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KLEINES PROTOKOLL I

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Der Commissarius nächst dem Westbahnhofe Anseimus Bonifazius Christophorus Linckerhandt, auch von seinen „Spezis“ , das ist Duzfreunden, spaßhaft in sprachlichem Anklänge an Abe Linkoln Abe Linckhorn geheißen, saß im Polizeisekretariate, an den Polsterstuhl den anmaßend gewölbten Hinterleib geschmiegt, mit dem vom Bauch aufwärts sich sichtlich verringernden Oberkörper über den Schreibtisch entspannt, ein Blatt Papier wie ein flach gesessenes Käsestück vor sich appetitlich ausgestellt mit einem noch nicht vorgefaßten Inhalt. (Denn der Commissarius bestätigte sich ebensogern als Schöngeist wie in Rechtsbeflissenheit.) Auf dem Kopf, in den sich von massiger Struktur, Statur, Positur das Maß zuletzt verjüngte, saß wie ein Knoten ein Käppi, das er seiner Amtstracht anbequemte und das mit seinen abwärts strebenden Schnurrhaaren in Einklang gebracht, in ein Fragezeichen auslief, das einem sonst lebensbejahenden Corpus widerspruchsvoll aufgesetzt war.

Wie dem auch war, der Commissarius befand sich vorhanden im Polsterstuhl, zeigte durch Bewegung Leben und durch Reibung Gedanken und bewies so im höheren cartesi-schen Sinn die Existenz des Staatsgedankens im physischen sowohl als symbolischen Sinne.

Das Blatt Papier, dessen Vorhandensein vielleicht nur von ihm aus vorlag, aber darüber hinaus im staatserhaltenden Belange dagewesen sein würde, wäre ihm eine einschlägige Beschreibung zuteil geworden, oder im schöngeistigen Sinne, also fiktiv im Falle seiner Bestimmung zu solcher Produktion, blieb weiter blaß und unbezweckt bis zum Eintritt des rüstigen Kutschers Greiffzeug, der sein Gefährt nächst dem Westbahnhofe aufzustellen gewohnt war und der von dem amtsbekannten glaubwürdigen Zeugen Fascheit und einem langaufgeschossenen knabenhaften Herrn mit übertriebenen Adamsapfel, schlotternden, wenn auch nicht unguten Kleidern gefolgt war, der hie und da mit Wörtern einer fremden Sprache hin- und herwarf, die sich bei näherer Überprüfung als französisch herausstellten. Vorderhand allerdings blieb er noch ungehört: denn der Kutscher legte los, und der Zeuge legte zu.

Der Kutscher beschrieb seine Rappen, welche keine waren, aber Mischpferde, wenn sie auch gerne Hafer fraßen, so oft sie welchen bekamen, sich auch trotzdem, wenn auch widerwillig, mit dem Gehäcksel zufriedengaben, das statt dessen dieser ihr Ernährer ihnen verabreichte. Er nannte diese Karrentiere herb, das ist zügig, wiewohl sie nur langsam zogen wie einer, der dafür nicht das bekommt, was er sich vorstellt oder was bedungen ist. Er zeichnete sein Fahrzeug samt Kutsche in die Luft, und, obgleich er schlecht zeichnete und die Luft sein Ansinnen nicht festhielt, sollte es nach seinem Anschlage etwas Großartiges sein wie das Zaubergefährt, mit dem das Aschenbrödel ihrem zukünftigen Prinzgemahl vorgefahren kam, und zeigte auch zum Schluß mit ausladender Geste auf seinen Fahrgast, nämlich eben den Herrn mit Adamsapfel, welchen er offenbar tief unter das Aschenbrödel absetzte und dessen gallischen Akzent er tonmalend dem Lallen eines Kindes anglich.

Dieser aber, von höherem, wenn auch zarterem Wuchs als sein gedrungener stämmiger Widersacher, hatte scheinbar alles vom Kutscher Vorgebrachte und noch Vorbehaltene erfaßt, wenngleich es den Gegenstand nicht erschöpfte, und warf in richtigem und beinahe nicht andersfarbigem Deutsch das Wort „Er lügt ein und war dann auch noch dabei, was dem bereits vorangeschickten Gebärdenspiel entnommen werden darf, „und stiehlt hinzuzusetzen, als der Zeuge Fascheit diesen angebahnten Vorwurf überschrie und das zum Teil ausgedrückte, zum Teil noch verschwiegene Vorbringen des Kutschers verdeutlichte beziehungsweise in Worte umsetzte.

