"Im Saal von Alastalo" von Volter Kilpi: Ein Buch, das übersehen worden ist

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Volter Kilpi wurde auf eine Ebene mit Joyce und Proust gestellt, dennoch dauerte es fast neunzig Jahre, bis sein fulminanter Roman in deutscher Übersetzung erschien.

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Volter Kilpi wurde auf eine Ebene mit Joyce und Proust gestellt, dennoch dauerte es fast neunzig Jahre, bis sein fulminanter Roman in deutscher Übersetzung erschien.

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Er hatte einfach Pech. Gewiss gehört er zu den bedeutendsten Schriftstellern, die im 20. Jahrhundert in Europa arbeiteten, aber sein Name ist weitgehend unbekannt geblieben. Das liegt daran, dass er auf Finnisch geschrieben hat und Literatur aus Randgebieten, noch dazu in schwer zugänglichen Sprachen verfasst, gern übersehen wird. Ein Finne, der Weltliteratur liefert, ist schwer vermittelbar, und so scheren sich auch die Verlage wenig darum, in Übersetzungskosten für Bücher, die kaum Profit abwerfen werden, zu investieren. Volter Kilpi (1874–1939) half es wenig, auf eine Ebene mit Joyce und Proust gestellt zu werden. Es dauerte fast neunzig Jahre, bis der fulminante Roman „Im Saal von Alastalo“ auf Deutsch gelesen werden kann.

Er hatte einfach Glück. In jüngeren Jahren war Kilpi als Verfasser symbolistisch geprägter Prosa in Erscheinung getreten. Er arbeitete als Bibliothekar, war deshalb finanziell unabhängig und ließ nach seinen frühen Erfolgen dreißig Jahre lang nichts von sich hören. Dann meldete er sich bei seinem Verleger, dem er ein Mammutprojekt ankündigte. Dieser zeigte sich ihm gewogen, erkannte nach Lektüre des gewaltigen Romans die Qualität des Textes und ließ sich von einer Veröffentlichung nicht abschrecken – im Bewusstsein, dass er die Öffentlichkeit über eine hartgesottene Leserschaft hinaus nicht erreichen würde. Nicht nur waren Stil, Anlage und Form eine Herausforderung für die Leser – immerhin waren derart komplexe, in die Länge gezogene Sätze in der finnischen Literatur bislang nicht zu finden.

Die thematische Selbstbeschränkung konnte obendrein abschreckend wirken. Dargestellt werden sechs Stunden eines Oktobertages des Jahres 1866 in der finnischen Provinz, an dem eine Handvoll reicher Männer Beratungen um die Finanzierung eines Schiffes führt. Fast hundert Seiten nimmt das dritte Kapitel ein, in dem folgendes geschieht: „Härkäniemi sucht sich an Alastalos Pfeifenregal eine Pfeife aus und macht sich zum Zeitvertreib allerlei Gedanken.“ Das wäre tatsächlich etwas langatmig, wenn es nicht auf die Innenwelt der Figuren ankäme, in denen die heftigsten Konflikte und Erinnerungen toben. Auf diese Weise entwickelt sich das reiche Porträt einer Gesellschaft.

Stefan Moster ist es zu verdanken, dass er die immense Übersetzungsarbeit auf sich genommen und Schwierigkeiten in Kauf genommen hat. Nach dem ersten Durchgang stellte er fest, dass 1500 offene Fragen über Wörter und Wendungen geblieben waren, die er zum Teil erst im finnischen Dialektarchiv klären konnte. Ein vergessener Text der literarischen Moderne ist nun ganz neu zu entdecken!

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