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Joseph Haydns „Schöpfung“

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Es hat uns das ausgehende 19. Jahrhundert die Programmusik geschenkt: die .nachzeichnende Gebärde auf dem Klanggrund romantischer Instrumentation, einen Höchststand von Ausdrucksbefähigung, der unüberbietbar schien. Aus Liszts viel zu wenig gewürdigten Symphonischen Dichtungen — seine klavieristischen Charakterzeichnungen, deren Vorfahren bei Schumann zu suchen sind, können hier unberücksichtigt bleiben

— entsteigt das Feuer der Don Juans, Don Quichottes, der Till Eulenspiegel. Mit Richard Strauß, der das schildernde Orchester Richard Wagners in seinen eigenen, ihm spezifischen Klangstil umgießt, wird ein neuer Höhepunkt „beschreibender“ Musik erreicht. Von der Vorschrift der Pastorale „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ hatte man sich allerdings gründlichst entfernt, man wollte anders und setzte es durch, von vielen bereits wieder vergessenen Zeitgenossen begleitet.

Darauf folgt eine gegensätzliche Steigerung: Impressionismus und Expressionismus. Die musikalische Kunst des „Eindrucks“ und jene des „Ausdrucks“ tragen mit frischem Wind neue Kräfte heran. Und wieder erwacht anderes Wollen: höchste Sachlichkeit auf der einen und stärksten Ausdruckswillen auf der anderen mit sich führend. „Neue Musik“ klingt auf, Rhythmus, Melodie und Zusammenklang haben sich neue Gesetze gefunden.

In dieser Musik, der Kunst unserer Tage, hat man sich also vom geschilderten Anfang, der eigentlich schon eine Mitte bedeutet, wesentlich entfernt, dennoch sind Zusammenhänge und weiter zurūękreichende Wurzeln deutlich sichtbar.

Im April dieses Jahres feiert die „Schöpfung“ von Joseph Haydn ihren 150. Geburtstag. Am 6. April 1798 war sie vollendet, dies wurde am genannten Tage Fürst Joseph zu Schwarzenberg berichtet, und am 29. und 30. April fand die Uraufführung statt. Sie bescherte Haydn große Ehre und auch materiellen Gewinn. Am 27. März waren es aber auch gleichzeitig 140 Jahre, daß Haydn im Festsaal der alten Universität sein Werk hörte und dabei zum letztenmal in der Öffentlichkeit erschien. Die näheren Umstände sind in jeder Haydn-Biographie nachzulesen, uns mag bei diesem Gedächtnis vor allem interessieren, welche Elemente in der „Schöpfung“' ihr diese lange „Gesundheit“ beschert haben.

Man spricht an Gedenktagen gewöhnlich von der Vergangenheit, was damals geschah, was geredet wurde und wie man feierte. Man wiederholt dabei sattsam bekannte Einzelheiten, verträumt sich in Gewesenes und vergißt, daß es eigentlich gegenwärtig ist. Musik kann in stärkstem Maß gegenwärtig sein, weil sie ja kraft ihrer Eigenheit unter vollständiger Umgehung gedanklich begrifflicher „Krücken“ unmittelbar aufs Gemüt wirkt. 'f Sie ergreift, erhebt, erfreut und ist so eine wertvolle Seelenfreundin des Menschen.

Nun wird jeder Musikfreund bestätigen, daß unser Jubilar, die „Schöpfung“, heute noch unmittelbar ergreift. Trotz aller Ismen, Konstruktionen, neuen Musiken und exotischen Einflüssen, wirkt dieses Oratorium mit unverminderter Frische.

Feiern wir ein 150jähriges Jubiläum einmal damit, daß wir fragen, was denn in dieser Musik „modern“, „zeitnah" ist. Nicht im damaligen, vergangenen Sinn — das würde wieder zu historischen, gelehrten Erwägungen führen —, sondern buchstäblich im heutigen Sinn. Dabei sei dem Begriff „zeitnah“ die Definition unterlegt, daß er sagen will: diese damit bezeichnete Kunst trage Kräfte in sich, die auch den heutigen Mensche ; noch ansprechen. Das sei ganz allgemein gedacht und ohne irgendeine sachliche Einschränkung. „Zeitnah“ ist also etwas, das dem Menschen Werte schenkt,

die er auch heute noch bereit ist, entgegenzunehmen, selbst wenn das äußere Gewand nicht der „letzten Mode“ entspricht. Aber gerade unsere Tage mit der wieder erwachten Vorliebe für alte Formen haben hier Gelegenheit, nicht engherzig zu sein und somit die Möglichkeit, neue Gedanken in alten, aber neugebauten Formen zu sagen oder Altes überhaupt neu zu fassen.

