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Makabrer Alltag

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Der Alltag ist makaber": Dies wurde zum literarischen Grundprinzip des 1946 geborenen Schweizer Antiidyllikers E. Y. Meyer, der schlicht auf den Namen Peter getauft wurde. Er lehnt jedoch alles Schlichte schlichtweg ab und nahm das exotisch kingende „y" als Initiale. Kurzfristig Lehrer, wurde er mit dem frühen Roman „Trubscha-chen" (1973) so erfolgreich, daß er kündigte und seither als freier Schriftsteller lebt. Fleißig produziert er Romane, Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele, auch sarkastische Essaybände, „Das Zerbrechen der Welt" (1975) definiert die Perspektive des Autors kurz und bündig.

Bei den sieben „Wintergeschichten" - es geht kalt zu auf der Welt -stellt sich zuletzt heraus, daß es eigentlich sechs sind, denn „Eine Reise nach Sibirien" war ein utopischer Prolog. Der Mann, der zu Mittag das Haus verläßt und um sechs wieder zu Hause sein wollte, findet abends (im Epilog des Buches) „Eine Mondstadt" vor: alles versteinert. Verwunderlich, anekdotisch jedoch kein Wunder, weil er ja inzwischen Passagier der transsibirischen lüsenbahn war.

Wiederholt gibt es in diesen Geschichten banale Wirtshausbegegnungen, bei denen man-dem absolut Unbanalen begegnet: „Daß an der Sache etwas nicht stimmen konnte, fiel ihm erst ein", als er mit seinem Tisch - nachbarn - einem fremden Alten, der ihm bekannt vorgekommen war - im Bahnhof ankam und in den Zug stieg. Auch die „Bergfahrt", nämlich der Skiausflug eines Zahnarztes, kann zur unheimlichen Begegnung ausarten: „Am 22. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres" hat er um elf Uhr vormittags den letzten Patienten versorgt, treibt vergnügt Wintersport, doch gegen Abend (einmal geht's noch, sagt er sich) muß er den Zwei-ersitz auf der Seilbahn mit einem etwa Fünfundfünfzigjährigen teilen. „Der fährt ja wie ein Verrückter!", hatte der Bahnangestellte gesagt, und verrückt ist auch, was der Arzt dann mit dem Mann erlebt und, mit viel Glück, überlebt.

Und „Der Anhalter", den ein Vertreter - eher gegen seine sonstige Gepflogenheit - nicht mitgenommen hat, schlug brutal auf den Kofferraum des Weiterfahrenden. Eine Verbeulung? Nein, ein Loch hat der Wütende geschlagen, und darunter findet der Vertreter „eine blutige, abgetrennte Hand liegen, die einen großen, schweren Schlagring hielt". Der verhinderte Mörder liegt, verblutet, auf der Straße. Lauter Fakten, die sich als makaber erweisen. Entscheidend, daß sie alle packend zur Sprache kommen.

WINTERGESCHICHTEN

Von E. Y. Meyer. Amman Verlag, Zürich 1995. 128 Seilen, öS 2)1-

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