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Musikalische Aufgaben des Rundfunks

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Nicht nur in der Gegenwart, sondern im Laufe der gesamten Musikgeschichte hat sich gezeigt, daß äußere Ereignisse — selbst solche von welthistorischer Bedeutung — auf die Musik kaum einen nennenswerten Einfluß ausüben. Kriege und Revolutionen, Aufstieg und Zusammenbruch der Weltreiche werden von den Komponisten anscheinend kaum zur Kenntnis genommen. Man wird als Gegenbeispiele nicht jene wenigen Programmwerke oder Dedikationen anführen, die einen deutlichen Zeitbezug widerspiegeln. Denn nicht die Absicht und der Titel einer Komposition sind maßgebend, sondern ihr inneres Wesen, der Stil und die gesamte Struktur.

Eine um so größere Wirkung geht vom Publikum, von der Gesellschaft aus, für welche ein Köfnponist schreibt, sowohl was die äußere Form, die Besetzung, als auch den Stil der Werke betrifft. Andere Zeiten rufen andere Gesellschaftsschichten mit neuen, geänderten künstlerischen Bedürfnissen auf den Plan, denen sich auch die Komponisten anpassen. Immer schon hat es musikalische Werke gegeben, die einen bestimmten funktioneilen Zweck zu erfüllen hatten. Man denke nur an das weite Gebiet der Musica sacra, an die Schauspielmusiken der Antike und des Mittelalters, die prunkvollen Kompositionen für festliche Aufzüge, Maskeraden, Hoffeste und Opernaufführungen im 17. und 18. Jahrhundert. Selbst der technische Schwierigkeitsgrad paßt sich den jeweiligen Erfordernissen oder Gegebenheiten an (Haydns Symphonien, Bachs Brandenburgische Konzerte, einzelne Instrumentalwerke des 19. Jahrhunderts, die Männerchorliteratur der gleichen Zeit, Kammermusikwerke in den merkwürdigsten Besetzungen, Schul- und Jugendmusikwerke usw.).

Damit scheint erwiesen, daß sich auch der größte, seinem Genius voll verantwortliche Komponist die Frage stellt: für wen schreibe ich meine Musik? Die Beantwortung dieser Frage ist für den zeitgenössischen Komponisten um so brennender, da unsere Konzertsäle — mehr als in vergangenen Jahrhunderten — musikalische Museen geworden sind, in weidien man den zeitgenössischen Komponisten als Eindringling empfindet und, die’ in wenig verantwortungsbewußter Form auch offen ausspricht.

Es ist daher begreiflich, daß der junge Komponist nach anderen Möglichkeiten der Verbreitung seiner Musik Ausschau hält, zumal der weitaus größte Teil der aufgeführten Musik heute nicht mehr in den Konzertsälen, sondern im Radio, von Schall- platten und im Film erklingt. Die neuen Möglichkeiten, die hiedurch den zeitgenössischen Komponisten geboten sind, untersucht — zunächst mit dem Blick auf die neue Welt — ein amerikanisdier Komponist und Musikschriftsteller in einem sehr anregenden, klaren und klugen Buch.

Durch das Radio hat auch der ernste Komponist die Möglichkeit, mit Millionen neuer Hörer in Kontakt zu kommen, die — meint Copland — ein völlig unbefangenes Publikum darstellen und die ihnen aus dem Lautsprecher emgegentönende Musik lediglich danach beurteilen, ob sie ihnen gefällt oder nicht. Da der Erfolg und damit die Einnahmen einer Rundfunkgesellschaft zum großen Teil von ihrem Musikprogramm abhängig sind, ergeben sich hier fast unbeschränkte Möglichkeiten zur Förderung des zeitgenössischen Schaffens.

Wohl versicherten sich die großen Radiogesellschaften der besten Orchester und Solisten, an den ernsten Komponisten denkt man aber nur ab und zu, etwa in der Form von Preisausschreiben, Aufträgen für eine bestimmte Aufführung, Neueinrichtungen (die in Amerika sehr beliebt sind) oder Begleitmusik zu Hörspielen usw. Wie wäre es, meint Copland, wenn die großen Radiogesellschaften die Rolle des musikbegeisterten Adels des 18. Jahrhunderts oder der Mäzene des 19. Jahrhunderts übernähmen — aus keinem andern Grund als dem der Befriedigung der Hörer und zu ihrem eigenen Ruhm? Einem großen Teil der jungen amerikanischen Komponisten wäre es durchaus möglich, eine Musik zu schreiben, die breitere Schichten anspricht. Diese Musik müsse „einfach und gradlinig und frisch un Empfinden” sein; auf keinen Fall dürfe man ihr anmerken, daß sie für ein vorgestelltes Publikumsniveau komponiert sei. Copland sieht in der Berührung des Komponisten mit einer sehr breiten Hörerschicht keine Gefahr. Gewiß wird ein großer Teil der Musik — wie der Zweite Faust oder Kants Schriften — nur einem kleinen Teil der Menschen Vorbehalten bleiben. Das gesunde Streben jedes Komponisten aber müsse es bleiben, seine tiefsten Gefühle auch in einfacher, verständlicher Form mitzuteilen und io seinen Mitmenschen gespiegelt zu finden.

Wir haben es, etwa in den zwanziger Jahren, erlebt, daß die bewußte Absonderung einiger Komponisten von der Musikpraxis und vom Musikpublikum infolge einer überspitzten Verfeinerung im Gefühlsmäßigen und Technischen zu einer Entfremdung zwischen Schaffenden und Aufnehmenden führte, unter welcher unser Musikleben auch heute noch leidet. EHirch das Radio — und unterstützt von kurzen und allgemeinverständlichen Kommentaren — könnte für viele Hörer wieder eine Brücke auch zur ernsten, anspruchsvollen zeitgenössischen Musik geschlagen werden. Daß damit zugleich auch zahlreichen jungen Künstlern geholfen werden könnte, wäre ein weiterer Ansporn, es einmal ernsthaft damit zu versuchen.

1 Musik von heute. Von A. Copland. Humboldt-Verlag, Wien 1947.

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