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Naturschilderung im Roman

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Der gewöhnliche Leser sieht “in der Regel Landschaftsschilderungen als hemmend an nnd bemüht sich, den Gang der Handlung fortgesetzt zu erfahren, weil et jene in keinem Zusammenhang mit dem Fluß der Erzählung zu bringen versteht. Abgesehen davon, daß die Landschaft als der die Personen umgebende Raum erforderlich ist, wird außer acht gelassen, daß wirkliche Beobachtung der Landschaft und deren Äußerungen im Wechsel der jahreszeitlich mod meteorologisch bedingten Veränderungen so viele wertvolle Erkenntnisse hervorbringt, daß sie schon aus diesem Grande nicht zu missen ist.

Denn auch der gebildete Leser neigt, wenn er nüchterner veranlagt ist, zuweilen zur Ansicht, daß sidi solche schöngeistige „Eifi-sdiiebsel“ erübrigen, wobei er allerdings vergißt, daß gerade in der Landschaftsschilderaag neben der Form und dem Maß die sachlichste Aufzeichnung der Erscheinungen notwendig ist, um überhaupt ein eindringliches Bild zu erwecken.

Was für Beispiele ließen sich da anführen, angefangen vom Beginn des Romans bis herauf zu Gegenwart! Da erfahren wir mit wissenschaftlicher Treue von den Äußerungen des Tages nnd der Nacht, des heiteren nnd schlechten Wetters, von den jahreszeitlich bedingten Veränderungen an Strauch and Baum und Bach, und uns geht der Sinn für eine Wirklichkeit in eigener erhöhter Ordnung auf, die in schöner Verwandlung jene Übergänge schafft, die bei oberflächlicher, besser: oberflächiger Betrachtung nicht aufzudecken sind, die also nur kraft des schöpferischen Ahnungsvermögens in letzter Wahrhaftigkeit gezeigt werden können.

Denn das ist ja der Wert jedes künstlerischen Werkes, daß es die Verhältnisse nicht so bringt, wie sie sind, sondern wie sie scheinen. Das bedeutet durchaus nicht, daß der Dichter fern von aller gegebenen Voraussetzung eine Fabelwelt darzustellen bemüht sei, denn dann beginge er ja den Fehler der unsachlichen Schilderung, sondern daß er die Umstände und die damit verflochtenen E/eignisse in jenem Licht zeige, in dem er wandelt. Sachlichkeit ist eben nicht die unbeteiligte Erfassung eines Bildes, das mit vergröbernden optischen Mitteln willkürlich um sich greift, ohne auf Form und Farbe, auf den Geist, das Unsagbare zu achten.

Sachlichkeit im künstlerischen Sinne ist wahrhaftige Darstellung einer Welt, die in sich geschlossen ist und kraft dieser Geschlossenheit alles das wegläßt oder alles hinzusetzt, was der Vervollkommnung des Ausschnittes dient. Und sie ist darum das Verhältnis jedes einzelnen zu seiner Wirklichkeit. Deshalb hat der schöpferische Mensch die Freiheit, im nachahmenden Akt der Neuerschaffung diese Welt so zu schaffen, wie es inm beliebt. Freilich kann er dabei nicht willkürlich verfahren, weil das „Belieben“ begrenzt ist, und zwar einmal im allgemeinen durch die bestehenden künstlerischen Gesetze und zum andernmal durch seine innere Welt, über die hinaus er nicht schildern kann, wenn er echt bleiben will.

Das mit Beispielen zu belegen, ist mehr als interessant, denn es zeigt nicht nur die Verschiedenheit der Temperamente oder die technische Art der Durchführung, sondern letztlich die Auffassung des Lebens durch den Gestalter. Das läßt sich aber wohl besser an Hand der mit- und gegeneinander gestellten Akteure ermitteln? Man möchte es meinen, und das ist auch so, soweit es die praktische Verdeutlichung der Problemstellung, sozusagen den Beweis am Objekt betrifft.

Dort aber, wo das Künstlerische allein durch seine Substanz wirken soll, wirkt es besser durch die Landschaftsschilderung. In ihr wird, abseits vom Problem und aller tendenznahen Nötigung das Mittel an sich angewendet und durch seine mehr oder weniger vollzogene Entstoftlichung zu Wirkungen gebracht, die nicht auf der Ebene des Wortes, als ankündigenden Etikettes, liegen. Das klingt vielleicht etwas abstrakt, darum sollen einige Proben diese Ausführungen verdeutlichen.„Wenn eine Vollmondnacht über dem Dunkel des Waldes stand und leise, daß nichts erwache, die weißen Traumkörner ihres Lichtes darauf niederfallen ließ, und nun Clarissas Harfe plötzlich ertönte — man wußte nicht, woher, denn das lichtgraue Haus lag auf diesen großen Massen nur wie ein silberner Punkt — und wenn die leichten Töne wie ein süßer Pulsschlag durch die schlafende Mitternachtluft gingen, die weithin glänzend, unbeweglich auf den weiten schwarzen Forsten lag: so war es nicht anders, als ginge sacht ein neues Fühlen durch den gan- • zen Wald, und die Töne waren, als rühre er hier und da ein klingend' Glied — das Reh trat heraus, die schlummernden Vögel nickten auf ihren Zweigen und träumten von neuen Melodien, die sie morgen nicht werden singen können — und das Echo versuchte sogleich das goldene Rätsel nachzulassen.“

