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Mahlers „Unvollendete“

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Man weiß, daß sich der Symphoniker Gustav Mahler vor der Ueberschreitung der Neunzahl fürchtete. Aber schon seine IX. Symphonie wurde, nach der Meinung des bekannten Mahler-Freundes und Biographen Richard Specht, nicht „fettig“ ins Sinn der früheren Werke, speziell was die Instrumentierung betrifft. Mahler pflegte während der Proben jeden Takt, jede Stimme zu prüfen und trug immer neue Aenderungen in die Partitur ein, setzte neue Instrumente ein, ließ andere weg, bi$ der Klang genau jenem inneren Hörbild entsprach, das er sich von einer bestimmten Stelle gemacht hatte. „So souverän er die Orchesterpalette beiherrschte, so oft kam es vor, daß er auf den ersten Anhieb die innerlich gehörte Klangfarbe nicht traf.“ Soviel über die Neunte. Um wieviel mehr muß daher Mahlers X. Symphonie als unvollendet und, sagen wir es gleich, unvoüendbar gelten, deren fünf Sätze nur in Skizzen mit Instrumentationsandeutungen vorliegen. Das Faksimile dieses Manuskriptes wurde 1924 vom Zsolnay-Verlag veröffentlicht, und Ernst Krenek, assistiert von Franz Schalk und Alban Berg, richtete die ersten beiden Sätze zum Konzertgebrauch eio. In dieser Fassung wurde das Fragment mehrmals i Wien a-ufgeführt, zuletzt vor genau vier Jahren unter Rudolf Moralt (vergl. „Die Furche“ vom 9. April 1949).

Nun bescherte uns Charles F. Adler aus den USA in einem Konzert der Wiener Symphoniker tinter dem Titel „Uraufführung“ eine von Dr. Jockl und Alma Mahler-Werfel redigierte „Entgültige Fassung“ (sie!), die gegenüber der bekannten — wenn uns unser Gedächtnis nicht sehr tauscht — keine nennenswerten Unterschiede aufweist fein Vergleich der Parti, turen war leider nicht möglich). Sollte es sich hier etwa mehr ums „Entgeld“ als um Mahlers Erbe handeln? Gerade dieses Werk wäre denkbar ungeeignet dafür! Uebrigens hielt Richard Specht es für völlig unmöglich, „daß aus seinen stummen Zeichen ein anderer — und wäre er noch so innig vertraut mit Mahlers Geist und Wesen — die Partitur gestalte. Es wird ruhen bleiben... in Siegeln, die wohl zu entziffern, aber von keinem mehr zu sprechendem Ausdruck zu lösen sind“.

Kein Wort gegen diese beiden Teile: ein etwa 20 Minuten währendes Andante-Adiago mit seinem ganz verinnerlichten, verhaltenen Espressivo, den an Bruckner gemahnenden orgelartigcn Register-wechseln und einem kurzen Fünf-Minuten-Scherzo (Allegro moderato). Aber jede Aufführung dieser fragmentarischen Zehnten wirkt „eklektisch“, so lang man die übrigen, in jeder Hinsicht „vollendeten“ Mahler-Symphonien 1 bis VIII nicht öfter auf die Programme unserer Symphoniekonzerte setzt.

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