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Nachspruch

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Selbst in dem Reichtum von großen Persönlichkeiten, der von der Frühzeit an die christlichsoziale Bewegung in Oesterreich auszeichnete, wird die scharf profilierte Gestalt Richard S c h m i t z’ immer um Haupteslänge über viele hervorragen. Ein Volksmann, der in zahllosen Versammlungen ringsum im Raume des alten Oesterreich als Redner berufen war — kein Demagog, kein schmeichlerischer Schönredner, aber ein Ehrgeiziger, der seinen Ehrgeiz und alle seine Energien für die Erfüllung einer tief empfundenen missionarischen Verpflichtung einsetzte, kein modisch aufgeputzter Konjunkturenjäger, aber einer, der in stillen Stunden weich sein konnte wie ein ‘Kind, und wo es um große Dinge ging, hart, vor allem gegen sich selbst — so paßt Richard Schmitz mit seiner Erscheinung hinein in keines der gelohnten Schemen, nach denen man Figuren der Politik und des öffentlichen Lebens zu klassifizieren liebt. Das Leben dieses Mannes ist so, als ob er sich immer die schwersten Aufgaben ausgesucht und an Gefährlichem seinen Aktivismus hatte erproben wollen. Und doch war seine Natur so weit entfernt von Posen und Heldenmaskerade, daß ein jeder in seiner Nähe sein Führertum erspürte, in dem eine glühende, opferbereite und zugleich von einem unerhörten Optimismus beschwingte und alles bestimmende Ueberzeugung, sein echtes Christsein und sein Oesterreichertum sich aussprachen. In diesen Zusammenhängen ist die geschichtliche Bedeutung der Persönlichkeit dieses Mannes begründet. Aus . diesem Wesen erblühte die seltene Vielgestaltigkeit seines Schaffens.

In seinem kleinbürgerlichen Elternhaus, in dem oft Sorge und Not daheim waren, hatt er keine bequeme Jugend gehabt, aber sie war frühzeitig gestählt worden, ein in allen seinen Lebenslagen wirkendes soziales Verständnis war ihm eingeboren. Als Neunzehnjähriger begann seine Lehrzeit in der „Reichspost" für den journalistischen Beruf und ließ rasch seine hochbegabte Feder erkennen. Schon nach zwei Jahren bringt er es zustande, in leitender Stellung in einer kämpferischen Gründerzeit das eben geschaffene Blatt der Tiroler christlichsozialen Volkspartei unter heute kaum mehr vorstellbaren Schwierigkeiten auf die Füße zu stellen. Aber die „Reichspost" will auf den hoffnungsvollen Publizisten, der aus ihrer Schule hervorgegangen ist; auf die Dauer nicht Verzichten und beruft ihn nach drei Jahren in ihre Mitte zurück: in der ihm bald neue große Aufgaben erwachsen. Richard Schmitz wird in die Leitung des 1908 begründeten „Katholischen Volksbunds" berufen, an dessen Spitze eine kleine. Schar von Männern mit idealistischem Schwung die Kräfte des christlichen Volkstums in Oesterreich zusammenzuballen beginnen. Es offenbaren sich in diesen Jahren die zwei großen organisatorischen Schöpfungen, die unter den österreichischen Katholiken im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts zu einer nie zuvor und nie nachher erreichten Wirksamkeit erwuchsen, der „Pius- Verein", der innerhalb eines Jahrzehnts die moderne katholische Presse in allen deutschen Kronländern des damaligen Oesterreich erstehen half, und der ..Volksbund", dieser große Erzieher zu katholischer sozialer Arbeit und Volksbildung. Beide Großorganisationen durchpflügten ganz Oesterreich, methodisch zu- sammeriwirkend, in tausenden Versammlungen. Der idealistische. Elan, der von ihrer Arbeit ausging und von einem dichten Organisationsnetz eingefangen wurde, erneuerte in die Tiefe dringend das innere katholische Leben Oesterreichs. Dieser Leistung war es nicht zuletzt auch zu verdanken, daß der schwere Rückschlag, der im Wahljahr 1911 die Christlichsoziale Partei befiel, auf das politische Gebiet beschränkt blieb. An der Glanzzeit österreichischer katholischer Volksbewegung hatte Richard Schmitz einen denkwürdigen Anteil. Der Abschluß des Weltkrieges, aus dem Schmitz als vierfach für Tapferkeit und Kommandoführung ausgezeichneter Oberleutnant der Artil- Jerie heimgekehrt war, führte ihn — es konnte nicht anders sein — in das politische Feld. Er gehörte zu den Tapferen, Charaktervollen, an denen sich die Hoffnungen vieler aufrichteten. An der Seite Kunschaks, einer der Männer, der bis zuletzt, bis es die Rettung vor katastrophalem Umsturz anders gebot, in der Ver-teidigung der Monarchie ausharrte. Dann aber führte Schmitz in jenen leidenschaftlich erhitzten Tagen mit kühler Stirn persönlich die Entscheidung herbei, daß der Bürgerfriede nicht noch folgenschwerere Störungen erlitt, als von der rechten Seite her Antriebe zu einem gewaltsamen und doch aussichtslosen Eingreifen in das turbulente, Geschehen kamen.

