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Hochschulen in der Zeitströmung

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Man warf den Professoren anläßlich -der Inaügurationsfeier vor, daß sie nur „erstarrte Würde“ zur Schau getragen hätten. Da ich zu den „Erstarrten“ gehöre (obwohl ich hart daran war, diese Erstarrung meinerseits zu lösen und der „revolutionär gesinnten Jugend“ zu erwidern), möchte ich zunächst feststellen, daß jede Institution Feste feiern kann, wie es ihr beliebt, wenn es im Rahmen der gesetzlichen Normen erfolgt. Ja — im Rahmen dieser!

Um so mehr gilt dies wohl für die Universität, zu deren Feier -als Gäste nicht nur der Bundespräsident, unser Staatsoberhaupt, sondern auch Vertreter des Diplomatischen Korps, also Ausländer, zählten. Daß zu Feiern ein feierlicher Rahmen gehört, ist wohl nichts Außergewöhnliches, wozu auch eine historische Tracht paßt, eine Sitte, die übrigens jeder Verein gerne handhabt. Darum sind historische Kostüme kein Ärgernis, ebensowenig wie ein wissenschaftlicher Vortrag auf akademischem Boden und sei es, daß er — o Schreck! — das alte Griechenland zum Gegenstand hat. Wohl aber ist es ein Ärgernis, wenn eine grölende und schreiende Gruppe diese Feier zu zerstören sich bemüht, weil ihr zum Beispiel die Tatare nicht passen! Vielleicht gefällt andern manch unsoignierte, provokatorische Kleidung auch nicht.

Es wurde — vielleicht nicht ganz mit. Unrecht — bemerkt, daß von seiten der Professoren in keiner Weise reagiert worden ist. Vielleicht nach dem Motto, um es ein wenig wienerisch-vulgär auszudrücken und damit dem Geschmack des Zeitgeistes mehr Rechnung tragend: „Nicht einmal ignorieren!“ Wäre eine Reaktion erfolgt, so hätte es nur eine geben -dürfen: nämlich die randalierende Jugend zu fragen, ob sie sich als akademische Bürger fühle oder was sollte sonst dieses Vor-pubertäts- verhalten. Es wäre besser, die — wohl sehr berechtigten — Minderwertigkeitsgefühle anderswo abzu- reagieren; und an Kulturrevolutionen sei Österreich uninteressiert! So und ähnlich. Es hätte aber ebenso an die andere Adresse die Frage gerichtet werden müssen, ob der dauernde Kotau vor der Jugend immer gan-z glücklich sei, es sei denn, man verfolge damit ein Ziel?

Aber all dies ist letzten Endes nicht entscheidend; man fragte weiter, ob es denn den Professoren noch nicht klar geworden sei, daß heute nicht nur Studenten Provokationen setzen; weiter heißt es, daß sie, die Professoren, ein bißchen darüber nachdanken sollten, „wie der hohle 1 Kult mit alten Amtstrachten, wie diese inhaltslose Würde auf jeden fortschrittlich denkenden Menschen wirken“ muß, nicht nur „auf revolutionär gesinnte Studenten“.

Ja, dort, wo nur „hohler Kult“ und i „inhaltlose Würde“ vorherrschen, ist es schlimm. Es gibt aber noch anderes: nämlich die Erkenntnis, daß die Universität seit langem Gegenstand eines Ressentiments ist. Sprechen wir es offen aus: auch die sogenannte Fortschrittlichkeit ist sehr oft nichts anderes als Ausdruck wieder eines Ressentiments, dem sich die Publizistik allzu willig unterwirft.

