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Kunstbetrachtung in anderem Licht

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Im Chor der Kunstanschauungen unserer Zeit fehlt eine Stimme fast ganz. Es ist jene, welche mit einfachem Sinn in der Vervollkommnung das Ziel sieht und eindeutig das Gute anstrebt, ohne viele negative Vorzeichen, welche allerdings allem in dieser Welt anhaften. Diese Stimme ist berechtigt, gehört zu werden, auch wenn sie nur einer Minderheit gehören sollte. Doch kommt zu den Menschen, die solche Anschauungen bewußt vertreten, die große Zahl derer hinzu, welche sie unausgesprochen fühlen, nur still ihr geistiges Leben führen und nicht am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Es muß gesagt werden, daß viele den Ausweg aus quälenden Problemen nicht allein darin zu sehen vermögen, daß Not und Schuldverhaftetsein, der Druck eines Milieus oder die Macht des Körperlichen mit vollster Deutlichkeit und bis zur letzten Steigerung vorgebracht und so überwunden wird, sondern wünschen, daß schon im positiven Vorbild der Weg gezeigt wird. Wir brauchen die Kunst als Helferin zum Wahren, Guten und Schönen gerade deshalb, weil dieses so schwer zu erreichen und zu finden ist. Es ist bezeichnend, daß Darstellungen einer seelischen oder materiellen Not am wenigsten bei den Menschen gefunden werden, die selbst davon betroffen sind. Außerdem wird eine abschreckende Tendenz oft mißverstanden und gemeint, daß der Zustand verherrlicht werden soll, der in Wirklichkeit gegeißelt oder als Tatsache festgestellt wird. Das Ergebnis ist Ablehnung, weil d?m Kunstwerk meist die Aufgabe zugemessen wird, ein Ideal darzustellen. In der Kunst der Vergangenheit finden wir solche positive Vorbilder in religiösen wie in weltlichen Kunstwerken. Wie sich ein solches Streben im einzelnen ausdrückt, ist verschieden, ob in der allgemeinen Auffassung, im begeisternden, befreienden Schwung des Aufbaues oder in der Verinnerlichung nur eines einzelnen Antlitzes. Das Wesentliche ist, w.in der Betrachter aus der Ventricktheit der Welt herausgerissen und zu klaren Begriffen geführt wird.

Es soll nun versucht werden, den G e-gensatz zu charakterisieren, welcher zwischen manchem einfachen Menschen und der modernen Kunst, im besonderen der Malerei, besteht, weil sie manche seiner Forderungen nicht erfüllt. Die Begründung soll nicht in äußeren Ursachen gesucht werden, sondern in Momenten, die im Kunstwerk selbst liegen. Da die Gegenwartskunst keineswegs gleichartig ist, darf man keine allgemeinen Schlüsse ziehen Es können nur im einzelnen aufscheinende Probleme erörtert werden. Von den genannten Forderungen eine ist die nach gegenständlicher Darstellung. Der Mensch wünscht Antworten auf Fragen, Lösungen von Problemen, welche ihn selbst berühren, im Bilde aufgezeigt haben. Er will Ideale, welche er ahnt, eine Haltung und ersehnte Lebensformen, die er anstrebt, vom Künstler geklärt sehen. Aus dieser Vorstellung von den Aufgaben der Kunst ist es erklärlich, wenn eine naturnahe Darstellung verlangt wird, welche anschauliche Eindrücke vermittelt. Wenn gegenständliche Darstellungsweise verlangt wird, ist dies also durchaus nicht einer Einstellung zuzusdireiben, welche an der Materie haftet, denn Haltung und Lebensformen sind schöpferischen und nicht materiellen Ursprungs.