Dieses kurze Beispiel zeigt Stifters Verlorenheit an die Dinge, die außerordentliche Fähigkeit, kleinste Vorgänge als die letzte wirkliche Größe der Welt anzuerkennen, so daß wir wie durch einen Spiegel sein ganzes Werk erfahren.

Anders dagegen Gottfried Keller, der wahrhafte Schweizer, der in alemannischer Nüchternheit schildert und in genauer Zeichnung darzustellen sich bemüht, was es darzustellen gilt und dennoch nicht allein mit einem realistischen Bild sich begnügt, sondern zur Verdeutlichung seiner Kunst — wie er*s auch in allen seinen Werken tut — Bezüge ins bürgerlich-ausnutzbare Leben hinüber sucht:

„Der Frühling wr gekommen; Schlüsselblumen und Veilchen waren im erstarkten Grase verschwunden, niemand beachtete ihre kleinen Früchtchen,. Hingegen breiteten sich Anemonen und die blauen Sterne des Immergrün und die lichten Stämme junger Birken aus, am Eingange der Gehölze; die Lenzsonne durchschaute und überschien die Räumlichkeiten zwischen den Bäumen; denn noch war es hell und geräumig, wie in dem Hause eines Gelehrten, dessen Liebste dasselbe in Ordnung gebracht und aufgeputzt hat.“

Stephan Zweig schildert dagegen mit der Gespanntheit des Überreizten, des nervlich Verbrauchten, der nicht mehr die Kraft hat, den Ereignissen zu widerstehen, der selbst den Naturgeschehnissen so ausgeliefert ist, daß sie ihn bewältigen:

„Frühmorgens schon starrte die Sonne gelb und stumpf wie das Auge eines Fiebernden vom leeren Himmel, und mit den steigenden Stunden quoll mählich ein weißlicher drückender Dampf aus dem messingenen Kessel des Mittags und überschwülte das Tal. Es war, als ob das ganze Leben aufhören wollte; alles stand still, die Tiere lärmten nicht mehr, von weißen Feldern kam keine andere Stimme als der singende leise Ton der schwingenden Hitze, das surrende Brodeln der siedenden Welt. Ich hatte hinausgehen wollen in den Wald, aber auch diese wenigen Schritte wurden mir zuviel.“

„Die Höfe der Grünen Gasse standen auf dem Kamm eines Hügels. Unterhalb davon lief ein schmutziger Bach am Rand der Äcker hinter den Scheunen und Kohlgärten der Stadtleute. Längs des Baches war ein Fußpfad ausgetreten. Eschen und Apfelbäume und große Rosenbüsche beschatteten ihn von den danebenliegenden Gärten her, so daß die Luft kühl und feucht war. Blaue Fliegen schössen wie Funken in dem grünen Halbdunkel umher, wo Nesseln und vielerlei derbes hohes Unkraut üppig wucherte, denn die Leute warfen ihren Abfall auf dieser Seite ab, so daß fette Unrathaufen hinter den Scheunen lagen. Der Pfad war schlüpfrig von* der Feuchtigkeit, die der verfaulende Dünger absonderte, die Luft von Gerüchen gesättigt: von Mistdunst und Aas-, gestank und dem feinen Duft von Engelwurzdie das Bachufer mit Wolken grünlichweißer Blumen einsäumte.“

Welch ein Gewoge! Welche Mächtigkeit des Ausdrucks, welche Vitalität der Anschauung — eine Landschaftsschilderung, die ganz aus dem Atem der sie umspannenden Handlung lebt und bei aller geradezu peinlich genauen Aufzeichnung strahlend wirkt. So kann nur eine Sigrid Undset schildern!

Bedarf es einer eindringlicheren Beweisführung für die Behauptung, daß die Landschaftsschilderung eine bedeutungsvolle Stelle in jedem Buche einnehme, die um so bedeutungsvoller ist, als sie — ungeachtet ihrer Aufgabe als Verbindung von Handlung zu Handlung (denn jede Handlung bedarf der Ruhepunkte, um sie ungeschwächt weiterführen zu können) — sozusagen Extrakt der Schaffens werte und der dichterischen Möglichkeiten ist und im freigestaltenden Ausdruck zur unmittelbarsten Auswirkung gelangt.

Wenn wir das bedenken, so lernen wir auch die Landschaftsschilderungen im Roman als mit dem Gang der Handlung verfloch; ten schätzen Und dann ist unser Gewinn am Buch noch einmal sc groß.

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