Fascheit war nämlich, wie er sagte, gegenwärtig, als besagter Franzose den Kutscher aufnahm. Jener habe, nicht wahr, etwas schäbig dreingesehen, und man würde bei ihm als Fahrhabe nichts anderes als ein verschnürtes Paket als feststellbar auffinden können, das neben ihm auf dem Kutschbock gelegen sei. Denn dieser Fahrgast sei entgegen Ortsgepflogenheit und städtischer Überlieferung darauf bestanden, bockoben zu fahren statt gästehinterteilunten, und dies nicht etwa deshalb, weil, wie besagter Franzose vielleicht behaupten könnte, zwei ihm gehörige aus Mittermitteln angeschaffte und vollgefüllte Koffer statt seiner im Karreninneren zur Schonung aufgestellt werden sollten, sondern vielmehr, weil er, obwohl gepäcksbedürftig, so doch auch lufthungrig, zur Beschauung der Wienerstadt einen Hochsitz anstrebte, von dem aus er seinen Adamsapfel besser den Unbilden der Witterung aussetzen könne,..penn e(s. regnete, nebelte, nieselte, staubte und schwemmte an jenem Tag, eines das andere abwechselnd, geradezu erbärmlich, und da“ Wageninnere wäre besser beschaffen gewesen, fremdländische Kehlen vor einheimischen klimatischen Störungen zu schützen, wenngleich der Fremde, der keinen Koffer gehabt habe, vielleicht behaupten würde, es seien ihm deren zwei samt Inhalt abhanden gekommen. So etwa scheine er wenigstens geradebrecht zu haben, wiewohl er, Fascheit, richtig beeiden könne, daß der Fremde nichts Kofferähnliches gehabt, lediglich ein Paket zur Verhüllung seines dringenden Bedarfs, das bei einer gewöhnlichen Wendung des Fahrzeuges durch Luftzug fortgeweht worden.

Hier wollte sich der Fremde abermals melden, um seine Empörung durch Ubersetzung in die ortsübliche Sprache abgeschwächt zum Ausdruck zu bringen. Allein seine Mißstimmung überholte seine Übersetzungskunst wie ein galoppierendes Roß einen Kutsohergaul, so daß sein Ausruf an der Grenze zwischen Fremd- und Amtssprache stecken blieb und lautete: „Ich war auch nicht im Wagen, dunkler Ehrn-mann, Bandit, couillon, Ihr salaud!

Der Wind, der diese Wörter dem Commissarius zutrug, war aber kein guter. Er trug ihm nicht gleich zu, daß der Fremde etwa meinte, man könne ihm ebensogut sein eigenes früheres Vorhandensein an Ort und Stelle wie das seiner Koffer dortselbst abstreiten. Das Wort „Bandit dagegen empfand er im amtlichen Bereich zweifellos als ungehörig. Ob er auch das Wort „Couillon ethymologisch oder übertragen als Benennung mit „Schmutzfink ergründete, bleibt ungeklärt. Als absolut schädliche Fehlleistung des Fremden mußte aber der Gebrauch des Wortes „salaud aufgefaßt werden, zumal er dieses zwecks Angleichung an das Deutsche wie „Salot aussprach, woran wiederum in gewissen Lokalbezirksdialekten auf dem Wiener Boden das Wort „Salat anklingt, welches dem Herrn Commissarius geläufig war. Eine solche Verwechslung hätte dem Fremden nicht unterlaufen dürfen, zumal das Wort „Salat in Französischen vorkommt, dort „salade heißt und annähernd dasselbe bedeutet wie im Deutschen, nur nicht in übertragener Bedeutung. Denn man spricht in Wien von einem Salat auch dann, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Auch hatte der Fremde außerdem den Fehler begangen, in seinem Zorne das Wort „vous der Ansprache Wörtlich mit „ihr statt richtig mit „Sie zu übersetzen so daß sich der Commissarius Linckerhandt mitbetroffen fühlen konnte. Sei es nun wie es sei, das heißt, bezog er diesen vermeintlichen Vorwurf auf seine Amtsführung, auf die allgemeinen oder bloß rechtlichen Verhältnisse in Österreich oder aber nahm er ihn nur schlechthin deshalb übel, weil er ihn nicht verstand, jedenfalls runzelte er die Stirn und bewegte die Braue, so daß jeder Eingeweihte wußte, dai3 dies nichts Angenehmes für den bedeute, der diese Veränderung im Gesichte des Commissarius veranlaßt oder angeregt hatte.