Andererseits steht es fest, daß Kunstwerke, in denen der äußeren Erscheinung keine große Beachtung gezollt wird, starke Wirkungen ausüben können. Denn ohne Zweifel haben Farbakkorde, rhythmische oder charakterisierende Linien, Flächen-aufteilungen und Ton abstuf ungen schon für sich die Fähigkeit, Stimmungen, innere Bewegungen oder Spannungep auszudrücken, also Wesenhaftes auszusagen. Das Ornament ist das Gebiet, wo es möglich ist, diese bildbauenden Elemente allin zu verwenden, da sie sich tatsächlich gegenüber einer naturalistischen Auffassung durchgesetzt haben. Denn der Allgemeinheit ist heute die Sprache des Ornaments verständlich, da sie leicht und sicher erkennt, ob dieses beispielsweise ernst, heiter, feierlich oder bizarr ist. Die eben erwähnten, man kann sagen absoluten Ausdrucksmittel wirken in guten, auch allgemein verstandenen Werken durch den Gegenstand hindurch, mit ihm in Einklang. Sie haben Anteil an der Gesamtwirkung, wehhe nicht allein durch den Ausdruck der Gestalten oder überhaupt des Gegenständlichen entsteht. Als Unterstützung der Darstellung werden sie meist als selbstverständlich hingenommen und. nur beachtet, wo sie herausfallen und stören. Es wäre tragisch, wenn zeitgenössische Künstler weg^n ihrer nicht geläufigen Aüsdrucksweise nicht verstanden werden, obwohl sie aussprechen, was die Zeit erfordert.

Ein anderes Verlangen ist das nach Schönheit. Dies ist ein Wort, das uns heute in Kunst und Kunstbetrachtung fremd geworden ist, vielleicht weil es früher zuviel gebraucht wurde. Es kann auch an Mißverständnissen liegen. Da darunter Verschiedenes verstanden wird Der Begriff kann sich auf das Dargestellte oder auf die Darstellungsweise beziehen. Er kann eine glatte Oberflächlichkeit, eine wirkliche Schönheit der Form oder eine von innen kommende Verklärung auch des Unschönen gemeint • sein. In ihrem Bestreben nach Wahrheit geht die moderne Kunst oft so weit, nur mehr das Häßliche zu sehen. Es liegt darin ein Verkennen der Stellung, welche der Schönheit in der Schöpfung zukommt. Sie hat ebenso wie die Wahrheit die Fähigkeit zu erschüttern, denn sie ist ja selber wahr. Der Wirkung in der Ausdruckssteigerung ist insoweit eine Grenze gesetzt, als der empfindende Betrachter einem solchen Werk nur mit Zurückhaltung gegenübertreten kann, während ein anderes, welches das Ergreifende nur andeutet und Vertiefung zuläßt, ebenso tief zu dringen vermag. In den Schriften großer Denker über Ästhetik ist vor allem bemerkenswert, daß hier der Anschauung, Schönheit sei nur eine Sache unseres persönlichen Geschmacks, die Meinung entgegentritt, daß sie ähnlich den hohen Begriffen der Wahrheit und des Guten zu achten sei und mit diesen in Zusammenhang steht (Theodor Haecker). Es scheint also eine Verbindung von Ethik und Ästhetik zu bestehen. In der ästhetischen Erziehung sieht Schiller ein Mittel, das für die Entwicklung des Menschen in allen Bereichen außerordentlich fördernd ist. Und wenn man solche Aussprüche beachtet wie den Rodins: „Die Kunst ist eine herrliche Erziehung zur Aufrichtigkeit“, wird man ein Ineinandergreifen der Gebiete erkennen.

Der Drang, völlig frei zu sein von Zwang und Bindung, von jedem System oder Dogma, hat es jedoch mit sich gebracht, daß die Kunst vielfach tendenzlos sein wollte. Doch der einfache Mensch kann eine Erhebung oder Belehrung, eine Mitteilung oder Erheiterung nicht missen. Denn er versteht nicht die selbstgewählte Beschränkung und sieht die Vollendung in einer Art Gesamtkunstwerk, in dem alles vereint ist, Idee, Gestalt und Leben. Außerdem ist es schwerer für ihn, in der Anschauung des Seienden schon die innewohnenden Probleme zu erkennen, als in der zugespitzten Steigerung einer sinnbildlichen oder dramatischen Darstellung.

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