsatz an brauchbaren Arbeiten, da ja die ganze Reihe der oben beschworenen Historienbilder und Ladenhüter sowie das Unterhaltungsgenre wegfallen und doch wohl zu erwarten ist, daß das Generalthema, „Gegenwartsprobleme der menschlichen Existenz“, mit seinen — nur als Vorschlag zu wertenden — Unterableitungen „Gott und Mensch“, „Mensch und Technik“, „Neue Formen des Heldentums“, „Verlust der Mitte“, „Der einzelne und die vielen“ und „Jugend von heute“ eine Fülle von Anregungen zu dem gesuchten Zeitstück enthält.

Die Zusammensetzung der Jury endlich, der außer Experten des Theaters auch Vertreter der Diplomatie, der Kirche, der Justiz, der Medizin, der Industrie und des Kunst- und Kulturlebens im allgemeinen angehören, ist Bürge dafür, daß die endgültige Preiszuerkennung nicht nur vom Standpunkt des Bühnenmetiers aus gefällt wird, sondern vor allem unter dem von den verschiedensten Seiten des öffentlichen Lebens avisier ten Aspekt: Entspricht das Stück wirklich dei geistigen Situation unserer Zeit, ist hier eine gültige Aussage oder Problemstellung von aktueller Bedeutung gelungen?

Sollte das preisgekrönte Stück, dessen Uraufführung während der Wiener Festwochen 1960 am Theater in der Josefstadt stattfinden wird, vor dem Forum des gleichzeitig in Wien tagenden Kongresses des Internationalen Theaterinstituts in Ehren bestehen, so fände darin die Mühe und Arbeit, die allen an dem Wettbewerb Beteiligten in den nächsten Wochen und Monaten bevorsteht, ihren schönsten Lohn.

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