Damit wird man auch an Haydns „Schöpfung“ Züge bemerken, die trotz ihrer „Bejahrtheit“ jugendfrisch sind. Die Melodik birgt in ihrem klassischen Periodenbau, durch den sie sich zur Zeit ihrer Entstehung vorteilhaft vom italienischen Schema abhob, zahlreiche Überraschungen. Gerade heute, wo der Formwille zu kleinen und kleinsten Gebilden, aber auch zur Zusammenlegung solcher Elemente drängt, ist Haydn ein nicht zu verachtender Meister. Vom Ausdruck gar nicht zu reden, über den man noch am ehesten sagen wird, daß er den Stempel Wiener klassischer Vollendung auf der Stirne trägt. An der Chorbehandlung mag man rückschauende, barocke, Händelsche Züge feststellen, aber die Art, wie Haydn Solostimmen und Chor verflicht, wie er Wucht durch Anmut zu veredeln weiß, die ist zeitnah, selbst wenn man unserer Epoche mit Recht Anmutigkeit abspricht. Sie ist uns verlorengegangen, aber damit ist dieses 150jährige Oratorium wieder zukunftweisend. Daß Haydn auch die Kraft als Ausdruck metaphysischer Energie kannte, beweisen etliche der Chöre, zum Beispiel der Schluß, an dem das Wort vom gutmütigen „Papa Haydn" zuschanden wird.

Auch das Harmonische ist nicht immer so einfach, wie man es hinstellen könnte. In der Einleitung vor allem liegt gerade in den Zusammenklängen und in der Modulation zukunftweisende Genialität, die durch eine, dem ganzen Werk eignende, überraschende Instrumentation noch gehoben wird. Man staunt immer wieder von neuem, mit welcher Ökonomie, aber auch mit welcher Berechnung die einzelnen Instrumente von Haydn genützt wurden. Das „Chaos“ vollends hat man mit Recht als einen der Ausgangspunkte romantischer Instrumentalkunst bezeichnet. Unserer Gegenwart, die ja zum Teil die gleichen Absichten von Sparsamkeit, Durchsichtigkeit der Instrumentation und Klangmischung kennt, kann man das Studium der Partitur nicht genug empfehlen.

„Ja“, wird mancher sagen, „es ist ja doch ,alter“, vergangener Stil!“ Dieser Einwand wird aber entkräftet durch das Werk selbst, genauer gesagt durch den lebendigen Erfolg, den es immer noch hat. Zu einem guten Teil ruht diese währende Lebendigkeit in der unglaublich prägnanten Schilderungskraft. Haydn hat das Sechstagewerk Gottes, die einzelnen Schöpfungstage, mit ganz einfachen Mitteln in so deutlicher, dabei aber künstlerisch befriedigender Weise zum Ausdruck gebracht, daß man ihn als einen durchaus zeitnahen Meister bezeichnen muß. Spricht man doch auch bei manchem Komponisten unserer Tage von der „Sparsamkeit der Mittel“ und von „Intensität der Zeichnung". Damit ist auch Haydn vollkommen „neu“, nur ist er nicht so zerrissen, nicht so „fahrig“ wie manche andere Musik. Sonne, Mond und Sterne, Naturgewalten, Tiere, Blumen und selbst das Wasser in seinem verschiedenen Vorkommen, alles wird dargestellt; zuletzt auch Würde und Dank des Menschen im Glück des Paradieses. Trotzdem wirkt keine dieser Stellen „kitschig“. Wenn schon jemandem Ablehnung notwendig erschiene, dann müßte man sagen: naiv. Aber es ist nicht Haydns Schuld, wenn wir es mit aller unser tech- nischen Gescheitheit verlernt haben, echt naiv zu sein, das heißt kindlich, aber nicht kindisch. Wir schämten uns vielleicht, wenn wir es könnten, und vergessen damit einen

Gutteil jener seelischen Elemente, die uns helfen würden, aus dem psychologischen Wirrwarr unserer Zivilisation herauszukommen. '

Haydn ist also „zeitnah“, vielleicht noch mehr, als manche glauben. Seine Natürlichkeit und Frische, denen wir in jedem Takt der Partitur begegnen, sind beneidenswerte Seeleneigenschaften, aus denen wir mehr schöpfen können, als aus so manchen grüblerischen Kompositionen, die uns zum Schluß doch unbefriedigt nach Hause gehen lassen. Wie sehr wir Natürlichkeit benötigen, braucht eigentlich nicht ausführlich geschildert zu werden. „Surrealismus“ zum Beispiel ist ein böses, überhebliches Wort. Man sagt: „über der Wirklichkeit stehend“ in einem anderen Ausdruck, um den Begriff des Metaphysischen, der doch immer irgendwie mit Gott verknüpft ist, aus dem Weg zu gehen, dęnn Gott, ein unbequemer Zeuge für mancherlei, auch künstlerische „Verirrungen“,

soll möglichst ausgeschaltet sein. Der Text der „Schöpfung" und mit ihm auch einzelne Teile der Komposition mußten sich schon zur Entstehungszeit Angriffe aus ästhetisdi- theoretischen Gründen gefallen lassen. Abgesehen davon, daß Geschmack verschieden sein kann, hat man eben auch auf diesen Seiten die einfache Natürlichkeit außer acht gelassen.

Vor 150 Jahren begannen die Kräfte aus Haydns „Schöpfung" zu wirken. Ihre Energie hat noch nicht abgenommen, mit allen Teilen ist sie noch immer ein gern gesehener Gast unserer Konzertsäle. Lauterkeit, Klarheit, Frohsinn und freudige Zuversicht bilden die vorzüglichsten _ Wesenselemente. Da wir nach all den Schicksalen der vergangenen Jahre solche Kräfte dringend brauchen, ist Joseph Haydns „Schöpfung" mehr denn je zeitnah, weil ihr Genius uns helfen kann. Dessen sollte man sich an diesem Geburtstag eindringlichst erinnern.

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