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Handzeidhnungen

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Die Handzeichnung ist die — im besten Sinne des Wortes — naivste graphische Äußerung überhaupt. Die bedenkenlose Unbefangenheit, mit der sie sich gibt, macht ihren größten Vorzug aus und entschlüsselt zugleich das Geheimnis, was eigentlich der Handzeichnung den zauberhaften Reiz verleiht. Der Handzeichnung ist die größte Natürlichkeit stets gewährleistet, ist sie doch nichts anderes als die dem Künstler angeborene Handschrift. Eine Verstellung kommt hier niemals in Frage, wird auch nie erstrebt. Die Handzeichnung trägt den Stempel der Ursprünglichkeit unver-löschbar aufgedrückt. Sie kann daher auch zu keinem Experiment dienen, ihre Unberührtheit ist unzerstörbar.

Die handwerklichen Mittel, die dem Künstler für die Anfertigung einer Zeichnung zur Verfügung stehen, sind dürftig; außer dem Blei-, Silber- und Rotstift, der Kohle und Kreide sind es nur Tusche und Feder. Das Medium der Farbe in ihrer Vielfalt fehlt also gänzlich, ein bedeutsamer Mangel, der in den Augen minder Empfindsamer schwer wettzumachen ist. Noch karger sind die Ausdrucksmittel bemessen, die für die Zeichnung in Betracht kommen, es gibt überhaupt nur eines: die Linie. Mit ihrer alleinigen Hilfe muß alles bestritten, jeder nur mögliche Efiekt beschworen werden. Sie kann schlicht oder reich, keusch oder verspielt, weich oder fest sein, schwungvoll oder kapriziös, klar oder geheimnisvoll. Souverän wird sie erst recht, wenn sie sich in die größte Einschränkung zurückgedrängt sieht, wenn sie nur Kontur sein darf, wenn die Umrißlinie nur eine geringe Binnenzeichnung einzuschließen hat. Da wird der Betrachter aber durch nichts abgelenkt, er bleibt im zwingenden Bannkreis der Linien gefangen. Hier schält die Linie das Charakteristische des Dinges heraus, es bekommt ein „Profil“. (Die Nazarener zeichneten so keusch und durchsichtig, daß ihre Darstellung jede Erdenschwere ' verlor, daß alles ätherisch anmutet.) Freilich ist für die Kunst des Zeichnens eine geniale Begabung nötig. Sie zu beherrschen ist ja Grundlage für jede andere graphische Tätigkeit. Ingres, der bedeutende französische Meister, soll einmal gesagt haben, die Zeichnung sei das gute Gewissen der Malerei. Mit dieser ebenso zutreffenden wie schönen Feststellung wollte er wohl ausdrücken, daß wer gut zeichnen könne, ob der später auszuführenden Malerei beruhigt schlafen kann, da sie unmöglich mehr schlecht ausfallen wird. Die fundamentale Wichtigkeit und Unerläßlichkeit der durch Ingres so eigenartig formulierten Forderung, die Zeichnung als das Primäre anzusehen; ist bisher wohl kaum ernstlich bestritten worden.

Die Handzeichnung kann bloße Skizze sein oder ein Dasein um ihrer selbst willen als selbständiges Kunstwerk führen. Dem intimen Reiz, der gerade von Skizzen ausgeht, werden sich besonders gern die Studierenden und jene hingeben, die sich, dem Entstehungsprozeß nachspürend, gewaltige Entdeckerfreuden zu verschaffen wissen. Zwischen der Skizze und der ausgefeilten Handzeichnung steht die Vorzeichnung, die sich, wenn sie zum Beispiel für einen nachher auszuführenden Kupferstich dienen soll, mehr der letzteren nähert. Die Handzeichnung, die als Kunstwerk für sich gelten will, ist gekennzeichnet durch die Bemühung, mit den schmalen Mitteln, die bereit stehen, die meisten Tonwerte zu erzielen, was unter Umständen einem Malen ohne Farbe gleichkommt. Bei der richtigen Handzeichnung wird auch dem geringsten Detail des Darzustellenden Beachtung geschenkt. Wenn die Skizze zum

Mitdenken zwingt und ein nicht geringer Anteil an ihrem Reiz dem zuzumessen ist, was sie weglast, so sagt die vollendete Handzeichnung bereits alles aus und ist reich in der Aufwendung verschieden intensiver Linien. Sie wird darum auch eine Mehrzahl von Betrachtern anlocken und den Beifall größerer Massen finden.

Die Zeichnung wählt sich gerne die Natur zum Gegenstande ihrer Darstellung. Hat sich der Stift innerhalb ihrer Grenzen stets an alles gewagt, so machte er sich mit besonderer Leidenschaft an das menschliche Antlitz heran. Und wie großartig ist es diesem dürftigen Instrument oft gelungen, tiefste Seelengründe aufzuschließen! Aber auch alles andere im Bereich der Allmutter war dem Zeichner stets willkommen. Daß die Bauwerke mit dem Zeichenstift festgehalten wurden und werden, ist selbstverständlich. (Diese Feststellung sei benützt, um darauf hinzuweisen, daß unter einer „Architekturzeichnung“ streng genommen keine Handzeichnung im üblichen Sinne zu verstehen ist.) In die Bezirke des Geistigen fällt die Illustration, die ja sozusagen ein Zeichnen aus einer inneren Schau heraus ist. Freilich ist auch bei ihr die vorherig gründlich erfolgte Beobachtung der Natur die Voraussetzung gewesen. Die Illustration verdankt ihre Entstehung zumeist einer literarischen Anregung. Es gibt aber auch Zeichnungen, die das Ergebnis einer phantastischen, intuitiven Eingebung sind. Ihnen zu folgen, heißt gewöhnlich, sich auf irrationales Gebiet zu begeben.

Die Handzeichnungen der größten und großen Meister zählen zu den Kleinodien jedes Kulturvolkes. Es ist selbstverständlich, daß die Kabinette in aller Welt jene Blätter wie einen kostbaren Schatz hüten, welche die begnadete Handschrift zum Beispiel Rembrandts oder die berühmte Signatur Dürers aufweisen. An diese schier unübertrefflichen Ingenien schließt sich eine kaum übersehbare Reihe wahrhaft rühmenswerter Künstler an, die“ auch im Zeichenstift jenes Mittel sahen, sich aufs beste auszudrücken. Sie alle nur zu nennen, würde viel Raum beanspruchen, und so sei nur mehr „der kleine Menzel“ erwähnt, der doch viele andere groß überragt, ferner Carstens, Cornelius, Overbeck und alle anderen Nazarener samt dem Steiermärker T u n n e r, Genelli, Schwind, Richter,

Kriehuber und Rudolf von Alt. Noch leben unter uns sehr bedeutende Künstler, die der Zeichenkunst, die auch eine holde genannt werden könnte, huldigen, weil ihnen der ihr innewohnende Lyrismus zusagt und weil ihnen, so paradox dies hier klingt, zugleich die straffen Zügel der Zucht auferlegt sind. Mögen sie unter der Jugend viele Nachfolger finden.

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