Aber bevor er zu einem Ergebnis in einem noch nicht eingeleiteten Verfahren kam oder dieses einem solchen zuführte oder mit dem bereits eingezogenen Daumen abbog, hatte er sich als Mann von Amt in der Gewalt, wie ein Droschkengaul die Vorrichtung vor dem Scheuen bestimmungsgemäß trägt, dawider mit keinem Auge blinzelt, noch mit dem Hufe kratzt, und er vergewisserte sich mit drei wie Sandkörner hingestreuten, aber doch mit Bedacht und Voraussicht vorgekehrten Worten, die an sich einen wichtigen Teil des österreichischen und nicht unwesentlichen des Weltproblems enthielten, inwieweit der im übrigen nicht danach aussehende Fremde eines unangenehmen überamtlichen oder außeramtlichen Einflusses teilhaftig sein könnte, wiewohl es nicht so schien, als ob dem so wäre. Und während der Commissarius in jenem Knoten, in den sich nach oben seine leibliche Fülle verjüngte, Erwägungen anstellte, wie er seine Frage stellen könne, daß sie weder Anstoß errege noch mißverstanden werde und daß er auch eine Antwort darauf erhalte, auf die er sich mit Recht verlassen dürfte, stiegen wie Blasen die Vorstellungen in diesen Knoten und sprengten ihn fast, wie das Schwert Alexanders des Großen den gordischen behandelt hatte, wiewohl der des Commissarius geordnet und nicht verwirrt war. Aber es drängten sich in diesen Knoten alle jene Bilder von Gestalten, die an der Rechtsfindung in Verwaltung und Justiz im Stillen teilnehmen, obwohl die Richter unabhängig sind und die Verwaltungsorgane nur offiziellen Weisungen zugänglich sein dürfen. Und am Schluß spürte er in dem Gefängnis seines Hirnes ein Beben wie von einer Erschütterung, denn es schüttelten sich darinnen unzählige Hände, des einen die des andern bis zu dem letzten, der auf vorgeschobenem Posten saß, wie in den Strom gestellte Versuchstiere, die auf Impulse reagieren, aber damals noch nicht unter Strom standen, weil dieser unentdeckt war, oder wie okkulte Geistersucher, die um einen Tisch versammelt Händedrücke austauschen, die allerdings bei dem letzten enden, der das Recht zu finden hat, so wie es die versammelten Geistergläubigen ihm vermittelt haben.

Und in diesem Augenblick, in dem der Commissarius Link-kerhandt in seinem Innern erwog, inwieweit er einer vorgefaßten Meinung Rechnung tragend einen noch nicht überprüften Fall erledigen könne, inwieweit ihn dabei Kräfte stören würden, die außerhalb des amtlichen Instanzenzuges unbekannt im Dunkeln lagen, nahm sein Gesicht zwischen Unrecht und Unrecht jene Verzweiflung an, die auch jene überkommen sollte, die den Abgrund täglich von gesetztem zum angewendeten Recht überspringen, nur daß sein Mienenspiel das Problem von der negativen Seite aus fühlte, ohne seines verneinenden Inhalts gewahr zu werden. Aber, da er sich voll bewußt war, diesen Fragenkreis theoretisch nie lösen zu können, suchte er eine solche Lösung zu dem einen für ihn gerade vorhandenen Fall,.nämlich“ ,für, den jenes Fremden, der ihm unsympathisch war und offenbar behaupten würde, ihm seien durch das strafbare Verschulden Einheimischer zwei Koffer abhanden gekommen. Und nach entsprechender Reibung in dem Knoten, auf dem sein Käppi saß, und der nicht nur die Zentrale seines Körpers und seiner Persönlichkeit, sondern darüber hinaus die Leitung eines ganzen Amtes enthielt, zuckte ein Blitz, der vielleicht zackig begann, dann aber durch Vernunft geradlinig gestreckt wurde, weder weitschweifig noch grell schien, sondern knapp und bündig war, dazu auch, wie es der Nähe der Entladung physikalisch ziemte, seinen eigenen Donner sogleich mitentlud, wobei dessen Lautstärke dem Umstand Rechnung trug, daß der Vorfall nicht im Freien, sondern in einem Amte zur Auslösung kam, und daß besagter Donner sohin auch artikuliert sein mußte, ja, zumal er immerhin einem Hirn entsprang, auch etwas zu bedeuten hatte, zuletzt sogar sehr viel mehr bedeutete als überhaupt beabsichtigt war, nämlich jene entscheidende Frage: „Kennen Sie menV

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