In jenen gewitterhaften Tagen begegneten sich Richard Schmitz und Dr. Ignaz Seipel. Einer tiefen seelischen und charakterlichen Uebereinstimmung entsprang rasch eine Freundschaft, die bis zum Tode Seipels beide Männer zu treuer Gemeinschaft verband. Freund und Gegner trafen sich in der Anführung beider Namen, wenn sie das politische System jener Zeit bezeichnen wollten. Bleibendes ist aus dem Bündnis der beiden Männer hervorgegangen. Für Schmitz erfüllte sich ein Traum, als ein großes, von Jugend auf liebevoll umhegtes soziales Arbeitsfeld sich ihm in der ersten Regierung Seipels bei seiner Berufung als Minister für soziale Verwaltung erschloß. Schon ein Jahr zuvor hatte er, noch ein junger Abgeordneter, als parlamentarischer Referent für das „Angestelltengesetz" vom Mai 1921 seine fachliche Befähigung vor allen Fronten unter Beweis gestellt, ein legislatorisches Werk, mit dem sich Oesterreich an die Spitze aller Staaten stellte. Es nimmt auch heute noch den Rang als vorbildliches und modernstes Dienstvertragsgesetz ein. Der Ministerschaft Richard Schmitz’ entsprang auch eine Initiative zu dem bedeutsamen Angestellten Versicherungsgesetz, das er nicht mehr als Sozialminister, aber einige Jahre später als parlamentarischer Referent zu gutem Abschluß führen und mit dem er den Wiederaufbau der durch den Krieg vernichteten österreichischen Rentenversicherung beginnen konnte. Mit seinem Namen ist auch die Vorbereitung des Wohnbau- und Siedlungsgesetzes verknüpft, dessen Referat ihm als Abgeordneten anvertraut war. — Im zweiten Ministerium Seipel wechselt die Szenerie. Wieder einmal liegt die österreichische Schule mitten in dem von höchsten Spannungen geladenen Felde der Politik. Und wieder wird unter dem Titel „Reform" einmal die Entfernung der Religion aus der Schulerziehung begehrt. Es geht heiß her im Gefecht. Da ist vom Kanzler mit der Führung des Unterrichtsressorts Richard Schmitz betraut; von ihm weiß der Kanzler, daß er keinen Kundigeren wählen konnte für die gestellte Aufgabe, als den Mann, der als Volksbundführer in Wort und Schrift kompromißlos de Untrennbarkeit von Religion und Erziehung oft und oft verfochten hat. Die heute noch gültigen, unter Richard Schmitz erfolgten gesetzlichen Ordnungen des Haupt- und des Mittrischulwesens, aufgebaut nach den vom Minister den Landesschulbehörden vorgelegten Richtlinien, bilden das Fundament des österreichischen Schulwesens. Wenn durch Richard Schmitz für das Gemeinwohl sonst nichts geschaffen worden wäre als die Verankerung der sozialen , und erzieherischen Wohlfahrt in den hier nur beispielartig bezeichneten Legislaturen, würde er genug getan haben, um den ünauslöschbären Dank des Vaterlandes verdient zu haben.

Seit der Ständestaat in den dreißiger Jahren unter dem Embrach’ der Hitler-Gewalt verlöscht ist, hat die innere "‘ruktür Oesterreichs im Zeichen des ständisch-H Prinzips durch unser Gewerkschafts- und Kammerwesen Veränderungen erfahren, die in vieler Hinsicht eine stumme Revision der Anklage gegen den Ständestaat und seine Werkleute darstellen. Es ist heute nicht mehr folgerichtig und gerecht, Aburteilungen festzuhalten, die aus vergan- . genen Aspekten verständlich gewesen sein mögen, aber heute ihre sittliche Legitimation nicht mehr behaupten können. Tatsächlich hat auch das öffentliche Urteil solche Korrekturen vielfach schon vorgenommen, auch gegenüber dem Wiener Bürgermeister, der das Andenken in sein Schaffen in das Stadtbild Wiens und seine Landschaft eingetragen hat.

War es ein Abstieg oder ein Aufstieg, als Richard Schmitz aus .dem Schaffenden und Kämpfer der aufrechte, für seine. Ueberzeu- gung leidende Bekenner wurde? Man schleppte ihn aus dem Rathaus in die Einzelzelle des Wiener Polizeigefängnisses und verbrachte ihn in kurzer Frist nach Dachau. Ein halbes Jahr lang vor Weihnachten 1938-lag er in der Dunkelhaft des Dachauer Bunkers.

