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Glück ist nicht nur Glückssache

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Fortsetzung von Seite 13

Das Glück läßt sich mit einem leeren Gefäß vergleichen, in dem sehr viele verschiedene Empfindungen Platz haben: Gefühle des Triumphs und des Narzißmus, Gefühle von zärtlich-inniger Qualität, Anwandlungen von Bescheidenheit und Gefühle der Macht, der Überlegenheit' und der Gewalt: Glück des Wahlsiegers, des Sportmatadors und des Kriegers. Das allein schon unterscheidet es von allen anderen emotionalen Befindlichkeiten. Zwar mag man den Kopf schütteln, daß diese Frau jenen Mann liebt und umgekehrt, aber daß sie oder er liebt, ist den meisten von uns nachvollziehbar. Mit dem Glücksgefühl oder - altmodisch - der Glückseligkeit ist es nicht so einfach bestellt, weil es - von einem äußeren Anlaß abhängig - stets zusammen mit anderen Gefühlen vorkommt. Kurzum das Gefühl, das mit dem Glück einhergeht, stellt so etwas wie eine Gemengelage dar.

Die Spannbreite des Glückes ist breit, zwischen zufälligem Ereignis, das den Mangel beschließt, bis zum erfüllten Augenblick, der durch Verschiedenstes, ja Konträres eintreten kann. Das äußere Ereignis und der innere Zustand haben miteinander gemein, daß sie sich - psychologisch besehen - unserem freien Willen entziehen. Wir sind nicht die Herren und Damen unseres Glückes, wir haben es nicht in der Hand, und selbst wenn wir es zu fassen geglaubt haben, entschlüpft es uns wie besagtes Vogerl. Weil dies so ist, eignet sich das Glück besonders für jedwede Form der Allegorisierung: wir können kaum anders von ihm sprechen als wäre es ein Subjekt.

Ein berühmter und vielgelesener Romancier dieses Jahrhunderts, Lion Feuchtwanger, hat in seinem vielleicht besten Buch „Erfolg" (einer literarischen Bilanz der frühen Hitler-Jahre in Bayern) sogar davon gesprochen, daß Glück eine Eigenschaft sei,

und das hängt mit jenem merkwürdigen, aber empirisch schwer beweisbaren und zugleich ebenso schwer widerlegbaren Umstand zusammen, daß es Menschen gibt, denen das Glück, wie man so sagt, zufliegt und die vielleicht auch das Glück haben, es wahrzunehmen und zu ergreifen, wenn es als Vogerl des Wieners und als guter Daimon des antiken Griechen mit seinem unsichtbaren Flug ansetzt. Zweifellos gibt es - vom Unglück, von Not und Armut einmal ganz abgesehen - Menschen, die wie man sagt, das Glück nicht verwöhnt und die regelrecht vor eben diesem Glück zurückschrecken.

Glücksmenschen und Pechvögel bewohnen die Feuchtwangersche Romanwelt, die eine freudianisch-aufge-klärte ist. Dementsprechend fällt auch die Hierarchie des Glücks aus: das Glück der erotischen Liebe, darüber das Glück der Freundschaft und ganz oben rangiert das Glück der schriftstellerischen Arbeit. Mühelos läßt sich eine solche gut neuzeitliche Glückshierarchie umstoßen: dieser Umstand legt es nahe, Glück als etwas sehr Individuelles und unmöglich Objektives zu bestimmen. Über das wahre Glück läßt sich so trefflich streiten wie über den richtigen Geschmack.

Der Autor ist

Essayist und Dozentfür Kulturphilosophie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Wien und Klagenfun Der Beitrag ist ein Auszug aus einer Vortragsreihe der Evangelischen Akademie in Wien

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