Gewiß — und dies habe ich persönlich immer so gehalten: „Wissenschaft, auch die Geistes Wissenschaft, darf nicht im luftleeren Raume hängen; sie muß gelebt werden, denn sonst ist sie ein Hobby und unterscheidet sich nicht vom Markensammeln.“ Der Hochschullehrer, dessen Pflichten ich nicht hoch genug ansetzen kann, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, seinen Hörern ein Vorbild zu sein und ihnen ein der Wissenschaft würdiges Leben vorzuleben. Er hat weiter das Wesen seines Faches in seinen Vorlesungen, die, von nötigen Übungen abgesehen, ein Erlebnis für den Hörer sein müssen, zu vermit-

teln und nicht Details, die aus Lehrbüchern ebensogut bezogen werden können. Er hat aber dann umgekehrt ein Anrecht auf Autorität, denn die Welt ist hierarchisch strukturiert. Man kann eine Hierarchie zerstören, aber es wird sich sehr bald eine andere, neue Hierarchie herauskristallisieren.

Was soll also das turbulente Verhalten und das hysterische Geschrei „zarter Mädchen“? Was bedeuten die Studentenkrawalle auf der ganzen Welt? Selbst dort, wo die Olympiade — ein Fest der Jugend — statt- findet? Keiner Jugend ist es — zumindest in den westlichen Ländern — materiell so gut gegangen wie dieser. Wir ahnen hier das Goethe- Wort • vom schwer Ertragenkönnen einer „Reihe von schönen Tagen“. Es geht also nicht um Lehrstühle, Stipendien und Raumnot, es geht nicht um materielle Mittel, zumindest ist dies nicht vordringlich.

Man sage nicht, es erbebe sich ohnehin nur ein kleiner Bruchteil der studierenden Jugend und greife zu Gewaltmitteln. Ja, die Schreier sind ein kleiner Bruchteil, aber erstens zieht dieser radikale Teil andere mit — man denke bloß an die Mai-Wochen in Frankreich — und zweitens wird auch sonst ziemlich lautstark Kritik geübt Das heißt mit anderen Worten: hinter der ganzen Situation steckt Tieferes. Mögen bei den studentischen Erhebungen chinesische Kulturrevolutionäre oder Marcuse-Gedaniken die Unruhen begünstigt, ja, gelenkt haben, mag es der Jugend selbst bewußt oder unbewußt sein: sie will nicht nur den Wohlstand, obgleich sie ihn schamlos ausnützt. So im Westen. Geistig-seelisch verwildert sie in einem Vakuum, in das alles Negative einströmen kann. Vermag eine führende Generation ihrer Jugend geistig-seelisch nichts zu bieten, so lebt sie sich aus mit ihren ungebrochenen Kräften auf der negativen Seite des Koordinatensystems. Im Osten ist das vordringliche Verlangen Freiheit —

Immer strebte die Jugend nach Neuem, nach Änderung, immer war sie in irgendeiner Weise „revolutionär“. Sie ist es heute um so mehr, da unser Jahrhundert historisch gleichsam die Aufgabe hat, die alten Formen zu zerbrechen, chaotische Zustände heraufbeschwörend, als vollstrecke es das Gesetz der Entropie. Die beute so oft zu beobachtende Neigung der Jugend zum „Verwahr- lostsein“, zum Gammlertum in all seinen Schattierungen ist nur Ausdruck jener historisch bedingten Tendenz zur Formlosigkeit, so wie es die allgemeine Neigung zur „Pluralität“, zur Schranken- und Grenzenlosigkeit auf allen Gebieten ist. Der Wunsch nach Aufhebung jeglicher Autorität gehört ebenso hierher, wie es jener ist, der den Staat eliminieren möchte. Analoge form-

zeibrechende Tendenzen lassen sich zum Beispiel auch im Kunstschaffen beobachten.

Man sage nicht, es wäre immer so gewesen; wohl neigte die Jugend 6tets zum „Revolutionären“, aber spannungsärmere Zeiten haben lange nicht diese Ausmaße.

Autoritäre Regime vermögen derlei Strömungen besser Herr zu werden, doch es ist „gepreßte Form“.