Auch der Höllen-Breughel hat in seinen Bildern, das Grauen nicht ausmalen können, das die Bunkertegion von Dachau um sich breitete. Hinter ihren Mauern verschwand Richard Schmitz. Wird er wiederkehren? Wird er in diesem Quartier der Schrecken spurlos verschwinden wie so viele andere? Wir, seine Freunde und Kameraden, der Gefangenschaft, hatten dafür noch keine Antwort. Die Bunkerzelle der Dunkelhaft bestand aus einem schmalen Raum, der einen schwachen Lichtschein aus der Höhe durch ein auf den Gang mündendes kleines Fenster empfing. An düsteren Tagen lag der Raum in völliger Finsternis. Eine’ Holzpritsche bildete die Schlafstätte. Die Nahrungsration war verkürzt. Einen Monat lang, während jenes bärenkalten Dachauer Winters, „vergaß" man die Heizung der Zelle einzuschalten. In diesem Gefängnis lauerte der Tod. Richard Schmitz wußte es und er rüstete sich. Er berechnete, wieviel Schritte er täglich machen müsse — acht Schritte längs, drei Schritte, quer — um 4 bis 5 Kilometer zurückzulegen. Mit dem körperlichen Training verband er das seelische. Er betete drei Psalter des Rosenkranzes täglich. In sechsmonatiger Haft vervollkommnete er die Kunst der religiösen Betrachtung, die er später in der Freiheit in Form meisterlicher Schriften niederlegte. Mit ruhiger Ueberlegtheit sammelte er die Kraft, die ihn sein Ordal überstehen ließ. Als er seine Entlassung aus dem Bunker erhielt und unter uns trat, wat’ sein Gesicht grau wie der Wintertag, der seine Wolkendecke über die Dachauer Mööre spannte. Aber seine Augen lachten. Das war unser Richard Schmitz!...

Vor dieser Stärke beugten sich auch die Schergen der Gestapo. Sie gaben, ihm nicht die Freiheit .wieder,’ aber sie wiesen ihm Verwendungen im Lager zu, die in der Dachauer Rangordnung als eine Art Ehrenstellung galten. Er benützte sie, um vielen Mitgefangenen zu helfen. Manchen rettete er vor dem Niederbruch. Als dann das Ende der Hitler-Herrschaft kam, wurde er jener Gefangenengruppe zugeteilt, die man ziellos in abenteuerlichen Märschen in der Richtung gegen Italien führte. In Südtirol, am Pragser Wildsee, fingen amerikanische Truppen die erschöpften Gefangenen auf und befreiten sie. Richard Schmitz und ebenso Kurt Schuschnigg gewährte, die Kommission der Alliierten in Casertar einen friedlichen Erholungsaufenthalt in Rom. Am Ste- phanitag 1945 empfing in Rom Richard Schmitz meinen Brief,’der im Namen des Ver- ‘eines „Herold" die Einladung enthielt, die Verwaltung des im Wiederaufbau begriffenen „Herold"-Werkes zu übernehmen. Mit Freuden sagte er in einem an mich gerichteten Brief, der mit „Rom, 30. Dezember 1945" datiert war, zu, und am 16. Jänner traf er in Wien ein.

Richard Schmitz hatte sich als Volksführer und bedeutender Staatsmann bewährt, ein Großer, Vielgerühmter und Vielbefehdeter. Aber in der folgenden Zeit erlebten wir den größeren Richard Schmitz. In jenen Tagen, in denen sich das junge Oesterreich der Zweiten Republik aus der Zerstörung zusammenfand, bedurfte es feinfühliger, schonungsvoller Behandlung wunder Stellen unseres öffentlichen Lebens. In persönlicher Fühlungnahme, über die parteimäßigen Grenzen hinweg, bekundete Richard Schmitz seinen Entschluß, abseits des parteipolitischen Raumes sich ganz der ihm von „Herold" übertragenen Aufgabe zu widmen, die groß genug war, die Tatkraft eines Mannes von der Schaffensfreude Richard Schmitz’ zu erfüllen. Welche inneren Verzichte für eine so ausgeprägt der Politik zugewandte Persönlichkeit von seiner Art ein solcher Wandel verlangte, wie hart sie waren, wie er um sie rang — darüber ist nie ein Wort über seine Lippen gekommen. Wenn er ein Opfer zu bringen hatte, so hat. er es mit demütiger Würde gebracht. Nun wurde er, nicht nur mit dem Titel, der Generaldirektor des Hauses „Herold", auch hier wieder der Führer. Er gab dem großen Zeitungsunternehmen eine neue Mission des gedruckten Wortes. Durch ihn wurde neben das Zeitungs- das Buchverlags- wesen des „Herold" gestellt und zu einem der fruchtbarsten Verlagsstätten in Oesterreich gestaltet. Für eine weitreichende Entwicklung Wurden durch ihn die Wege geebnet.

In diesem Schaffen wuchs der Mensch und der Christ Richard Schmitz zu der ergreifend schönen, wahrhaft begnadeten Erscheinung seiner letzten Jahre. Sie zu den Vorbildern ihrer Gemeinschaft zählen zu dürfen, wrird immer ein Stolz der österreichischen Katholiken und aller echten Oesterreicher sein.

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