Wenn wir auf der andern Seite als eigentliche Forderung des Jahrhunderts die Synthese wahrnehmen, so bedeutet dies nur einen Schritt weiter in der Entwicklung: es bilden sich bereits wieder Ordnungen, wieder gestuft. Wir sehen wissenschaftliche, politische, wirtschaftliche „Großräume“.

Zurück zu den Hochschulen: der Wunsch, die Fakultäten und Institute zu zerschlagen, die Autorität abzubauen bei Vorlesungen und Prüfungen, die traditionsfeindliche Haltung auf der ganzen Linie sind nur Manifestationen der eben skizzierten auflösenden Strömung, empfunden als ein Ressentiment den „Höheren“ gegenüber, sich auf der gleichen Ebene bewegend wie gesellschaftliche oder rassische Inferdori- tätsgefüfale. Der Haß der sogenannten Unterentwickelten oder der sonst nicht genug „Anerkannten“ geht parallel mit einer unzufriedenen, weil scheinbar nicht genug estimier- ten Gruppe im akademischen Bereich.

Wir sehen deutlich Auflösungs- tendenaen und synthetische Neuorientierungen. Wir sehen eine weltweite Erhebung und Auflehnung der akademischen Jugend. Was sich bei letzterer bewußt oder unbewußt abspielt ist für das Phänomen selbst belanglos. Diese Ablehnung gegen das sogenannte Establishment (im Westen) oder gegen die Freiheits- besichneidung (im Osten) ist im Tiefsten eine Ablehnung gegen die Macht des Materialismus, die Welt des Geldes, die Welt der Sättigung; gegen die Werte auch eines „historischen Materialismus“.

Die Zivilisation (im Westen) ist in ©ine kritische Phase gelangt

Umgekehrt ttfH aber jede Jugcrtd Autorität — nür -Muß Aütorit'ätoetäft und wahr sein, zumindest in ihrem überwiegenden Teil. Die Jugend ist das brisanteste Glied in einer Gesellschaftsordnung. Wenn hier — aus den verschiedensten Gründen — schwere Störungen vorliegen, so wird es selbstverständlich die Jugend zuerst anzeigen, eben als das elementarste Glied der Gemeinschaft.

Vielleicht müßte man im Bereich der Hochschulen die studierende Jugend aufspalten in kleine Gruppen, also gerade die Institute aufwerten. Hier könnten auch die Assistenten eine wesentliche Rolle spielen, Diese sind keine „Sklaven“ ihres Vorstands, das heißt, sie sind nicht verpflichtet, ihm Vorlesungen und wissenschaftliche Arbeiten zusammenzustellen, sehr wohl aber sind sie verpflichtet, das Institut und die Studierenden mitzubetreuen. Dafür werden sie vom Staat bezahlt und nicht für ein Privatgetehrtentum.

Hohe Schule ist nur das, was keinen Zwang verträgt, auf keiner Seite. Darum ist auch das Departmentsystem für unsere Hochschulen abzulehnen, denn hier sind weder Lehrer noch Studierende in Forschung und Lehre wirklich frei, sondern sie werden reglementiert, so, wie sie durch Studienpläne reglementiert werden. Nur ein nicht „gegängelter“ Hörer ist hochschulreif; einige einführende Schritte vom Assistenten oder Institutsvorstand und dann muß er frei schwimmen. Weiter müßte man aus den philosophischen Fakultäten das Lehramt herausbrechen — es gehört in eigene pädagogische Anstalten, wo ja ohne weiteres auch Hochschullehrer unterrichten könnten.

Das wären vielleicht Versuche,

manches zu verbessern

Die nächsten Jahre werden es zeigen, ob die alten Formen noch so viel Leben haben — auf allen Gebieten, nicht nur auf den Hochschulen —, um den umorientierenden Tendenzen der Zeit zu widerstehen. Provozierende Aggression bis zur Diskussion werden gegen das Traditionsverbundene zu Felde ziehen . und an den alten Mauern rütteln — doch „keine Zeit und keine Macht zerstückelt geprägte Form, die lebend sich entwickelt“.

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